Grischa Romen hat sich verliebt.
Seine Verlobte Ko Ai ist allerdings eine „illegale Geburt“ und soll aus Prinzip getötet werden. Denn die VOR haben ein massives Übervölkerungsproblem und wollen keine Ausnahme zulassen.
Mark Brandis glaubt den Beteuerungen seines Testpiloten nicht, daß die Gefahr für Ko Ai riesengroß ist und verschuldet dabei ungewollt eine Menschenjagd.
Als Brandis die Gefahr endlich erkennt, tüfteln er und sein Freund Walter Hildebrandt einen Fluchtplan für Ko Ai und Romen aus.
(10) Aktenzeichen: Illegal
€6,99
Mark Brandis, Band 10
Ebook, 148 Seiten, Format Epub
Kategorie: Mark Brandis
Schlagwörter: Mark Brandis, Michalewski, Weltraumabenteuer
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Kapitel 01
Hinter mir lag ein harter, anstrengender Tag. Gegen 15.00 Uhr hatte ich Ares I nach etlichem Ärger mit der Startautomatik als startklar für den kommenden Morgen gemeldet; danach war ich in die City geflogen, um für Ruth Blumen und vor allem jene Kette aus schwarzen Perlen zu besorgen, die sie sich seit langem wünschte. Nun, im Schein der untergehenden winterlichen Sonne, kehrte ich heim.
Bevor ich den Helikopter auf dem Landedeck des turmhohen Appartementhauses aufsetzte, in dem ich eine der VEGA gehörende, geräumige Dienstwohnung bewohnte, zog ich ihn aus alter Gewohnheit noch einmal hoch, um einen Blick auf Metropolis zu werfen, diese unvergleichliche, geliebte Stadt mitten im Atlantik, auf dieses vom weißen Blütenkranz der Brandung gesäumte Denkmal menschlichen Fleißes und Wagemutes. Und wie so oft, wenn ich mich in Gedanken bereits auf einen neuen, atemberaubenden, kühnen Sturz ins All vorbereitete, zu fremden, geheimnisvollen Sternen, empfand ich noch einmal mit all meinen Sinnen, wie teuer und unersetzlich dem Menschen diese Erde ist, aus deren Lehm – so die Überlieferung – er in grauer Vorzeit entstanden ist. Wohin er auch geht: die Erinnerung an die Erde folgt ihm nach. Aus schwindelnder Höhe einen Blick auf Metropolis zu werfen war immer wieder ein Fest für meine Augen.
Als ich einschwenkte, um aufzusetzen, entdeckte ich auf dem Landedeck zu meiner Überraschung John Harris‘ schwarzen Helikopter mit der knallroten Nummer Eins. Irgend etwas, wovon ich nichts ahnte, mußte geschehen sein – denn zu einem privaten Besuch wäre Harris nicht mit einem Dienstfahrzeug der VEGA gekommen, auch wenn er als Direktor sich eine solche Freiheit durchaus hätte herausnehmen können. Oder sollte er, einer spontanen Eingebung folgend, nur kurz vorbeigekommen sein, um Ruth und mir zu unserem Hochzeitstag zu gratulieren? Ich landete mit einem unbehaglichen Gefühl.
Ruth öffnete, und ich drückte ihr die Orchideen in die Hand.
Ihre grünen Augen leuchteten vergnügt. »Für mich?«
»Für die Frau meines Lebens«, sagte ich. »Dreimal darfst du raten, wer das ist.«
Sie warf sich an meine Brust. »Mark«, sagte sie, »Mark, du bist verrückt!«
»Das«, antwortete ich lachend, »darfst du erst behaupten, wenn du dein Geschenk gesehen hast! Aber jetzt sag: was will Harris?«
Ruth löste sich aus meinen Armen und glättete ihr zerzaustes rotes Haar. »Keine Ahnung. Er hat nur gesagt, es sei wichtig. Übrigens ist er nicht allein.«
»Wer ist bei ihm?«
»Villiers.«
»Welcher Villiers? Ich kenne davon ein halbes Dutzend.«
»In diesem Fall, leider, der Villiers.«
Einen Atemzug lang fühlte ich mich überrumpelt. Meine Ahnung hatte folglich nicht getrogen. Etwas war vorgefallen: etwas von größter Tragweite und Bedeutung. Henri Villiers, in dessen Begleitung mich Harris so überraschend aufsuchte, war der Justiz- und Polizeiminister der EAAU, der Drei Vereinigten Kontinente Europa, Afrika und Amerika.
»Und auch er hat nichts angedeutet?«
»Nichts. Aber du solltest ihn nicht warten lassen.«
Der Festtag war mir verdorben.
Ich reichte Ruth das schmale, längliche Etui mit der Perlenkette. »Eigentlich«, sagte ich, »war es nicht meine Absicht, dir dein Geschenk zwischen Tür und Angel zu überreichen. Aber du siehst, die VEGA hat mich schon wieder mal in ihren Klauen.«
Ruth stellte sich auf die Zehenspitzen und drückte mir einen Kuß auf die Stirn. »Geh!« sagte sie. »Im Grunde liebst du deinen Beruf ja von ganzem Herzen. Ich mache euch inzwischen einen Kaffee.«
Als ich eintrat, erhoben sich meine beiden Besucher aus den Sesseln. Harris wandte mir sein kühles, ausdrucksloses Gesicht zu und nickte. »Gut, daß Sie endlich da sind, Commander. Ich möchte Sie mit Minister Villiers bekanntmachen.«
Villiers reichte mir seine schlanke, blasse Gelehrtenhand. »Ich bitte Sie, uns unser unangemeldetes Eindringen in Ihre private Sphäre nicht zu verübeln, Commander. Seien Sie versichert, daß ich mich zu einem solchen Schritt nicht entschlossen hätte, wenn in diesen Stunden nicht so allerlei auf dem Spiel gestanden hätte. Aber bevor ich zur Sache komme, sollten wir – Ihr Einverständnis vorausgesetzt – uns wieder setzen. Es spricht sich dann zwangloser.«
Villiers feines, vornehmes Gesicht wirkte kühl und beherrscht. Nur seine Augen, verborgen hinter einem altmodischen, goldgeränderten Zwicker, ließen mich ahnen, daß irgend etwas ihn zutiefst beunruhigte. Meine Verärgerung verflog. Man konnte Henri Villiers nicht Auge in Auge gegenüberstehen, ohne von ihm beeindruckt zu sein. Und obwohl ich an diesem 23. Januar 2076 zum ersten Mal die Ehre hatte, von ihm in ein persönliches Gespräch gezogen zu werden, spürte ich doch einen Hauch jenes Feuers, das in ihm brannte, den Atem der großen Leidenschaft, der alle seine Gedanken und Taten prägte und ihm einen unvergänglichen Platz in der Geschichte sicherte.
»Meine Frau«, sagte ich, »bereitet Kaffee. Hat unser Gespräch so lange Zeit?«
Harris schüttelte den Kopf. »Wir brauchen die Ares I, Commander, und zwar sofort.«
»Sir«, antwortete ich entgeistert, »das Schiff soll morgen seinen ersten Flug absolvieren!«
Harris zog ein wenig die Brauen hoch. »Sie brauchen mich nicht zu belehren, Brandis. Ich bin im Bilde. Leider haben sich einige Dinge ergeben, im Zusammenhang mit SALOMON 76, die eine Abänderung unseres Programmes erforderlich machen – immer vorausgesetzt, daß Sie uns Ihre Mitarbeit nicht verweigern.«
Das Stichwort war gefallen. Eine Weile blieb ich stumm, während ich mir ins Gedächtnis zurückrief, was ich alles über dieses neue Weltwunder bereits gehört, gelesen und gesehen hatte, das nur noch eines Knopfdruckes harrte, um den Menschen endlich das zu geben, wofür sie durch Jahrtausende hindurch gekämpft und gelitten hatten: den Einklang von Recht und Gerechtigkeit. Das Instrument, das diesen uralten Traum verwirklichen sollte, schwebte in dem rauchschwarzen Samt des Raumes wie ein funkelnder, zur Halbkugel geschliffener Rubin – ein von Menschenhand geschaffener gewaltiger Edelstein unter den Sternen, ein astrales Gehäuse von fast tausend Metern Durchmesser, einzig und allein dazu bestimmt, in der keimfreien, schwerelosen Zone des ewigen Schweigens den größten Computer zu beherbergen, der je erdacht und gebaut worden war: SALOMON 76.
»Ein Wort vorweg, Commander«, sagte Minister Villiers leise. »Was SALOMON 76 für die Menschen der EAAU bedeutet, brauche ich Ihnen nicht erst auseinanderzusetzen. Nur so viel: Ein neues Kapitel in der Geschichte der Justiz beginnt. Zum ersten Mal wird es geben, was es bisher zu keiner Zeit und an keinem Ort gegeben hat: absolute Gerechtigkeit.«
Der Minister sprach von seinem Lebenswerk. Für dieses riesige Elektronengehirn im Raum, das in ständiger Verbindung stand mit einer Tausendschaft von Tochtercomputern auf Erde und Venus, hatte er zwei Amtsperioden hindurch gewirkt und gekämpft, zäh, beharrlich und unermüdlich. Nach und nach war es ihm dank der Lauterkeit seiner Argumente gelungen, auch den letzten Widersacher davon zu überzeugen, daß die Zeit, in der Menschen über Menschen richten durften, endgültig der Vergangenheit angehören müßte.
»Wir brauchen uns unserer bisherigen Justiz gewiß nicht zu schämen«, fuhr Villiers halblaut fort. »Sie war so gut und so unbestechlich, wie sie sein konnte, solange Menschen in Roben ihres Amtes walteten. Aber Menschen« – der Minister hob ein wenig die Schultern – »sind und bleiben fehlbar, und mit jedem Irrtum, der ihnen unterläuft, wächst ihre Schuld, wächst ihre Unsicherheit. SALOMON 76 leitet eine neue Ära der Verbrechensbekämpfung und der Rechtsprechung ein: unfehlbar und unbestechlich, leidenschaftslos und gerecht. Wer sich gegen das Gesetz vergeht, wird bekommen, was ihm zusteht, nicht mehr und nicht weniger: angeklagt, verteidigt und abgeurteilt durch einen Computer, der mehr über diesen Menschen, seine Motive und das moralische Ausmaß seiner Schuld weiß als dieser selbst.« Villiers verstummte und warf einen Blick auf die Uhr. »SALOMON 76 ist in Gefahr, Commander. Es gibt Kräfte und Strömungen in diesem Lande, die seine Inbetriebnahme um jeden Preis verhindern wollen.«
»Ich verstehe nicht«, warf ich ein. »All das, was Sie mir soeben geschildert haben, Sir, ergibt in meinen Augen noch keinen Grund, gegen SALOMON 76 vorzugehen.«
Harris räusperte sich. »Vielleicht, Exzellenz«, schlug er höflich vor, »sollten Sie Commander Brandis, bevor Sie die Gesprächsführung an mich delegieren, noch einige weitere Einzelheiten über SALOMON 76 mitteilen – Einzelheiten, die bisher mit dem Stempel Geheim versehen waren.«
Henri Villiers neigte zustimmend die Stirn. »Sie haben recht«, erwiderte er. »Commander Brandis hat einen Anspruch auf die volle Wahrheit.«
Villiers goldgeränderter Zwicker wandte sich mir wieder zu. »SALOMON 76 ist nicht nur, wie bisher immer bekanntgegeben wurde, ein Instrument gerechter Urteilsfindung. Zugleich ist er der perfekteste Polizeiapparat, der je entwickelt wurde. Er wird aufgrund der ihm eingegebenen Informationen die Verbrechensbekämpfung in einem solchen Maß revolutionieren, daß – ich gehe jede Wette ein – innerhalb weniger Wochen jede Art von Kriminalität innerhalb der Grenzen der EAAU im Keim erstickt sein wird. Denn worauf baut ein Mensch, der das Gesetz bricht? Letztlich doch immer nur darauf, daß er unentdeckt bleibt. SALOMON 76 macht ihm einen Strich durch die Rechnung. Sobald er die erste einen Gesetzesbruch betreffende Information von einem der Tochtercomputer erhält, nimmt er unverzüglich die Fahndung auf – und von dort bis zur Aburteilung des Täters ist es nur ein Schritt. Die Polizei wird jederzeit wissen, wann und wo sie einzugreifen hat.« Henri Villiers‘ Stimme wurde lauter, als er die Vision der gerechten Zukunft noch einmal in einige wenige Worte zusammenfaßte: »Nie wieder, Commander Brandis, wird es einen Verbrecher geben, der unentdeckt sich seiner Missetat erfreut, nie wieder einen Urteilsspruch, der sich anzweifeln läßt.«
Ich schwieg. John Harris wandte sich langsam zu mir um. »Es gibt Leute, die eben dies verhindern wollen, Brandis. Und sie sind schon unterwegs. Verstehen Sie, weshalb wir Sie und die Ares I brauchen? Sie müssen diesen Leuten zuvorkommen. Der Minister und ich – wir haben das Problem hin und her erwogen. Die Strategische Raumflotte können und wollen wir nicht einschalten, um den Fall nicht mehr als nötig aufzubauschen – und von unseren eigenen schnellen Schiffen sind zur Zeit alle unterwegs beziehungsweise im Dock.«
Villiers schenkte mir ein beruhigendes Lächeln. »Ich sehe, Sie zucken zusammen, Commander! Nun, ich gebe Ihnen mein Wort: Es wird kein Kampfeinsatz! Sie sollen nicht Raumpolizist spielen – sondern einzig und allein mich und Professor Kalaschnikow, den Konstrukteur, auf dem schnellsten Weg zu SALOMON 76 bringen. Die Einweihung ist im Einvernehmen mit dem Präsidenten der EAAU um vierundzwanzig Stunden vorverlegt. Wie lautet Ihre Entscheidung, Commander?«
Einen Atemzug lang war ich unschlüssig. Ich hatte mich auf diesen Abend mit Ruth gefreut – auf diese letzte Nacht, bevor ich wieder für viele Wochen eintauchen würde in das Reich der Sterne.
»Sir«, gab ich vorsichtig zu bedenken, »Ares I ist alles andere als ein bequemes Passagierschiff. Sie ist ein Schwerer Kreuzer: eng und unbequem.«
Villiers Gelehrtenhand wischte meinen Einwand hinweg. »Das tut nichts zur Sache, Commander. Was ich erwarte, ist Schnelligkeit, kein Komfort!«
»Und wann?« fragte ich.
»Sofort«, antwortete Harris. »Ihre Crew und der Professor sind bereits an Bord. Trotzdem, ich wiederhole: Dies ist kein Befehl. Es handelt sich um eine Bitte.«
»Die ich Ihnen kaum abschlagen kann«, sagte ich seufzend und stand auf. »Sir, bei allem Respekt – Sie sind ein altes Ekel!«
Harris‘ wasserblaue Augen funkelten amüsiert. »Ich sehe, wir verstehen uns, Brandis. Wie in alten Zeiten.«
Die alten Zeiten! Auf einmal standen sie wieder vor meinen Augen: der Bürgerkrieg, die unruhvolle Nachkriegszeit, der kühne Sprung zum Uranus – stets und immer hatte es zwischen Harris und mir ein unzerstörbares Band des Vertrauens gegeben. Ich begriff, daß hinter seiner Bitte mehr stand, als er aussprach. Er war auf mich angewiesen.
Ruth erschien mit einem Tablett in der Hand. Sie brachte den versprochenen Kaffee.
»Ich hoffe«, sagte sie, »ich platze da nicht in irgendein wichtiges, geheimes Gespräch.«
Villiers erhob sich, um ihr behilflich zu sein. »Mir scheint«, sagte er, »alles, was es zu unserem Thema zu sagen gab, ist gesagt.«
Ruth richtete Ihre Augen auf mich. »Ich nehme an, du mußt fort, Mark.«
»Ja«, sagte ich.
»Und wohin?«
»Nicht allzu weit.«
»Und wann?«
»Jetzt gleich.«
Ruth machte eine hilflose Gebärde. Ihre grünen Augen schimmerten auf einmal feucht.
»Wenn es so ist, Mark – dann laß dich nicht aufhalten. Aber, bitte, paß auf dich auf! Paß auf dich auf!«
Ich nahm sie in die Arme, und sie flüsterte mir ins Ohr: »Du bist mehr als verrückt, Mark. Du bist wahnsinnig. Danke für die Perlen.«
Erst als Harris, Villiers und ich uns zu gehen anschickten, fiel ihr der Kaffee ein.
»Mark!« sagte sie. »Was fange ich jetzt mit dem ganzen Kaffee an?«
»Wenn ich zurückkomme«, antwortete ich verbittert, »wärmst du ihn auf.«
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