Um die Arbeit der Polizei zu vereinfachen, wird ein Computersystem installiert, das auch aus nur wenigen Hinweisen treffsicher Verbrecher ermittelt. Als Terroristen Brunnen in den großen Städten der EAAU vergiften, errechnet der Computer die Buchstaben ZIG. Die Behörden beginnen unverzüglich, Zigeuner zu verhaften. Diese werden zusammengetrieben und in Arbeitslager auf andere Planeten deportiert. Die westliche Demokratie wird von Pogromen erschüttert. Nicht-Zigeuner machen Jagd auf Menschen, die sie für die Brunnenvergifter halten. Die Behörden handeln im blinden Gehorsam.
Auch Mark Brandis ist gezwungen, sich von seinem Freund Grischa Romen zu trennen. Er tut dies schweren Herzens, weiß er doch, daß der Captain unschuldig ist.
Doch um die UGzRR zu retten, muß er sich dem Zeitgeist beugen. Grischa Romen übernimmt das Kommando auf einem Flüchtlingsschiff. Es beginnt ein Flug ins Ungewisse.
(25) Planetaktion Z
€6,99
Mark Brandis, Band 25
Ebook, 192 Seiten, Format Epub
Kategorie: Mark Brandis
Schlagwörter: Mark Brandis, Michalewski, Weltraumabenteuer
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Kapitel 01
Im Aufenthaltsraum des Raumflughafens konnte man vergessen, daß man sich auf dem Uranus befand. Darin war es hell, warm und gemütlich, und das Wetterleuchten der Sonnenstürme blieb draußen vor der Tür. Man trank seinen Kaffee oder sein Bier, man las, man unterhielt sich mit gedämpfter Stimme. So sehr man erwartete, daß Rücksicht genommen wurde auf die eigenen Nerven, so sehr nahm man Rücksicht auf die der anderen. Wer immer hier seine Wartezeit totschlug, er kam aus dem kalten Reich der Sterne, und dorthin brach er auch wieder auf, sobald sein Schiff betankt, die Ware geladen, die Reparatur beendet war. Und der Uranus, das neue Sibirien, wohin für einen Beamten die Versetzung noch immer den bitteren Geschmack der Verbannung hatte, war für den Astronauten nur eine Etappe auf dem langen astralen Weg.
Über die vierzig Quadratmeter große TV-Wand huschten die bunten Bilder des Tages. Noch immer gab es auf dem Uranus kein eigenes Programm, und so übertrug man das durch unzählige Verstärker und Beschleuniger aufgepäppelte Programm der Stella-TV, das um die gleiche Zeit – mit geringfügigem Vorsprung – auch in den Wohnstuben und Kantinen auf der guten alten Mutter Erde flimmerte.
Die Getränke waren gut, an den Speisen gab es nichts auszusetzen. Niemand von uns, die wir die Zwischenlandung auf dem Uranus nutzten, um uns von den Anstrengungen der letzten Sturmtage zu erholen und unseren chronischen Informationshunger zu stillen, konnte ahnen, daß an diesem Novemberfreitag des Jahres 2086 im fernen Metropolis, der atlantischen Hauptstadt der zur EAAU zusammengeschlossenen Drei Kontinente, ein Virus zum Leben erwachte, den man bereits totgesagt hatte.
Und ebensowenig konnten wir ahnen, daß der Virus binnen kurzem nicht nur die halbe Erde, sondern darüber hinaus sogar den Himmel verseuchen würde – so weit die Schiffe trugen –, und daß auch die UGzRR, die Unabhängige Gesellschaft zur Rettung Raumschiffbrüchiger, in deren Dienst wir flogen, von der Pest nicht verschont bleiben würde.
Die Nachricht des Tages erwähnte den Virus mit keinem Wort, als sie die halblauten Plaudereien im Aufenthaltsraum jäh zum Verstummen brachte. Auf Konstantin Belinski-Hegel, den Präsidenten der Europäisch-Amerikanisch-Afrikanischen Union, war ein Mordanschlag verübt worden.
Die Bilder zeigten den alten Mann mit der weißen Löwenmähne, der das undankbare Amt erst vor wenigen Monaten schweren Herzens übernommen hatte, wie er, gestützt von zwei Offizieren der Präsidentengarde, den Ort des blutigen Geschehens verließ.
»… wurde nur leicht verletzt. Über die Hintergründe des Anschlags liegen noch keine Erkenntnisse vor. Für die Aufklärung des Verbrechens wurde ein besonderer Fahndungsstab gebildet. Er setzt sich zusammen aus Kriminalbeamten und Offizieren des Militärischen Sicherheitsdienstes MSD.«
Andere Meldungen folgten. Der Schock klang ab. Offenbar war alles halb so wild. Und als auf der TV-Wand schließlich grimassenschneidend und hüftenwackelnd ein Star mit dem Lied des Monats auftauchte, nahm man die unterbrochenen Gespräche wieder auf. Der Sänger tat sein Bestes, um sie zu stören, und wurde endlich leiser gestellt: »Jo-jo-jo-jo-lande ...«
In der Sitzecke neben der Bar hatten es sich die fünf Männer meiner Henri Dunant bequem gemacht. Lieutenant Stroganow, der grauköpfige Navigator, und Lieutenant Xuma, der schwarzhäutige Chief, spielten miteinander Schach. Stroganow war – wie nicht anders zu erwarten – am Gewinnen; selbst hartgesottene Schachcomputer wurden von ihm nicht selten schachmatt gesetzt.
Lieutenant O’Brien, der sommersprossige Radar-Controller mit dem unwiderstehlichen Charme eines irischen Freibeuters, schäkerte mit einer bildhübschen Kellnerin, und Lieutenant Levy, der FK-Mann, verfolgte das harmlose Techtelmechtel mit sichtlichem Vergnügen.
Captain Romen war ganz an das andere Ende der Sitzbank gerutscht und in ein Gespräch mit einem der Techniker der TOTAL-Film vertieft. Das Team hielt sich bereit, um den Absturz der ICS-Plattform Scout zu filmen, die von ihrer Besatzung demnächst geräumt werden sollte, weil ein kostspieliges Verholen sich nicht lohnte. Für die TOTAL-Film war der Absturz eine willkommene Gelegenheit, ihre neue Technik zu erproben.
Captain Romen, der sonst die Florence Nightingale befehligte, war für die Zeit, in der sich sein Schiff in der Werft befand, mein Pilot und Stellvertreter. Mit dem Wiedereintreffen von Captess Kato, die er ersetzte, war in diesem Jahr nicht mehr zu rechnen. Sie absolvierte einen astrophysikalischen Lehrgang in Peking.
Grischa Romen bemerkte meinen Blick und nickte mir zu. Es war wie in jenen alten Zeiten, als wir beide noch im Dienst der VEGA gestanden hatten. Auf mehr als einer astralen Expedition war er meine rechte Hand gewesen. In der Leere des Raumes ohne Maß und Grenzen waren wir zu Freunden geworden. Danach, als ich überwechselte zur UGzRR, war er mir gefolgt.
Der Werftaufenthalt der Florence Nightingale hatte es erforderlich werden lassen, die einsatzfähigen fünf Schiffe neu zu verteilen. Die Henri Dunant, das Flaggschiff der UGzRR, übernahm dabei die verhaßte Raumposition Oberon am Ende der Uranus-Erde-Route.
Die Anreise war höllisch gewesen. Ein halbes Dutzend Energiestürme hatte uns durchgeschüttelt. Das AMS – Anti-Meteorit-System – hatte Schaden genommen und mußte neu justiert werden. So war es zu dieser Zwischenlandung auf dem Uranus gekommen. Während am AMS gearbeitet wurde, erholten wir uns jetzt von den Strapazen.
Captain Romens Gesprächspartner war der Kameraassistent, Luis Godal, ein alternder Jüngling, der Ähnlichkeit hatte mit einem Wiesel. Ein paar Wortfetzen der Unterhaltung drangen an mein Ohr.
Es ging noch immer um die Plattform Scout, auf der nach einer Explosion die Stabilisatoren hinkten, wodurch sie in eine Umlaufbahn um den Uranusmond Oberon gekommen war. Ihr Ende war abzusehen. In etwa vierzehn Tagen sollte sie geräumt werden; danach mochte sie getrost auf dem Oberon zerschellen. Dort gab es nichts, was Schaden nehmen konnte.
Die Plattform Scout war eine Tochter der vorgeschobenen Observer-Plattform Magellan; und hinter allem stand der immer mächtiger werdende ICS – International Computer Service – mit einem ehrgeizigen Programm, nämlich der Erschließung einer neuen Energiequelle auf der Basis einer exakten Computer-Analyse der Magellanwolke. Die Plattform Scout hatte ihre Schuldigkeit im wesentlichen getan und stellte für den ICS keinen nennenswerten Verlust dar. Die TOTAL-Film-Leute versprachen sich sensationelle Bilder. Ein vergleichbarer Zusammenprall zweier Himmelskörper war noch nie gefilmt worden.
Einmal hörte ich den Namen Gregor Chesterfield fallen. Godal kommentierte ihn mit einem Auflachen.
Auch unter den Sternen blieb man von Klatsch und Tratsch nicht völlig verschont. Ich war einigermaßen auf dem Laufenden. Gregor Chesterfield war der mißratene Sproß eines der ICS-Manager und hatte weniger durch Fleiß als durch Skandale von sich reden gemacht. Der alte Chesterfield hatte sich schließlich nicht anders zu helfen gewußt, als seinen Stammhalter mit der Order, fleißig zu arbeiten und keine Dummheiten zu machen, auf die Plattform Scout abzuschieben. Seitdem trauerte die Regenbogenpresse der Drei Vereinigten Kontinente um ihren Playboy, der immer für Skandalmeldungen gut war.
Es gab für mich keinen Grund, mich über Godals Lachen zu ärgern. Mit den Gregor Chesterfields und wie sie alle hießen, den Play- und Sonnyboys, den reichen Müßiggängern und Boulevardkönigen hatte ich nichts im Sinn. Wahrscheinlich ärgerte ich mich deshalb, weil die Häme Neid verriet. Das Wiesel wäre nur allzu gerne in die goldenen Fußstapfen des Millionenerben getreten.
Auf dem Rampengelände setzte ein Taurus-Zerstörer zur Landung an. Das hohe Singen des Triebwerks war unverkennbar. Eine Viertelstunde später betrat Major Tuomi den Aufenthaltsraum. Ich winkte ihm zu, und er kam heran, um mir die Hand zu schütteln und alte Erinnerungen aufzufrischen.
Esko Tuomi und ich waren alte Bekannte. Fünf Jahre zuvor, auf der vertrackten Sirius-Patrouille, die uns fast in einen Krieg mit den VOR gestürzt hätte, war er auf der Invictus Pilot und Erster Offizier gewesen. Neuerdings, zum Major befördert, befehligte er eine Jagdgruppe der astralen Militärpolizei: das VI. Taurusgeschwader der Strategischen Raumflotte.
Major Tuomi setzte sich zu mir und ließ sich heißen Tee mit Kandis bringen. Auch er hatte nicht die Absicht, sich lange auf dem Uranus aufzuhalten. Ein Antennenschaden an seinem Zerstörer mußte behoben werden. Die übrigen Schiffe des Geschwaders hatte er im freien Raum zurückgelassen mit dem Auftrag, sich im Verbandsfliegen zu üben.
Der schwarzhaarige Finne und ich waren nie wirklich zu Freunden geworden. Was uns verband, war die Erinnerung an eine gefahrvolle Reise an das Ende des Universums, was uns voneinander unterschied, drückte sich sogar in den Äußerlichkeiten aus. Major Tuomis maßgeschneiderte Uniform ließ meinen verschlissenen UGzRR-Overall nur noch schäbiger wirken. Tuomi war durch und durch Soldat.
Durch die Ereignisse in Metropolis war sein auf die Elemente Pflicht und Gehorsam aufgebautes Weltbild angeschlagen worden.
»Eine niederträchtige Tat!« kommentierte er. »Ich würde einen Jahressold opfern, um da mal auszumisten.«
»Bisher, heißt es, weiß man nicht einmal, in welche Richtung man zu fahnden hat.«
»Was sich rasch ändern kann. Das letzte, was ich gehört habe, ist, daß man umgeschaltet hat auf den neuen ICS-Fahndungscomputer.«
»Ich denke, der Vertrag mit ICS ist noch nicht unter Dach und Fach.«
»Jetzt ist er’s. Falls wirklich, wie man befürchtet, eine Verschwörergruppe hinter dem Anschlag steht, ist der konventionelle Polizeicomputer zu langsam. Und da ICS ohnehin die Zukunft gehört, hat man in diesem Fall nicht länger gezögert.« Major Tuomi sah mich an. »Und was benutzen Sie? ICS oder konventionell?«
»Konventionell.«
»Schmeißen Sie den Plunder raus! An ICS führt kein Weg vorbei. Wir mußten’s auch tun.«
»Die Strategische Raumflotte hat das Geld dafür.«
»Lassen Sie sich von Ihren Gönnern das neue System spendieren. Auch die meisten Behörden haben’s schon eingeführt. Wenn Sie noch lange warten, Commander, wird Ihre UGzRR der berühmte Letzte sein, den die Hunde beißen.«
Major Tuomi hatte sein Teeglas geleert. Er stand auf.
»Ich denke, ich seh den Mechanikern mal auf die Finger. Sie wissen ja, wie die Burschen sind. Kaum läßt man sie aus den Augen, legen sie sich auf die faule Haut.« Major Tuomi setzte die Mütze auf. »War nett, Sie getroffen zu haben, Brandis. Sind Sie neuerdings hier in der Gegend stationiert?«
»Uniform Charlie Oskar. Raumposition Oberon.«
»Scheußliche Gegend.« Major Tuomi schüttelte sich. »Also dann – bis zum nächsten Mal, Commander! Mast und Schotbruch!«
»Gleiches für Sie, Major.«
Ich wandte mich wieder dem Brief an meine Frau, Ruth O’Hara, zu, den ich vorhin zu schreiben begonnen hatte. Gelegenheiten wie diese mußte man nutzen. Draußen auf Position war es bis zum nächsten Briefkasten ein langer Weg.
Es war mir nicht vergönnt, den Brief zu Ende zu schreiben. Auf der TV-Wand erschien erneut der Nachrichtenvorspann der Stella-TV, und jemand stellte den Ton lauter.
Stella-TV brachte einen Sonderbericht über das Attentat auf den Präsidenten.
»Wie soeben bekanntgegeben wurde, ist der heimtückische Mordanschlag weitgehend geklärt. Die schnelle Aufklärung wurde ermöglicht durch einen von der Firma ICS entwickelten neuartigen Fahndungscomputer. Der Attentäter, Serge Damo, ein Hauptmann der Präsidentengarde, konnte festgenommen werden. Inzwischen liegt auch ein erstes Geständnis vor. Damo will aus Verärgerung gehandelt haben. Offenbar fühlte er sich bei der Beförderung übergangen. Serge Damo, der Attentäter, ist Zigeuner.«
Irgendwo splitterte Glas. Ich fuhr herum. Vor Captain Romen lagen die Trümmer seines Glases. Irgend etwas war mit seinem Gesicht geschehen. Es sah aus wie gefroren. Lediglich der Schläfenmuskel zuckte. Wann hatte ich mich zuletzt der Tatsache erinnert, daß Grischa Romen Zigeuner war?
Er war einer unserer besten Kommandanten.
Auf den Bericht über das Attentat folgte ein Werbespot von ICS. Eine blonde Schönheit pries einen Haushaltscomputer an: »Technik von morgen – heute schon zu Ihren Diensten.«
Captain Romens Miene entspannte sich. Er wandte sich von der TV-Wand ab und nahm seine Unterhaltung wieder auf. Erneut vernahm ich einige Gesprächsfetzen. Captain Romen interessierte sich für die TOTAL-Technik, die Fonografie.
Im fernen Metropolis bereitete sich die Seuche vor.
Für alle diejenigen, die nicht über die Gabe verfügten, in die Zukunft zu blicken – und wer besitzt diese schon? –, blieb es ein Tag wie jeder andere. Gewiß, da hatte es diesen häßlichen Zwischenfall gegeben, aber der Präsident war mit dem Leben davongekommen, und die Gerechtigkeit nahm ihren Lauf: für ICS eine willkommene Gelegenheit, einmal mehr auf sich aufmerksam zu machen. Wahrscheinlich hatte man es der Stella-TV gegenüber an der notwendigen Aufmerksamkeit nicht mangeln lassen. Der ICS-Fahndungscomputer war groß herausgestellt worden.
Major Tuomi hatte die Entwicklung beim Namen genannt. Der technische Fortschritt eilte mit Siebenmeilenstiefeln voran. Was heute noch gepriesen wurde als unübertreffliches Meisterwerk, war oft genug schon morgen veraltet und wanderte auf den Schrott. Die Raumfahrt war ein zuverlässiger Gradmesser. Die Schiffe wurden von Jahr zu Jahr schneller, die Reisezeiten kürzer, der Aktionsradius wuchs und wuchs. Der erste bemannte Ausbruch aus unserem Sonnensystem zeichnete sich ab: mit Kurs auf Alpha-Zentauri. Neue Triebwerke, verbesserte elektronische Systeme machten das möglich.
An Bord der Raumrettungskreuzer der UGzRR war der technische Standard in der Regel auf dem modernsten Stand. Doch immer öfter stieß man, wenn man ihn nicht absacken lassen wollte, an finanzielle Grenzen. Immer häufiger bekam man es zu spüren, daß unsere autonome Gesellschaft kein kommerzielles Unternehmen war. Die Kapitaldecke war dünn.
Daß Lieutenant Levy den Aufenthaltsraum verließ, entging meiner Aufmerksamkeit. Ich hatte den Brief an Ruth O’Hara wieder zur Hand genommen. Um diese Zeit hatte ich eigentlich im Urlaub sein wollen; nun bat ich um ihr Verständnis für die Verzögerung. Wie oft hatte ich sie auf gleiche oder ähnliche Weise bereits vertrösten müssen? Erst die VEGA, nun die UGzRR. Der Beruf fraß mich auf. Aber es war nun mal mein Beruf. Einen anderen hatte ich nicht erlernt. Der größte Teil meines Lebens gehörte den Sternen. Ruth mußte sich mit dem bescheiden, was die Sterne für sie übrigließen.
Als irgendwann ein Schatten auf den Brief fiel, blickte ich auf.
»Was gibt’s, Lieutenant?«
Lieutenant Levy war es anzumerken, daß er mich nur ungern störte.
»Ich komme gerade aus dem Tower, Sir. Dort hat man vor einer Weile Verbindung gehabt mit einem norwegischen Versorger, der Odin. Also, worum es geht, Sir: Die Odin hat am Vormittag die Plattform Scout passiert und will gesehen haben, daß der Eimer trudelt. Im Tower hielt man das für wichtig genug, um mich zu verständigen.«
Auf der Plattform waren die Stabilisatoren defekt. Andererseits hatte die Bahnberechnung durch den bordeigenen Computer keine alarmierenden Werte ergeben. Mit der Räumung ließ man sich Zeit. Sollten die Stabilisatoren vollends ausgefallen sein?
»Liegt schon ein Hilfeersuchen vor?«
»Nein, Sir. Weder hier noch auf Las Lunas. Ich habe mit der Raumnotwache gesprochen. Mike Berger weiß von nichts.«
»Und was ist mit der Plattform selbst?«
Lieutenant Levy hob die Schultern.
»Tote Hose, Sir. Funkchaos im ganzen Uniform-Sektor. Da kommt man erst wieder durch, sobald sich der Energiesturm gelegt hat. Immerhin habe ich die Odin nochmal an die Strippe bekommen.«
»Und?«
»Denen ist bloß aufgefallen, daß die Plattform torkelnde Bewegungen machte. Anfangs wollen sie sich nichts dabei gedacht haben. Erst als sie ohnehin mit Uranus-Tower zu tun hatten, teilten sie die Beobachtung mit.«
Eine vage Beobachtung, nichts Genaues. An mir lag es nun, die Entscheidung zu treffen. Ich sah auf die Uhr. Die Justierung des AMS mochte um diese Zeit abgeschlossen sein. In diesem Fall sprach nichts dagegen, die uns zugefallene Raumposition Oberon sofort zu besetzen und bei dieser Gelegenheit einen Blick auf die Plattform zu werfen.
»Schön. Wir sehen mal nach dem Rechten. Besser das – als sich hinterher Vorwürfe machen zu müssen. Verständigen Sie bitte die Crew. Jeder hat Zeit, sein Glas zu leeren, aber in einer Viertelstunde möchte ich ein startklares Schiff haben.«
»Aye, aye, Sir.«
Ich stopfte den angefangenen Brief in die Tasche und ließ mich von einem halbautomatischen Zubringer zu den Rampen bringen.
Vor dem Taurus-Zerstörer war die Besatzung angetreten. Major Tuomi ging die Reihe ab. Einmal machte er eine abwehrende Bewegung. Offenbar galt sie einem Aufnahmewagen der TOTAL-Film, der ihn belästigte. Der Zubringer kurvte um das Hindernis herum und nahm Kurs auf die Henri Dunant.
Der bullige Rumpf mit dem Emblem der UGzRR – einer weißen Flagge mit dem roten Johanniterkreuz im gelben Sonnenball – schälte sich aus dem uranischen Zwielicht. Im Cockpit spiegelte sich das Wetterleuchten der energetischen Entladungen. Das fahrbare Gerüst war bereits abgebaut. Am Rande des Landefeldes stand der Peilwagen der Elektronikfirma Bach und ließ seine Tentakel spielen.
Auf der Henri Dunant war nur noch McBain, ein Ingenieur, zurückgeblieben. Ich fand ihn auf der Brücke vor, wo er mit routiniertem Fingerspiel die Klaviatur des AMS überprüfte. Als er mich bemerkte, hörte er damit auf.
»Sie wollen los, Commander?«
»Sobald Sie mir grünes Licht geben, Mr. McBain.«
McBain schaltete das AMS ab.
»Auf das Ding ist soweit wieder Verlaß, aber Sie sollten es nicht überstrapazieren. Ein neues Relais wäre fällig – bloß, ich habe keins zur Hand. Entweder ich muß Ihnen eins kommen lassen, oder Sie steuern irgendwann demnächst Bach-Venus an. Dort ist man besser sortiert.« McBain legte die Hand auf den Bordcomputer. »Darf ich?«
»Selbstverständlich.«
McBain wählte seine Firma an, und auf dem Datensichtschirm erschien die Rechnung. Ich bestätigte ihre Richtigkeit mit meinem Code, und McBain quetschte mir die Hand und ging von Bord. Am Fuß der Gangway traf er mit meinen Leuten zusammen, die aus einem Zubringer kletterten.
Captain Romen erschien auf der Brücke, überprüfte die Verriegelung der Schleuse und zwängte sich in seinen Sessel. Die Crew schien einen fröhlichen Anmarsch gehabt zu haben; die Mundharmonika, die aus Captain Romens Brusttasche lugte, war nicht zu übersehen. Wie fast allen Zigeunern saß ihm die Musik im Blut. Aus irgendeinem Grund fühlte ich mich diesmal vom Anblick der Mundharmonika unangenehm berührt. Zwar wußte der ganze UGzRR-Haufen über Captain Romens Puszta-Vergangenheit Bescheid, doch anderswo mochte er damit böses Blut heraufbeschwören. Die Leute waren nun mal, wie sie waren, und manche Vorurteile wurzelten tief.
Captain Romen entging meine Verstimmung. Seine Aufmerksamkeit galt den Vorgängen auf dem Rampengelände. Um seine Lippen spielte ein amüsiertes Lächeln.
»Major Tuomi, der Filmstar!« spottete er. »Die Rolle ist ihm geradezu auf den Leib geschrieben. Zoll um Zoll der schneidige Offizier.«
»Und wann und wo«, erkundigte ich mich, »bekommt man das Kunstwerk zu sehen?«
Captain Romen lachte. In seinen schwarzen Augen funkelte der Schalk.
»Überhaupt nicht, Sir. Die TOTAL-Film-Leute haben bloß was läuten gehört, im Zusammenhang mit der Plattform Scout, und jetzt überprüfen sie ihre Geräte. Sie wollen dann nach Möglichkeit hinter uns her, um den Absturz nicht zu verpassen.«
»Hinter uns her – womit?«
»Sie haben einen Kutter gechartert.«
»Dann geben Sie ihnen mal ein Zeichen, Captain«, sagte ich, »damit sie nicht den Anschluß verpassen. Und sagen Sie Bescheid, sobald Sie die Kiste klar haben. Ich bin im Kartenhaus.«
Das Kartenhaus, ein halbes Deck höher gelegen, hieß amtlich Navigations-Center oder auch kurz NC. Es war das Reich von Lieutenant Stroganow. Der grauköpfige, breitschultrige Sibiriak saß fluchend vor dem elektronischen Handbuch.
»Scout?«
»Fehlanzeige, Sir. Taucht nur auf im Zusammenhang mit der Mutterplattform Magellan.«
»Keine Kopfstärke?«
»Nicht aufgeschlüsselt, Sir. Das ganze Magellan-Projekt ist mit zweihundertsiebenundfünfzig Mann angegeben. Wie viele davon sich auf den einzelnen Trabanten rumdrücken, ist gesondert nicht erfaßt.« Lieutenant Stroganow sah auf. »Rechnen Sie damit, daß wir die Leute abbergen müssen, Sir?«
»Ich versuche nur, mir ein Bild zu machen: was alles auf uns zukommen könnte.«
»Ich würde sagen, Sir, das läßt sich feststellen.« Lieutenant Stroganows Drehsessel setzte sich sirrend in Bewegung. »Eine Anfrage beim Computer der Raumüberwachung Metropolis sollte genügen. Dort wird sogar gespeichert, wann und wo auf einer Plattform mal Ungeziefer aufgetreten ist.«
Lieutenant Stroganow schaltete den Bordcomputer ein und wählte das gewünschte Programm. Die Nummer hatte er im Kopf.
Unter den Sternen war er ein alter Hase – einer der wenigen, die noch zurückblicken konnten auf eine Fahrenszeit auf den astralen Windjammern, die für eine interplanetarische Reise Monate und manchmal auch Jahre gebraucht hatten. Damals war man mit vorsintflutlichen Lokomotiven als Bordcomputer ausgekommen.
»Moment noch, Sir. Etwas klappt da nicht.«
Bisher lag kein Notruf vor. Alles, was mich bewog, mir Gewißheit über die Kopfzahl der Scout-Besatzung zu verschaffen, war Routine. Ein Notfall unter den Sternen ist ein gefährlicher Feind, und je früher und gründlicher man über ihn Bescheid weiß, desto gezielter vermag man ihn zu bekämpfen. Die Henri Dunant war kein Passagierdampfer. Sie war ein Arbeitsschiff, eng und ohne allen Komfort. Und ob man nun mit ihr zwanzig oder zweihundert Leute abbergen mußte, war ein gewaltiger Unterschied.
Lieutenant Stroganow richtete sich seufzend auf.
»Tut mir leid, Sir.«
»Keine Antwort, Lieutenant?«
»Kein Kontakt, Sir. Wahrscheinlich hat auch die Raumüberwachung schon umgestellt auf ICS.«
»Und das bedeutet?«
»Das bedeutet, Sir, daß wir mit unserem Computer gewissermaßen draußen vor der Tür bleiben.«
»Ach, zum Teufel! ICS! Die drei Buchstaben gehen mir allmählich auf den Nerv.«
Ich kehrte auf die Brücke zurück und nahm meinen Platz ein. Das Triebwerk sprang an. Die Henri Dunant war klar zum Abheben. Uranus-Tower meldete sich mit der Durchsage, wir sollten warten. Captain Romen machte eine Bewegung zum benachbarten Taurus-Zerstörer hinüber. Dort fuhr soeben die Schleuse zu.
Ich rief das FK und trug Lieutenant Levy auf, die Raumnotwache Las Lunas von unserem Kontrollflug zu unterrichten.
»Aye, aye, Sir.« Lieutenant Levy bestätigte. »Steht schon auf dem Zettel. Sobald wir aus der Sturmzone heraus sind.«
Der Taurus-Zerstörer hüllte sich in Glut. Ich sah ihn steigen, höher und immer höher. Mein Blick folgte ihm, bis von ihm nur noch ein pulsierendes Glimmen zu sehen war: ein Stern unter Sternen. Man gewöhnte sich nie ganz daran. Jedesmal wenn ein Schiff abhob, spürte man schaudernd die unendliche Leere des Raumes.
Nein, ich ahnte nichts von der Seuche, die in Metropolis ausgebrochen war. Und ebensowenig ahnte ich, daß das Gesetz des Virus auch Major Tuomi bald seinen Platz zuweisen würde.
Als uns Uranus-Tower endlich den Start freigab, hätte ich schwören mögen, die Welt sei in Ordnung.
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