Mark Brandis, der im Streit um die Bewaffnung der Rettungskreuzer seinen Posten als Vormann der UGzRR verloren hat, wird von seinem Nachfolger Jim Collins in die Wüste geschickt: Er übernimmt die Raumposition Oberon in der Nähe des gleichnamigen Uranus-Mondes.
Als sich die beiden Metoritenschwärme Roswitha und Tamara zum Materiesturm Apokalypse vereinigen, müssen Brandis und seine Crew zwei heikle Rettungsmissionen durchführen: Für das in Raumnot geratene Schwesterschiff Mahatma Gandhi und den abgeschossenen Raumfrachter Halleluja des singenden Missionars Pater Himmlisch.
(22) Raumposition Oberon
€12,00
Mark Brandis, Band 22
Paperback, 178 Seiten
Kategorie: Mark Brandis
Schlagwörter: Mark Brandis, Michalewski, Weltraumabenteuer
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Kapitel 1
In der Geschichte der UGzRR steht die Zeit zwischen dem 15. Juni und dem 12. August des Jahres 2083 als ein Kapitel für sich. Für die junge Gesellschaft waren diese Wochen die erste große Bewährungsprobe. Manche nennen sie auch die Feuertaufe.
In diesen 59 Tagen wurden insgesamt einundzwanzig Einsätze geflogen, einige davon unter schwersten Bedingungen, wobei siebenundvierzig Menschen aus Raumnot gerettet wurden. Ein erst vor kurzem in Dienst gestellter Raumnotkreuzer trug dabei erhebliche Beschädigungen davon und fiel für die nächsten zwei Monate aus; so lange dauerte der Werftaufenthalt. Ein zweiter mußte als Totalverlust abgeschrieben werden. Und drei Rettungsleute bezahlten ihre Hilfsbereitschaft mit dem Leben. Das ist die rühmliche Seite dieses Kapitels: jene, auf die immer wieder gern verwiesen wird.
Daneben gibt es noch eine andere Seite, die weniger rühmlich ist und unter anderem das Raumgericht in Metropolis beschäftigt hat. Sie ist überschrieben mit Elsa Brandstroem. Man hat mich hinterher bestürmt, wenn nicht das ganze Schiff, so doch wenigstens den Schiffsnamen aus dem Verkehr zu ziehen, doch davon hielt ich nichts. Nicht der Schiffsname hatte sich schuldig gemacht. Wenn ich einen Schuldigen benennen soll, gerate ich in Schwierigkeiten. Da kam eins zum anderen: die leere Weite des herrenlosen Raumes, der politische Hintergrund, die verständliche Angst, die Erziehung eines jungen Menschen zum sogenannten harten Mann und der gefährliche Anreiz einer Waffe.
Was damals geschah, ereignete sich vor dem Hintergrund einer 5 Millionen Jahre alten kosmischen Explosion. Der Umstand, daß für unser Planetensystem die Auswirkungen erst so spät spürbar wurden, läßt etwas von der Ufer- und Grenzenlosigkeit dieses Raumes erahnen, in dem wir unseren Dienst versahen. Die Auswirkungen bestanden vor allem in einer in dieser Massierung noch nie zuvor gemessenen Folge schwerster Staub- und Meteoritenstürme. In den Annalen der Raumfahrt trägt diese Periode die Bezeichnung: Die schwarzen Wochen.
Als ich am 4. Juni an Bord der Elsa Brandstroem den Uranus verließ, war von den Schwarzen Wochen noch nicht die Rede, und sowohl die rühmliche als auch die unrühmliche Seite des besagten Kapitels mußten erst noch geschrieben werden.
Auf dem Uranus war eine Woche lang über Völkerrecht, Raumrecht, allgemeines Recht und den juristischen Status der UGzRR debattiert worden. Die VOR hatten unter dem Vorsitz von Jing Fu, dem Staatskommissar für Kosmologie und Astronautik, eine vierundzwanzigköpfige Delegation entsandt, während sich die EAAU vertreten ließ durch John Harris, der als Direktor der VEGA viele Jahre lang mein Chef gewesen war. Für die Interessen der Flotte trat ich selber ein.
Um mir die Anreise zum Tagungsort zu erleichtern, war Harris eigens in Las Lunas zwischengelandet und hatte mich an Bord der VEGA I genommen, eines schnellen und bequemen Kurierschiffes, das ihm für seine ausgedehnten Dienstreisen zur Verfügung stand. Die Regelung war mir sehr willkommen. Sie machte es mir möglich, vor Konferenzbeginn meine Sorgen und Nöte mit Harris unter vier Augen zu besprechen, vor allem aber erlaubte sie mir, mein Schiff, die Henri Dunant, unter dem Kommando von Captess Kato auf der angestammten Warteposition zurückzulassen. Von Las Lunas aus, wo die UGzRR in der ehemaligen Versorgerrampe über eine landfeste Basis verfügt, kontrollierte man im Erd-Mond-Bereich eine Anzahl stark beflogener Raumstraßen und war im Notfall rasch zur Stelle. Die Position unbesetzt zu wissen, hätte mir widerstrebt.
Für den Rückflug benutzte ich die Elsa Brandstroem. Das Schiff war im letzten Halbjahr wegen verschiedener Defekte dreimal in der Werft gewesen, so daß Commander Collins, bevor er seine vorgeschriebene Position bezog, gut daran tat, die gesamte Technik auf Herz und Nieren zu prüfen. Der Anflug zum Uranus und die Reise nach Las Lunas boten ihm dazu Gelegenheit.
Jim Collins hatte das Kommando über die Elsa Brandstroem vor einem knappen Vierteljahr übernommen. Er war ein etwas zu kurz geratener, sehr energischer Mann Anfang Dreißig mit einer militärisch straffen Haltung. In der Tat war er, wie ich aus seinen Papieren wußte, durch eine der besonders berühmt-berüchtigten Schulen des Landes gegangen. Die Kadettenanstalt der Strategischen Raumflotte in Kiew stand in dem Ruf, harte Männer zu produzieren. Absolventen dieser Anstalt wurden nicht nur von der Strategischen Raumflotte, sondern auch von der Armee, der Polizei, den verschiedenen Sicherheitsdiensten und natürlich auch von der zivilen Raumfahrt bevorzugt eingestellt.
Bevor Collins zur UGzRR stieß, war er Frachtpilot gewesen, Pilot eines kombinierten Fracht- und Passagierschiffes auf der Erd-Venus-Route, Testpilot bei der VEGA und schließlich, nach seiner Beförderung zum Captain, Pilot der Odysseus unter Commander Sacharow. Weshalb er nicht eine glänzende Karriere bei der Strategischen Raumflotte gemacht hatte, war mir lange schleierhaft gewesen, bis ich durch Zufall auf die Antwort stieß: Ihm fehlte an der vorgeschriebenen Mindestgröße gerade ein Zentimeter.
Als Commander Jacobsen, der die Elsa Brandstroem in der ersten Zeit geführt hatte, aus familiären Gründen wieder zur VEGA zurückkehrte, war mir Jim Collins Bewerbung gerade recht gekommen, und in einer Schaltkonferenz, an der sich alle Commander der UGzRR-Flotte beteiligten, hatte ich die Zustimmung zu seiner Einstellung bewirkt. Seitdem war er bereits vier Einsätze geflogen – den letzten im Zusammenhang mit dem brennenden VOR-Frachter Kwang Tung. Mein Urteil über ihn war, daß die Gesellschaft mit ihm einen guten Griff getan hatte. Das Abbergen der Kwang-Tung-Besatzung war nicht ohne Risiko gewesen.
Als Termin für unseren Start hatte ich Uranus-Tower 09.00 Uhr Metropolis-Zeit (MZ) genannt, doch um 10.00 Uhr saß die Elsa Brandstroem noch immer auf der Rampe fest, weil ein halbes Dutzend Sicherheitsbeamter, die sich durch nichts zur Eile antreiben ließen, sich in allen ihren Räumen und Winkeln mit einer Genauigkeit umsahen, als gälte es, eine verlorene Haftschale zu finden.
Als es mir zu bunt wurde, ließ ich mir eine Verbindung zu Gouverneur Hastings herstellen und legte im Namen der UGzRR in aller Form Protest ein gegen die, wie ich formulierte, widerrechtliche Durchsuchung.
Gouverneur Hastings ließ mich ausreden, dann erwiderte er: Solange sich das Schiff auf dem Territorium der EAAU befände, ließe sich gegen die Durchsuchung rein rechtlich nichts einwenden. »Aber davon angesehen«, fügte er hinzu, »haben Sie natürlich recht, Commander. Ich werde den Sicherheitsdienst anweisen, in Zukunft mehr Fingerspitzengefühl walten zu lassen. Sie wissen ja, wie diese Leute sind: von Berufs wegen mißtrauisch. Und seit diesen Zwischenfällen auf der Venus ...«
Die Zwischenfälle auf der Venus waren in der Tat besorgniserregend. Hinter ihnen stand die illegale Partei der Separatisten, die für ein Ausscheiden der Venus aus der EAAU eintrat. Eine verschwindend kleine, aber durch ihren Fanatismus äußerst gefährliche Minderheit.
»Und was, Sir«, erkundigte ich mich, »hofft der Sicherheitsdienst an Bord der Elsa Brandstroem zu finden?«
Gouverneur Hastings lachte. »Wahrscheinlich den Geist der Rebellion. Also gut, geben Sie mir einen von den Leuten an den Apparat ...«
Zehn Minuten später konnten wir endlich starten.
Ich führte noch ein Gespräch mit John Harris, ließ mir von ihm Mast- und Schotbruch wünschen, womit eine gute Reise gemeint war, und zog mich dann, um zu arbeiten, in eine der Reservekammern zurück, in der ich für die Dauer des Fluges mein Lager aufgeschlagen hatte.
Auf dem Tisch stand als Willkommensgruß eine Flasche Whisky. Commander Collins tat sein Bestes, um mir den Aufenthalt an Bord angenehm zu gestalten. Zugleich ließ er mich auf diese Weise spüren, daß er in dem Ersten Vormann der UGzRR nur einen Gast sah. An diesem seinem Standpunkt gab es nichts auszusetzen. Ich an seiner Stelle hätte ihn wohl ebenso bezogen.
Die besten Dichter scheitern, wenn es darum geht, den Raum zu beschreiben. Was nicht ist, läßt sich nicht beschreiben. Das Auge bedarf der Anhaltspunkte. Jedoch: wenn du dich nicht gerade im Anflug befindest auf einen der Planeten oder auch nur auf eine der verschiedenartigen Raumplattformen, bleiben dir als einziger Anhaltspunkt die Sterne in Form eines samtdunklen, mit Diamantsplittern übersäten Himmels. Alles andere ist Leere: ohne Gestalt, ohne Gesicht, ohne Maß. Das Schiff, das durch diese Leere zieht, scheint stillzustehen: festgefroren unter der gleichmütigen Rotation eines fernen, unfaßbaren Himmels. Die Zeit ist wie ausgelöscht.
Aber die Uhren an Bord bewegen sich; auf die Uhren ist Verlaß.
Es war am dritten Tag unserer Reise, um 15.41 Uhr MZ, als in der Leere, in der wir uns anscheinend unrettbar verloren hatten, plötzlich und unerwartet ein anderes Schiff auftauchte. Der Radar-Controller, Lieutenant Alexander Perry, entdeckte es als erster: als einen winzigen Glühpunkt in der rechten oberen Ecke des Monitors Dora.
Als ich auf der Brücke erschien, war längst in Erfahrung gebracht, mit wem man es zu tun hatte. Das andere Schiff war der schnelle Raumkurier Anakonda beim Abklappern der Stellanorm-Kette. Für den Bruchteil einer Sekunde tauchte er, mit bloßem Auge sichtbar, als gleißende Lichterscheinung vor dem Cockpitfenster auf. Für den Bruchteil einer Sekunde – kürzer als ein Atemholen, eiliger als ein Herzschlag – war die Leere unterbrochen.
Das FK meldete sich, um ein von der Anakonda ausgehendes Gespräch zur Brücke durchzustellen. Commander Collins nahm das Gespräch an.
»Hallo, Anakonda«, hörte ich ihn sagen, »was gibt’s?«
Die Stimme der Anakonda löste sich mit unverkennbar norddeutschem Akzent aus einem der Lautsprecher.
»Frage, Elsa Brandstroem: Haben Sie Zeit und Lust zu einem Job?«
Collins warf mir einen raschen Blick zu und beugte sich tiefer über das Mikrofon.
»Wieso?«
Der Lautsprecher ließ sich Zeit; an Bord der Anakonda überlegte man sich die Antwort.
»Also, die Sache war die ... Als wir Tango Uniform Viktor passierten – das war gegen elf Uhr –, lag da auf Zwo Fünnef Sieben ein Transporter fest. Typ Herkules, würde ich sagen. Wir haben ihn, um nicht ganz herzlos zu sein, über UKW gefragt, wo ihn denn der Schuh drückt, aber die Antwort war negativ. Er hat nicht Piep gesagt und nicht Papp.«
Collins ließ, bevor er weitersprach, den Speicher mithören, indem er die Memorial-Taste drückte. Fortan war der Flight-Computer, Sequenz Navigation, bei diesem Gespräch der Dritte im Bunde.
»Sie wissen nicht, welcher Art der Schaden an der besagten Herkules war?«
»Negativ«, erwiderte die Anakonda mit ihrem ostfriesischen Zungenschlag. »Wir haben unsere Reise fortgesetzt.«
»Ohne beizudrehen und nach dem Rechten zu sehen?«
Collins Stimme war der Vorwurf in Person.
»Sorry«, antwortete die Anakonda, »das wäre gegen die Vorschrift.«
Dagegen ließ sich nichts einwenden. Für die schnellen Raumkuriere mit ihrer oft sehr wertvollen Fracht galt das eiserne Gesetz, niemals unaufgefordert zum Zwecke einer Hilfeleistung beizudrehen. Der Kommandant der Anakonda hatte sich daran gehalten.
»Sie hätten«, sagte Collins, »zumindest die Raumnotwache benachrichtigen sollen.«
»Gott ja«, erwiderte die Ostfriesen-Anakonda, »vielleicht hätte ich das wirklich tun sollen. Andererseits, wenn da wirklich was vorgelegen haben soll, hätten die Transporter-Leute sich längst selbst darum gekümmert, meine ich.«
Bisher lag kein Notruf vor. Auf der Anakonda mochte man recht haben mit dem vorsichtigen Hinweis auf einen möglicherweise blinden Alarm.
Collins seufzte. »Na schön, wir kümmern uns darum. Wiederholen Sie die Position.«
»Tango Uniform Viktor«, kam es aus dem Lautsprecher. »Zwo Fünnef Sieben. Haben Sie das?«
»Positiv!« sagte Collins. »Ich danke Ihnen, daß Sie uns benachrichtigt haben, und wünsche Ihnen weiterhin eine angenehme Reise.«
Er ließ die Taste los und richtete sich stocksteif auf.
»Lästige Sache, Brandis. Es kann sein, man kommt hin – und nichts ist los.«
Das kam vor. Unter soundsovielen echten Notfällen gab es immer so etwas wie eine taube Nuß. Damit mußten wir leben. Unsere Maxime war: Lieber einen Einsatz zu viel fliegen als einen zu wenig.
»Andererseits«, fuhr Collins fort, »falls da wirklich wer in ernsthaften Schwierigkeiten ist ...«
Die Wahrheit war, daß er – mit mir an Bord – auf diesen Einsatz brannte. Er war, spürte ich, ein Mann voller Ehrgeiz.
Das letzte Wort lag bei mir: ob ich ihm freie Hand gab oder die Rabindranath Tagore mit dem Job beauftragte, die, wie ein Blick auf den Speicher erkennen ließ, dem fraglichen Raumgebiet um einiges näher stand als wir.
Ich sagte: »Geben Sie mir eine Minute, Collins!«, und begab mich ins FK.
Die Raumnotwache Las Lunas meldete sich auf Anhieb. Sie war im alten Versorger-Tower untergebracht, den die Gesellschaft zusammen mit dem Rampengelände gepachtet hatte, und rund um die Uhr besetzt. Ich vernahm die Stimme von Hua McKim, der halb Schotte und halb Koreaner war.
»Was ist das Problem, Commander?«
»Tango Uniform Viktor. Ein VN auf Zwo Fünf Sieben. Wahrscheinlich ein havarierter Herkules-Transporter. Wie steht’s mit der Tagore?«
»Ist klar, Commander.«
»Roger. Jagen Sie sie los.«
»Gemacht, Sir. Allerdings …«
»Was, McKim?«
»Also, ich hab da gerade mal auf die Karte gesehen ... Für die Tagore ist da ziemlich viel Dreck auf der Piste.«
Was McKim mich wissen ließ, war dies: Die Rabindranath Tagore würde es zu tun bekommen mit kosmischem Staub, der durch den Raum zog. Das konnte bedeuten, daß sie mit gedrosselter Geschwindigkeit würde fliegen müssen.
Bisher hatten wir es lediglich zu tun mit einem VN, einem Vielleicht-Notfall. Ungewöhnlich an der Sache war die Position – abseits der bevorzugten Frachterrouten. Ein Blackout im Navigationssystem?
»Roger«, sagte ich noch einmal. »Wer führt?«
»Die eiserne Lady in Person.«
McKim sprach von Commandeuse Hia Wang. Der Spitzname war ein Ausdruck des Respekts. Das alte Mädchen aus Shanghai hatte mehr als einmal unter Beweis gestellt, daß es sein Handwerk verstand.
»Schön. Sagen Sie ihr, was anliegt. Sie soll dann entscheiden, ob sie gleichfalls ausrückt. Wir machen uns, um sicherzugehen, schon mal dorthin auf die Socken.«
Die Entscheidung war gefallen. Eines VNs wegen wurden zwei Schiffe der Flotte in Atem gehalten.
Als ich die Brücke wieder betrat, war Collins, der mein Gespräch offenbar mitgehört hatte, bereits im Begriff mit seinem Piloten den neuen Kurs festzulegen.
Daß die Elsa Brandstroem auf neuem Kurs lag, merkte man allenfalls am veränderten Lichteinfall der Sonne und an dem Umstand, daß das Kreuz des Südens, das anfangs backbord querab gestanden hatte, nun fast unmittelbar vor dem Bug stand. Das Triebwerk war einmal kurz angesprungen, um die Fahrt auf positiv minus vier zu erhöhen, das heißt auf einen Wert, der um vier Prozent unter dem Zulässigen lag, und war dann wieder verstummt.
Das FK meldete sich. Es war ihm nicht gelungen, mit dem Herkules-Transporter in Verbindung zu treten. »Das kann bedeuten«, mutmaßte Lieutenant Meyer, »daß wir’s mit einem defekten Sender zu tun haben. Ansonsten sehe ich keinen Grund, weshalb er uns nicht antworten sollte.« Darüber hinaus wußte das FK zu berichten, daß auch die Rabindranath Tagore unterwegs war und trotz leichter Staubkonzentrationen auf dem direkten Kurs gut vorankam.
Ich bat Collins um Erlaubnis, den Navigationsrechner zu benutzen, ließ mir beide Positionen und Fahrtwerte geben und ermittelte, daß die Tagore, selbst wenn wir unsere Geschwindigkeit auf positiv minus null erhöhten, nicht zu schlagen war. Falls nichts dazwischenkam, mußte sie den Havaristen um einiges früher erreichen als die Elsa Brandstroem.
Trotzdem konnten wir unseren Flug zur Sicherheit fortsetzen. Ich bestätigte diese Auffassung.
Collins berichtete von seinen Erfahrungen mit der brennenden Kwang Tung.
»Sie hatte unter anderem komprimierten Sauerstoff geladen. Innen drin war sie der reinste Feuerball. Wir haben ihr dann erst einmal ein Leck gesprengt. Kennen Sie die Fotos schon?«
Er wollte losstürzen, um die Fotos zu holen, machte aber bereits vor dem Niedergang kehrt und bemerkte: »Ach, zum Teufel, wir haben Zeit genug, Brandis. Wir können das Nützliche auch mit dem Angenehmen verbinden. Darf ich Sie zu einem kleinen Kognak einladen?«
In seiner Kammer ließen wir uns nieder. Während er den Projektor anlaufen ließ und die Gläser füllte, sah ich mich um.
Mein Blick wanderte über mindestens ein Dutzend Gewehre und zwei oder drei Dutzend Faustfeuerwaffen – Pistolen und Revolver – verschiedener Epochen. Darin war ein Vermögen investiert. Jim Collins war ein Waffennarr.
Collins lachte. »Überrascht?«
»Sie sollten das Zeug in ein Museum geben.«
»Museum!« Er verzog das Gesicht. »Ich muß mit dem Zeug leben. Übrigens, es heißt, daß Sie ein hervorragender Schütze sind.«
Ich winkte ab. »Übertreibung, Collins. Sie sollten darauf nichts geben.«
Er starrte mich an.
»Ich bin auch ganz gut. Ich bin sogar mehr als – ganz gut.« Collins war in diesem Augenblick – sofern es das gab – noch mehr als aufrecht. »Ich bin sozusagen einsame Spitze.«
»Das sind Sie bestimmt, Collins«, erwiderte ich und wandte meine Aufmerksamkeit dem flachen Monitor zu, auf dem soeben das erste 3D-Foto vom Kwang-Tung-Job erschien.
Die Serie war mit einer automatischen Kamera geschossen. Sie war eine nüchterne Dokumentation. Eindringlicher als jeder Bericht vermittelte sie einen Eindruck von den dramatischen Umständen eines Rettungseinsatzes unter den Sternen. Man sah das glühende VOR-Schiff vor dem Hintergrund eines samtschwarzen Himmels mit dem Goldgesprenkel der Sterne. Man sah Collins und seine Leute beim Anbringen der Sprengladung. Man sah oberhalb des Cockpits das entstandene Loch mit dem darüberstehenden, bereits kristallisierten Rauch. Man sah die Kwang-Tung-Besatzung beim Aussteigen.
Ich trank ihm zu. »Gut gemacht, Collins.«
Er schaltete den Projektor ab und stand auf. »Freut mich, daß Sie das sagen, Brandis. Aber das sind, wie man so sagt, olle Kamellen. Apropos alt ... Mit einer modernen LP ist heute doch jedes Kind ein Kunstschütze. Ich frage mich, wie gut Sie sind mit einem dieser alten Revolver – mit diesem zum Beispiel.«
Die Waffe, die er von der Wand nahm, um sie mir zu reichen, war ein sechsschüssiger Frontier-Colt aus dem Jahre 1879 mit abgegriffenem Kolben aus Walnußholz. »Nehmen Sie!« sagte er. »Und nun bin ich gespannt.«
Indem er die Waffe von der Wand nahm, hatte er einen Kontakt ausgelöst. Der Spind klappte plötzlich auf. In seinem Inneren prangte, grell angestrahlt, ein Kugelfang mit eingelegter Spielkarte: Herz-As.
»Also, Brandis!« sagte er. »Zeigen Sie doch mal, was Sie können.«
Ich rührte die Waffe nicht an.
»Collins«, sagte ich, »ich halte nichts von solchen Übungen.«
Er wiegte den Kopf und schickte sich an, die Waffe an ihren Platz zurückzuhängen. Plötzlich wirbelte er herum und schoß. Weiß Gott, es war eine zirkusreife Leistung: eine blitzschnelle Wendung, ein Schuß aus der Hüfte – und gleich darauf eine im Triumph hochgehaltene Spielkarte. Die Kugel hatte das Herz nur um zwei oder drei Millimeter verfehlt.
»Sie sehen«, sagte Collins, »ich bin als Schütze auch nicht zu verachten. Das macht mir so leicht keiner nach. Oder ...?«
Erneut wollte er mir den alten Frontier-Colt aufdrängen. Ich schob seinen Arm beiseite und stand auf
»Geben Sie sich keine Mühe, Collins. Ich hasse solche Spielchen. Im übrigen danke ich für die Einladung. Was halten Sie davon, wenn wir vor dem Einsatz noch ein wenig ruhen?«
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