General Smith hat die Macht über weite Teile der Erde an sich gerissen. Mark Brandis, Pilot und neuer Commander der Delta VII, hatte mit seiner Crew auf einem der letzten scheinbar sicheren Orte im Sonnensystem Zuflucht gefunden: auf der Venus-Kolonie.
Doch der Kampf um die Venus steht kurz bevor. Mark Brandis setzt alles aufs Spiel, um die Pläne des Diktators herauszufinden und die Betroffenen zu warnen.
Der Partisanenkampf beginnt!
(2) Verrat auf der Venus
€6,99
Mark Brandis, Band 02
Ebook, 185 Seiten, Format Epub
Kategorie: Mark Brandis
Schlagwörter: Mark Brandis, Michalewski, Weltraumabenteuer
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Kapitel 01
Es gibt Tage im Leben, die sich dir so überdeutlich einprägen, daß sie in der Erinnerung untilgbar weiter existieren, was immer später auch geschieht. Du erinnerst dich an sie mit all ihren Einzelheiten, ohne daß es dazu irgendwelcher Aufzeichnungen oder anderer Gedächtnisstützen bedarf.
Ein solcher Tag war für mich dieser 2. Mai: ein Tag, der mehr als alles, was sich bislang zugetragen hatte, mein Leben verändern sollte – und nicht nur meines.
Um 06.15 Uhr war Delta VII zu einem Instrumentenerprobungsflug aufgestiegen, und nun rief uns die blecherne Lautsprecherstimme zurück zu den heimischen Kochtöpfen.
»Delta VII, Ihre Landung ist jetzt freigegeben. Setzen Sie den Anflug vollautomatisch fort. Ende.«
Ich schaltete die Automatik wieder ein, und ein gedämpfter Summton verriet mir, daß die Computer ihre Arbeit aufgenommen hatten, die bis zum Aufsetzen alle meine weiteren Handgriffe überflüssig machten, was freilich nicht bedeutete, daß ich meinen Platz verlassen durfte. Beim geringsten Anzeichen einer Störung mußte ich bereit sein einzugreifen.
Die bläuliche Bergkette der Sierra Alpina kam in Sicht mit der silbrigen Perlenschnur der Towns, die sich an ihrer Südflanke dahinwand, jener dreizehn Städte, die seit rund einem halben Jahr die unabhängige Republik Venus bildeten.
Ich griff zum Bordbuch. »Ende des Instrumentenkontrollfluges«, meldete ich. »Haben Sie etwas zu beanstanden, Lieutenant Stroganow?«
Iwan Stroganow, der Navigator, schüttelte fast unmerklich den Kopf, der an den Schläfen bereits zu ergrauen begann. »Keine Beanstandungen, Sir.«
Ich vermerkte es im Bordbuch und wandte mich an den Bordingenieur. »Lieutenant Ibaka?«
Ich konnte Antoine Ibakas schwarzes Gesicht im Spiegel sehen, als er ebenso knapp zur Antwort gab: »Keine Beanstandungen, Sir.«
Ich vermerkte es ebenfalls und füllte nun meinerseits die beiden Rubriken Commander und Pilot aus. Auch von mir aus gab es nichts zu beanstanden, wenn man von der Kleinigkeit absah, daß meine Ernennung zum Commander eine rein nominelle Angelegenheit geblieben war, da ich noch immer mein eigener Pilot sein mußte. An diesem Umstand zeigte es sich, daß die Autonomie der Venus doch ein Wagnis war, herbeigezwungen, doch keinesfalls harmonisch gewachsen. Immer stärker machte sich der Mangel an geschultem Fachpersonal bemerkbar. Der Pilotennachwuchs wurde von der Strategischen Raumflotte, die sich auf die Verteidigung vorbereitete, gierig aufgesogen, so daß für die zivile Raumfahrtbehörde VEGA und ihr Forschungsprogramm kaum jemand übrigblieb.
Um 10. 12 Uhr setzte Delta VII auf, und ich schaltete das Triebwerk ab und unterbrach die Stromzufuhr, worauf die roten und grünen Kontrolleuchten sofort erloschen.
Ibaka legte den Sicherungshebel herum und drückte auf den Knopf der Schleusenautomatik. Surrend fuhren die beiden Luken auf, und wir gingen von Bord.
Während wir in den bereitstehenden Transporter kletterten, setzte sich schon das fahrbare Gerüst mit den Monteuren in Bewegung. Delta VII wurde der üblichen Inspektion unterzogen. Flüchtig nahm ich noch wahr, daß das Gerüst längsseits ging und dann wie die beiden Schalen einer gigantischen Muschel langsam zusammenklappte, bis das Schiff von allen Seiten umschlossen war, dann schwebte der Transporter auch schon davon.
Was ich gesehen hatte, reichte aus, um jene unselige Erinnerung wieder wachzurufen, die mich oft bis in die Nächte hinein verfolgte. Es fiel mir ein, daß ich schon einmal Commander gewesen war und daß die Mißachtung eines Gerüstes, das diesem sehr ähnlich gewesen war, mich in meiner Laufbahn um Jahre zurückgeworfen hatte.
Es war damals gewesen, als die Expedition des Colonels Rublew im Raum verschollen blieb. Nur wenige Tage zuvor hatte mir VEGA das Kommando über eines ihrer Alpha-Schiffe übertragen: eine Verantwortung, der ich wohl noch nicht gewachsen war. Sonst hätte ich das Schiff wohl kaum entgegen jeder Vorschrift und besseren Einsicht aus der Inspektion herausgenommen, um mich auf eigene Faust an der Suche zu beteiligen.
Wenn ich Erfolg gehabt hätte, wäre man sicherlich milder mit mir ins Gericht gegangen, denn Erfolg ist seit je die beste Entschuldigung. Die Geschichte der Menschheit beweist es. Aber gerade der Erfolg blieb mir versagt, und schuld war ich selbst.
Die Katastrophe ereignete sich bereits beim Start.
VEGA verlor ein Raumschiff, ein Mann meiner Besatzung das Leben, ich selbst den Rang eines Commanders. Vielleicht wäre VEGA noch härter gegen mich vorgegangen, hätte nicht gerade Mangel an Piloten geherrscht. So degradierte man mich lediglich zum Captain und ließ mich weiterfliegen – unter einem fremden Commander nach dem anderen. Mich traf dies härter als eine fristlose Entlassung. Nur weil ich nicht wußte, was ich sonst hätte anfangen sollen, nahm ich diese Entscheidung hin.
Mittlerweile hatte ich Zeit genug gehabt, um meinen damaligen Fehler einzusehen, und an die Stelle meiner anfänglichen Verbitterung über die, wie ich mir einbildete, ungerechte Behandlung war das Gefühl einer nie ganz tilgbaren Schuld getreten. Manchmal träumte ich davon, und dann hörte ich im Schlaf Gordons Schreie, als die Flammen nach ihm griffen und niemand ihm helfen konnte. Meist, wenn ich aus diesen Alpträumen hochfuhr, war ich in Schweiß gebadet.
Heute, da ich auf das alles zurückblicke, bin ich mir darüber im klaren, daß Schuld und ihre geistige Verarbeitung eine wichtige Voraussetzung für den Reifeprozeß eines jeden Menschen in verantwortlicher Position ist; denn so wahr es ist, daß Irren menschlich ist, so wahr ist es auch, daß sich der Wert eines Menschen mitunter auch darin zeigt, wie er mit seiner Schuld fertig wird. Auf jeden Fall ist die Erkenntnis, einmal einen Fehler begangen zu haben, für den ein anderer mit dem Leben zahlen mußte, eine gute Bremse gegen überstürzte Entscheidungen; das wenigstens!
Manchmal in jenen Tagen, als ich noch unter dem strengen Kommando von John Harris flog, bevor er bei unserem Handstreich auf das Konzentrationslager in der Sahara sein Leben einsetzte, hatte ich mich gefragt, ob seine unerschütterliche Ruhe nicht auch die Frucht einer solchen Erfahrung gewesen sein mochte.
Die Erinnerung an John Harris war übrigens eine weitere Last, die ich zu tragen hatte, denn mehr als alle anderen hatte ich mich selbst an ihm zu messen begonnen, und je öfter ich mir diesen Spiegel vorhielt, desto schmerzhafter verspürte ich meine eigene Unzulänglichkeit.
Unterwegs im Transporter versuchte ich, die alten bösen Bilder zurückzudrängen, die der Anblick des Gerüstes in mir wachgerufen hatte, aber so recht wollte mir das nicht gelingen. Eine Weile hörte ich Stroganow und Ibaka bei ihrer Unterhaltung zu, doch meine Gedanken irrten immer wieder ab und kehrten zurück zu jenem Augenblick der Katastrophe. Es mag freilich auch eine Vorahnung des Kommenden gewesen sein – falls wir uns darauf einigen, daß es Vorahnungen geben kann.
Unter der hohen gläsernen Kuppel, die sich über der Abfertigungshalle wölbte, kam der Transporter zum Stehen, und wir stiegen aus.
Stroganow sah mich fragend an. »Liegt noch etwas vor, Sir?«
»Nichts«, sagte ich. »Grüßen Sie Ihre Frau.«
Auch Ibaka legte flüchtig die Hand an die Mütze. »Dann darf auch ich mich verabschieden, Sir?«
Meine Aufmerksamkeit galt bereits einem knochigen, grauhaarigen Mann, der auf mich zugeeilt kam, wobei er mit beiden Händen winkte, damit ich ihn auch auf keinen Fall übersah. Niemand konnte sich erinnern, wann und wie Sven Björnsen, der Stationsmeister, zu seinem Spitznamen Frau Venus gekommen war, aber überall in Astronautenkreisen war er darunter bekannt.
»Machen Sie sich einen schönen Tag, Lieutenant«, erwiderte ich. »Wer weiß, ob wir noch oft Gelegenheit dazu haben werden.«
Stroganow und Ibaka gingen Seite an Seite zum Ausgang, massiv und stämmig der eine, schlank und geschmeidig der andere, und dann war auch schon Frau Venus da und brüllte: »Gut, daß ich Sie noch zu fassen kriege, Sir. Ihr Chef hat gerade angerufen. Sie möchten ihn aufsuchen.«
Ich warf einen Blick auf die Uhr und fragte: »Hat er auch gesagt, weshalb?«
»Hat er nicht«, brüllte Sven Björnsen, der es aus unerfindlichen Gründen nie fertigbrachte, wie ein normaler Mensch zu sprechen, »nur, daß ich Sie abfangen soll, Sir, und daß es eilig ist.«
Bis zu meiner Verabredung mit Ruth verblieben mir noch knapp zwei Stunden. Ich nickte. »In Ordnung. Sie können bei ihm durchrufen. Ich bin sozusagen schon unterwegs.«
Ich wandte mich dem Ausgang zu. Sven Björnsens Stimme bewirkte, daß ich noch einmal stehenblieb.
»Commander!«
»Ja?«
»Ganz im Vertrauen, Sir: Haben Sie sich keine Gedanken darüber gemacht, weshalb Sie so lange auf die Landeerlaubnis warten mußten?«
»Nicht so sehr, daß ich Kopfschmerzen bekommen hätte.«
Sven Björnsen schneuzte sich umständlich, bevor er es mir anvertraute. »Wieder mal ein Alarmfall, Sir. Wenn Sie mich fragen: Es sieht nicht gut aus. Der General kann‘s nicht verknusen, daß wir von ihm nichts wissen wollen. Früher oder später wird er uns einen Besuch abstatten.«
Zu lange schon hatte ich unter dieser Bedrohung gelebt, um mich noch eines Alarmfalles wegen aufzuregen. So hob ich ein wenig die Schultern.
»Wenn er‘s wirklich gewollt hätte, dann hätte er‘s sicherlich längst schon gemacht. Er will uns nur in Atem halten, das ist alles.«
Björnsens Stimme wurde auf einmal brüchig. »Ich fürchte, Commander, diesmal meint er es ernst.«
Ich ging nicht weiter darauf ein, sondern ließ, eingedenk der Tatsache, daß ich mit Ruth O‘Hara zum Essen verabredet war und vorher noch eine Unterredung mit dem VEGA-Chef hatte, die unter Umständen länger dauern konnte, Björnsen stehen. Draußen vor der Halle stieg ich in ein Taxi. Unterwegs fragte ich den Fahrer: »Gibt‘s eigentlich was Neues, das man wissen müßte?«
Er wandte ein wenig den Kopf. »Nun, wenn Sie das Ultimatum meinen –«
»Was ist damit?«
»Nur, daß der General uns eins gestellt hat. Einzelheiten wurden nicht bekanntgegeben.«
»So«, sagte ich. »Der Topf ist also wieder mal voll am Kochen.«
»Fragt sich nur«, sagte der Taxifahrer, »wer sich daran die Finger verbrennt. Wissen Sie, ich hab‘ nie so recht eingesehen, warum man hier so sehr gegen den General ist. Wenn ich so an die jungen Leute denke – also, ein bißchen Zucht und Ordnung könnte denen bestimmt nicht schaden.«
Ich zündete mir eine Zigarette an, lehnte mich in meiner Ecke zurück und tat, als ob ich schliefe, während ich darüber nachdachte, wie wenig doch bei manchen Menschen genügte, um sie dazu zu bringen, alles aufzugeben, wofür allein zu leben es sich lohnte. Sicher war dieser Taxifahrer über das, was sich seit ein paar Monaten in der EAAU – der Europäisch-Amerikanisch-Afrikanischen Union – tat, nur unzulänglich informiert; nicht weil ihm die Informationen vorenthalten wurden, sondern weil er zu gleichgültig war, sie zu verarbeiten. Vielleicht würde er anders reden, wenn er die Machtergreifung des Generals am eigenen Leibe hätte erfahren müssen. Sicherlich würde er dann anders reden – oder aber zu den Nutznießern gehören, die das Symbol der Reinigenden Flamme an der Mütze trugen. Kein System kann so schlimm sein, daß es nicht immer wieder eine Gruppe von Menschen gibt, die daran profitiert.
Ich öffnete die Augen und besah mir den Taxifahrer ein wenig gründlicher. So wie er da am Steuer saß und sich auf den Verkehr konzentrierte, machte er auf mich nicht den Eindruck eines Mannes, der Gefallen daran fand, andere Menschen zu unterdrücken. Wahrscheinlich war es pure Gedankenlosigkeit, die ihn so reden ließ – doch selbst das war erschreckend genug.
Die VEGA-Zentrale lag ziemlich am Rande der Town, ein dreistöckiges, langgestrecktes Gebäude aus Glas und verschiedenen Kunststoffen: sehr streng und sehr sachlich. Die Tafel mit der Aufschrift Venus-Erde, Gesellschaft für Astronautik war erst wenige Wochen alt, eine recht unauffällige Bezeichnung für ein so wichtiges Unternehmen.
Der Fahrstuhl brachte mich in den zweiten Stock, und eine Sekretärin meldete mich an.
Als ich eintrat, kam Professor Westhoff hinter seinem Schreibtisch hervor und drückte mir die Hand. »Nehmen Sie doch Platz, Commander. Von dem Ultimatum haben Sie doch sicher schon gehört.«
Ich setzte mich. »Flüchtig, Sir. Ist es ernst zu nehmen?«
»Nichts wäre mir lieber«, sagte Professor Westhoff, während er sich mir gegenübersetzte, »als Ihre Frage mit Nein zu beantworten. Aber überlassen wir einstweilen ihre Beantwortung den Politikern und Militärs, die mehr Einsicht haben in die Zusammenhänge. Ich möchte Ihnen eine andere Mitteilung machen, die für Sie hoffentlich erfreulicher ist.«
Ich warf einen Blick auf die Akte, die er in der Hand hielt. »Ich glaube, Sir«, sagte ich, »ich rate nicht gerade meilenweit vorbei, wenn ich jetzt sage, Sie haben mir einen Piloten anzubieten.«
Er antwortete nicht gleich, sondern sah mich eine Weile lang nachdenklich an, als versuchte er, meine Einstellung zu seinem Vorschlag zu ergründen, noch bevor ich sie aussprach. In den rund hundertundsechzig Tagen der Zusammenarbeit mit ihm hatte ich ihn kennen- und respektieren gelernt. Trotz seiner verhältnismäßigen Jugend – er war noch keine vierzig – war er auf dem Gebiet der Raumfahrt ein Wissenschaftler von hohem Rang; was ihn jedoch als Leiter eines so vielschichtigen und komplizierten Unternehmens wie VEGA auszeichnete, war seine ungewöhnliche Begabung, mit Menschen umzugehen.
Er legte die Akte zwischen uns auf den kleinen Tisch. »Er erfüllt alle unsere Voraussetzungen, ist jung, erfahren und verfügt über ausgezeichnete Beurteilungen.«
»Und wieso«, fragte ich, »haben Sie ihn so plötzlich aufgetrieben, Sir?«
Professor Westhoffs Miene blieb undurchdringlich. »Wir verdanken seine Freistellung von der Strategischen Raumflotte dem ausdrücklichen Wunsch des Rats für innere und äußere Sicherheit. Das ist im Augenblick alles, was ich darüber sagen darf.«
»So«, sagte ich kühl, »und wo, wenn ich fragen darf, Sir, ist daran der Haken?«
Professor Westhoff hob leicht die Hände. »Von einem Haken ist mir bislang nichts bekannt, Commander. An dem Mann selbst gibt es, soweit ich das beurteilen kann, nichts auszusetzen. Aber die letzte Entscheidung liegt natürlich bei Ihnen. Sie sind derjenige, der mit ihm auskommen muß. Andererseits haben Sie sich wiederholt beklagt, daß VEGA Sie ohne Piloten gelassen hat.«
Das traf zu, und darum neigte ich leicht den Kopf. »Also gut, Sir. Was können Sie mir über den Mann berichten? Die Akte kann ich dann immer noch lesen.«
Professor Westhoff lehnte sich etwas zurück. »Nun«, sagte er, »zuletzt war er Ausbilder für die Piloten der Leichten Kreuzer.«
»Und zuvor?« fragte ich.
»Zuvor«, erwiderte Professor Westhoff mit einem kleinen Zögern, dem ich keine Bedeutung zumaß, »war er VEGA-Testpilot für die verbesserte Alpha-Serie. Aus seinen Personalakten geht hervor, daß er ursprünglich Bordingenieur gewesen ist und dann auf eigenen Wunsch zum Piloten umgeschult wurde.«
Es fiel mir auf, daß Professor Westhoff auf meine Antwort wartete. Ich faßte sie in einem Satz zusammen.
»Sir, wenn VEGA ihn seinerzeit für gut befunden hat, sehe ich keinen triftigen Anlaß dafür, ihn abzulehnen.«
Professor Westhoffs Züge entspannten sich. Er lächelte. »Wenn Sie mich fragen, Commander, Sie handeln sich mit ihm einen Piloten ein, wie er besser nicht sein könnte.« Er beugte sich etwas vor, drückte auf einen Knopf und sagte: »Captain Monnier kann jetzt eintreten.«
Plötzlich begriff ich Professor Westhoffs Zögern, aber bevor ich etwas sagen konnte, war Robert Monnier bereits eingetreten, und Professor Westhoff sagte: »Captain, das ist Mark Brandis, der Commander.«
Irgendwann, irgendwo hatte es geschehen müssen. Es kommt für jeden unweigerlich einmal der Augenblick, der ihn konfrontiert mit seiner Vergangenheit. Es war erst knapp eine Stunde her, daß der Anblick eines ganz gewöhnlichen Inspektionsgerüstes in mir die alten Bilder wachgerufen hatte, an die ich mich so ungern erinnern ließ.
Wenn man von den Brandnarben im Gesicht absah, hatte sich Robert Monnier seit jenem Tag der Katastrophe nur sehr wenig verändert. Er hatte mehr Glück gehabt als Gordon, der in den Flammen umkam, wenn auch nicht ganz so viel Glück wie ich. Ich war fast ohne Kratzer davongekommen, mit ihm jedoch hatten die Chirurgen lange zu tun gehabt, bis er wieder menschlich aussah. Ein Gefühl der Schwäche schien mich zu lähmen, als ich langsam aufstand und Monnier die Hand hinstreckte. »Rob, es freut mich, dich wiederzusehen.«
Captain Monnier übersah meine Hand. Er nickte mir lediglich zu und erwiderte steif: »Die Überraschung ist auf meiner Seite, Commander. Ich nehme an, wir werden miteinander auskommen müssen.«
Meine Hand fiel herab. Es war wirklich zu lange her, daß Robert Monnier und ich befreundet gewesen waren, und zu viel war seitdem geschehen. Immerhin war auch er mit Gordon befreundet gewesen. Und ich, daran ließ sich nicht rütteln, war für jenen Unfall verantwortlich. Es war für mich wie eine Erlösung, als Professor Westhoff bemerkte: »Wenn es Ihnen recht ist, Commander, wird sich Captain Monnier jetzt mit seinen neuen Aufgaben vertraut machen. Oder wollen Sie hier noch etwas mit ihm besprechen?«
Ich warf noch einen Blick auf Monniers gezeichnetes Gesicht, in das sich die Erinnerung an meine Schuld untilgbar eingebrannt hatte, und schüttelte den Kopf. »Was es zwischen uns zu besprechen gibt, hat Zeit, Sir. Wenn es dem Captain recht ist, verschieben wir es auf den Nachmittag.«
Monnier sagte eisig: »Wir sehen uns dann also am Nachmittag, Commander.« Er verabschiedete sich von Professor Westhoff und ging hinaus.
Ich zündete mir eine Zigarette an, und mir fiel auf, daß meine Hände zitterten.
Der Professor setzte sich und blickte mich ruhig an.
Ich lehnte mich gegen den Schreibtisch. »Sie haben es gewußt, Sir?« fragte ich schließlich.
»Ja«, sagte er. »Vielleicht hätte ich es ihnen sagen sollen, aber ich fürchtete, Sie würden mir dann diesen Piloten ablehnen. An Ihrer Einwilligung hat sich doch nichts geändert?«
Ich starrte dem Rauch meiner Zigarette nach, wie er von der Klimaanlage aufgesogen wurde. Ich fühlte mich noch immer überrumpelt, dazu schwach und elend und meinen Aufgaben in keiner Weise gewachsen.
»Rob«, sagte ich und verbesserte mich sofort, »ich meine Captain Monnier, ist ein ausgezeichneter Mann. Ein jeder Commander kann froh sein, ihn zum Piloten zu haben.« Es kostete mich Überwindung, den Professor anzusehen. »Er ist wirklich ein ganz ausgezeichneter Mann, Sir. Es gibt nichts gegen ihn einzuwenden.«
»Sie weichen mir aus, Brandis«, sagte Professor Westhoff, und mir schien, daß im Klang seiner Worte ein Hauch von Ungeduld mitschwang. »Ich lege Wert auf eine konkrete Antwort.«
Ich spürte, daß der Augenblick gekommen war, mich zusammenzunehmen und mich der Vergangenheit zu stellen. Es war kindisch, dazustehen und sich zu wünschen, die letzten fünf Minuten einfach ungeschehen zu machen.
»Sir«, sagte ich mit einer Stimme, die nicht die meine zu sein schien, »ich habe Ihnen meine Einwilligung gegeben.«
Professor Westhoff stand auf und legte mir leicht eine Hand auf die Schulter. »Ich habe nichts anderes von Ihnen erwartet, Commander. Glauben Sie mir: Irgendwann werden Sie selbst einsehen, daß Ihre Entscheidung gut und richtig ist.« Er lächelte verhalten. »Wo käme ein Mann hin, wenn er immer nur zurückblickte? Das gilt übrigens auch für Captain Monnier.«
Es gibt Tage im Leben, die sich dir so überdeutlich einprägen, daß sie in der Erinnerung untilgbar weiter existieren, was immer später auch geschieht. Du erinnerst dich an sie mit all ihren Einzelheiten, ohne daß es dazu irgendwelcher Aufzeichnungen oder anderer Gedächtnisstützen bedarf.
Ein solcher Tag war für mich dieser 2. Mai: ein Tag, der mehr als alles, was sich bislang zugetragen hatte, mein Leben verändern sollte – und nicht nur meines.
Um 06.15 Uhr war Delta VII zu einem Instrumentenerprobungsflug aufgestiegen, und nun rief uns die blecherne Lautsprecherstimme zurück zu den heimischen Kochtöpfen.
»Delta VII, Ihre Landung ist jetzt freigegeben. Setzen Sie den Anflug vollautomatisch fort. Ende.«
Ich schaltete die Automatik wieder ein, und ein gedämpfter Summton verriet mir, daß die Computer ihre Arbeit aufgenommen hatten, die bis zum Aufsetzen alle meine weiteren Handgriffe überflüssig machten, was freilich nicht bedeutete, daß ich meinen Platz verlassen durfte. Beim geringsten Anzeichen einer Störung mußte ich bereit sein einzugreifen.
Die bläuliche Bergkette der Sierra Alpina kam in Sicht mit der silbrigen Perlenschnur der Towns, die sich an ihrer Südflanke dahinwand, jener dreizehn Städte, die seit rund einem halben Jahr die unabhängige Republik Venus bildeten.
Ich griff zum Bordbuch. »Ende des Instrumentenkontrollfluges«, meldete ich. »Haben Sie etwas zu beanstanden, Lieutenant Stroganow?«
Iwan Stroganow, der Navigator, schüttelte fast unmerklich den Kopf, der an den Schläfen bereits zu ergrauen begann. »Keine Beanstandungen, Sir.«
Ich vermerkte es im Bordbuch und wandte mich an den Bordingenieur. »Lieutenant Ibaka?«
Ich konnte Antoine Ibakas schwarzes Gesicht im Spiegel sehen, als er ebenso knapp zur Antwort gab: »Keine Beanstandungen, Sir.«
Ich vermerkte es ebenfalls und füllte nun meinerseits die beiden Rubriken Commander und Pilot aus. Auch von mir aus gab es nichts zu beanstanden, wenn man von der Kleinigkeit absah, daß meine Ernennung zum Commander eine rein nominelle Angelegenheit geblieben war, da ich noch immer mein eigener Pilot sein mußte. An diesem Umstand zeigte es sich, daß die Autonomie der Venus doch ein Wagnis war, herbeigezwungen, doch keinesfalls harmonisch gewachsen. Immer stärker machte sich der Mangel an geschultem Fachpersonal bemerkbar. Der Pilotennachwuchs wurde von der Strategischen Raumflotte, die sich auf die Verteidigung vorbereitete, gierig aufgesogen, so daß für die zivile Raumfahrtbehörde VEGA und ihr Forschungsprogramm kaum jemand übrigblieb.
Um 10. 12 Uhr setzte Delta VII auf, und ich schaltete das Triebwerk ab und unterbrach die Stromzufuhr, worauf die roten und grünen Kontrolleuchten sofort erloschen.
Ibaka legte den Sicherungshebel herum und drückte auf den Knopf der Schleusenautomatik. Surrend fuhren die beiden Luken auf, und wir gingen von Bord.
Während wir in den bereitstehenden Transporter kletterten, setzte sich schon das fahrbare Gerüst mit den Monteuren in Bewegung. Delta VII wurde der üblichen Inspektion unterzogen. Flüchtig nahm ich noch wahr, daß das Gerüst längsseits ging und dann wie die beiden Schalen einer gigantischen Muschel langsam zusammenklappte, bis das Schiff von allen Seiten umschlossen war, dann schwebte der Transporter auch schon davon.
Was ich gesehen hatte, reichte aus, um jene unselige Erinnerung wieder wachzurufen, die mich oft bis in die Nächte hinein verfolgte. Es fiel mir ein, daß ich schon einmal Commander gewesen war und daß die Mißachtung eines Gerüstes, das diesem sehr ähnlich gewesen war, mich in meiner Laufbahn um Jahre zurückgeworfen hatte.
Es war damals gewesen, als die Expedition des Colonels Rublew im Raum verschollen blieb. Nur wenige Tage zuvor hatte mir VEGA das Kommando über eines ihrer Alpha-Schiffe übertragen: eine Verantwortung, der ich wohl noch nicht gewachsen war. Sonst hätte ich das Schiff wohl kaum entgegen jeder Vorschrift und besseren Einsicht aus der Inspektion herausgenommen, um mich auf eigene Faust an der Suche zu beteiligen.
Wenn ich Erfolg gehabt hätte, wäre man sicherlich milder mit mir ins Gericht gegangen, denn Erfolg ist seit je die beste Entschuldigung. Die Geschichte der Menschheit beweist es. Aber gerade der Erfolg blieb mir versagt, und schuld war ich selbst.
Die Katastrophe ereignete sich bereits beim Start.
VEGA verlor ein Raumschiff, ein Mann meiner Besatzung das Leben, ich selbst den Rang eines Commanders. Vielleicht wäre VEGA noch härter gegen mich vorgegangen, hätte nicht gerade Mangel an Piloten geherrscht. So degradierte man mich lediglich zum Captain und ließ mich weiterfliegen – unter einem fremden Commander nach dem anderen. Mich traf dies härter als eine fristlose Entlassung. Nur weil ich nicht wußte, was ich sonst hätte anfangen sollen, nahm ich diese Entscheidung hin.
Mittlerweile hatte ich Zeit genug gehabt, um meinen damaligen Fehler einzusehen, und an die Stelle meiner anfänglichen Verbitterung über die, wie ich mir einbildete, ungerechte Behandlung war das Gefühl einer nie ganz tilgbaren Schuld getreten. Manchmal träumte ich davon, und dann hörte ich im Schlaf Gordons Schreie, als die Flammen nach ihm griffen und niemand ihm helfen konnte. Meist, wenn ich aus diesen Alpträumen hochfuhr, war ich in Schweiß gebadet.
Heute, da ich auf das alles zurückblicke, bin ich mir darüber im klaren, daß Schuld und ihre geistige Verarbeitung eine wichtige Voraussetzung für den Reifeprozeß eines jeden Menschen in verantwortlicher Position ist; denn so wahr es ist, daß Irren menschlich ist, so wahr ist es auch, daß sich der Wert eines Menschen mitunter auch darin zeigt, wie er mit seiner Schuld fertig wird. Auf jeden Fall ist die Erkenntnis, einmal einen Fehler begangen zu haben, für den ein anderer mit dem Leben zahlen mußte, eine gute Bremse gegen überstürzte Entscheidungen; das wenigstens!
Manchmal in jenen Tagen, als ich noch unter dem strengen Kommando von John Harris flog, bevor er bei unserem Handstreich auf das Konzentrationslager in der Sahara sein Leben einsetzte, hatte ich mich gefragt, ob seine unerschütterliche Ruhe nicht auch die Frucht einer solchen Erfahrung gewesen sein mochte.
Die Erinnerung an John Harris war übrigens eine weitere Last, die ich zu tragen hatte, denn mehr als alle anderen hatte ich mich selbst an ihm zu messen begonnen, und je öfter ich mir diesen Spiegel vorhielt, desto schmerzhafter verspürte ich meine eigene Unzulänglichkeit.
Unterwegs im Transporter versuchte ich, die alten bösen Bilder zurückzudrängen, die der Anblick des Gerüstes in mir wachgerufen hatte, aber so recht wollte mir das nicht gelingen. Eine Weile hörte ich Stroganow und Ibaka bei ihrer Unterhaltung zu, doch meine Gedanken irrten immer wieder ab und kehrten zurück zu jenem Augenblick der Katastrophe. Es mag freilich auch eine Vorahnung des Kommenden gewesen sein – falls wir uns darauf einigen, daß es Vorahnungen geben kann.
Unter der hohen gläsernen Kuppel, die sich über der Abfertigungshalle wölbte, kam der Transporter zum Stehen, und wir stiegen aus.
Stroganow sah mich fragend an. »Liegt noch etwas vor, Sir?«
»Nichts«, sagte ich. »Grüßen Sie Ihre Frau.«
Auch Ibaka legte flüchtig die Hand an die Mütze. »Dann darf auch ich mich verabschieden, Sir?«
Meine Aufmerksamkeit galt bereits einem knochigen, grauhaarigen Mann, der auf mich zugeeilt kam, wobei er mit beiden Händen winkte, damit ich ihn auch auf keinen Fall übersah. Niemand konnte sich erinnern, wann und wie Sven Björnsen, der Stationsmeister, zu seinem Spitznamen Frau Venus gekommen war, aber überall in Astronautenkreisen war er darunter bekannt.
»Machen Sie sich einen schönen Tag, Lieutenant«, erwiderte ich. »Wer weiß, ob wir noch oft Gelegenheit dazu haben werden.«
Stroganow und Ibaka gingen Seite an Seite zum Ausgang, massiv und stämmig der eine, schlank und geschmeidig der andere, und dann war auch schon Frau Venus da und brüllte: »Gut, daß ich Sie noch zu fassen kriege, Sir. Ihr Chef hat gerade angerufen. Sie möchten ihn aufsuchen.«
Ich warf einen Blick auf die Uhr und fragte: »Hat er auch gesagt, weshalb?«
»Hat er nicht«, brüllte Sven Björnsen, der es aus unerfindlichen Gründen nie fertigbrachte, wie ein normaler Mensch zu sprechen, »nur, daß ich Sie abfangen soll, Sir, und daß es eilig ist.«
Bis zu meiner Verabredung mit Ruth verblieben mir noch knapp zwei Stunden. Ich nickte. »In Ordnung. Sie können bei ihm durchrufen. Ich bin sozusagen schon unterwegs.«
Ich wandte mich dem Ausgang zu. Sven Björnsens Stimme bewirkte, daß ich noch einmal stehenblieb.
»Commander!«
»Ja?«
»Ganz im Vertrauen, Sir: Haben Sie sich keine Gedanken darüber gemacht, weshalb Sie so lange auf die Landeerlaubnis warten mußten?«
»Nicht so sehr, daß ich Kopfschmerzen bekommen hätte.«
Sven Björnsen schneuzte sich umständlich, bevor er es mir anvertraute. »Wieder mal ein Alarmfall, Sir. Wenn Sie mich fragen: Es sieht nicht gut aus. Der General kann‘s nicht verknusen, daß wir von ihm nichts wissen wollen. Früher oder später wird er uns einen Besuch abstatten.«
Zu lange schon hatte ich unter dieser Bedrohung gelebt, um mich noch eines Alarmfalles wegen aufzuregen. So hob ich ein wenig die Schultern.
»Wenn er‘s wirklich gewollt hätte, dann hätte er‘s sicherlich längst schon gemacht. Er will uns nur in Atem halten, das ist alles.«
Björnsens Stimme wurde auf einmal brüchig. »Ich fürchte, Commander, diesmal meint er es ernst.«
Ich ging nicht weiter darauf ein, sondern ließ, eingedenk der Tatsache, daß ich mit Ruth O‘Hara zum Essen verabredet war und vorher noch eine Unterredung mit dem VEGA-Chef hatte, die unter Umständen länger dauern konnte, Björnsen stehen. Draußen vor der Halle stieg ich in ein Taxi. Unterwegs fragte ich den Fahrer: »Gibt‘s eigentlich was Neues, das man wissen müßte?«
Er wandte ein wenig den Kopf. »Nun, wenn Sie das Ultimatum meinen –«
»Was ist damit?«
»Nur, daß der General uns eins gestellt hat. Einzelheiten wurden nicht bekanntgegeben.«
»So«, sagte ich. »Der Topf ist also wieder mal voll am Kochen.«
»Fragt sich nur«, sagte der Taxifahrer, »wer sich daran die Finger verbrennt. Wissen Sie, ich hab‘ nie so recht eingesehen, warum man hier so sehr gegen den General ist. Wenn ich so an die jungen Leute denke – also, ein bißchen Zucht und Ordnung könnte denen bestimmt nicht schaden.«
Ich zündete mir eine Zigarette an, lehnte mich in meiner Ecke zurück und tat, als ob ich schliefe, während ich darüber nachdachte, wie wenig doch bei manchen Menschen genügte, um sie dazu zu bringen, alles aufzugeben, wofür allein zu leben es sich lohnte. Sicher war dieser Taxifahrer über das, was sich seit ein paar Monaten in der EAAU – der Europäisch-Amerikanisch-Afrikanischen Union – tat, nur unzulänglich informiert; nicht weil ihm die Informationen vorenthalten wurden, sondern weil er zu gleichgültig war, sie zu verarbeiten. Vielleicht würde er anders reden, wenn er die Machtergreifung des Generals am eigenen Leibe hätte erfahren müssen. Sicherlich würde er dann anders reden – oder aber zu den Nutznießern gehören, die das Symbol der Reinigenden Flamme an der Mütze trugen. Kein System kann so schlimm sein, daß es nicht immer wieder eine Gruppe von Menschen gibt, die daran profitiert.
Ich öffnete die Augen und besah mir den Taxifahrer ein wenig gründlicher. So wie er da am Steuer saß und sich auf den Verkehr konzentrierte, machte er auf mich nicht den Eindruck eines Mannes, der Gefallen daran fand, andere Menschen zu unterdrücken. Wahrscheinlich war es pure Gedankenlosigkeit, die ihn so reden ließ – doch selbst das war erschreckend genug.
Die VEGA-Zentrale lag ziemlich am Rande der Town, ein dreistöckiges, langgestrecktes Gebäude aus Glas und verschiedenen Kunststoffen: sehr streng und sehr sachlich. Die Tafel mit der Aufschrift Venus-Erde, Gesellschaft für Astronautik war erst wenige Wochen alt, eine recht unauffällige Bezeichnung für ein so wichtiges Unternehmen.
Der Fahrstuhl brachte mich in den zweiten Stock, und eine Sekretärin meldete mich an.
Als ich eintrat, kam Professor Westhoff hinter seinem Schreibtisch hervor und drückte mir die Hand. »Nehmen Sie doch Platz, Commander. Von dem Ultimatum haben Sie doch sicher schon gehört.«
Ich setzte mich. »Flüchtig, Sir. Ist es ernst zu nehmen?«
»Nichts wäre mir lieber«, sagte Professor Westhoff, während er sich mir gegenübersetzte, »als Ihre Frage mit Nein zu beantworten. Aber überlassen wir einstweilen ihre Beantwortung den Politikern und Militärs, die mehr Einsicht haben in die Zusammenhänge. Ich möchte Ihnen eine andere Mitteilung machen, die für Sie hoffentlich erfreulicher ist.«
Ich warf einen Blick auf die Akte, die er in der Hand hielt. »Ich glaube, Sir«, sagte ich, »ich rate nicht gerade meilenweit vorbei, wenn ich jetzt sage, Sie haben mir einen Piloten anzubieten.«
Er antwortete nicht gleich, sondern sah mich eine Weile lang nachdenklich an, als versuchte er, meine Einstellung zu seinem Vorschlag zu ergründen, noch bevor ich sie aussprach. In den rund hundertundsechzig Tagen der Zusammenarbeit mit ihm hatte ich ihn kennen- und respektieren gelernt. Trotz seiner verhältnismäßigen Jugend – er war noch keine vierzig – war er auf dem Gebiet der Raumfahrt ein Wissenschaftler von hohem Rang; was ihn jedoch als Leiter eines so vielschichtigen und komplizierten Unternehmens wie VEGA auszeichnete, war seine ungewöhnliche Begabung, mit Menschen umzugehen.
Er legte die Akte zwischen uns auf den kleinen Tisch. »Er erfüllt alle unsere Voraussetzungen, ist jung, erfahren und verfügt über ausgezeichnete Beurteilungen.«
»Und wieso«, fragte ich, »haben Sie ihn so plötzlich aufgetrieben, Sir?«
Professor Westhoffs Miene blieb undurchdringlich. »Wir verdanken seine Freistellung von der Strategischen Raumflotte dem ausdrücklichen Wunsch des Rats für innere und äußere Sicherheit. Das ist im Augenblick alles, was ich darüber sagen darf.«
»So«, sagte ich kühl, »und wo, wenn ich fragen darf, Sir, ist daran der Haken?«
Professor Westhoff hob leicht die Hände. »Von einem Haken ist mir bislang nichts bekannt, Commander. An dem Mann selbst gibt es, soweit ich das beurteilen kann, nichts auszusetzen. Aber die letzte Entscheidung liegt natürlich bei Ihnen. Sie sind derjenige, der mit ihm auskommen muß. Andererseits haben Sie sich wiederholt beklagt, daß VEGA Sie ohne Piloten gelassen hat.«
Das traf zu, und darum neigte ich leicht den Kopf. »Also gut, Sir. Was können Sie mir über den Mann berichten? Die Akte kann ich dann immer noch lesen.«
Professor Westhoff lehnte sich etwas zurück. »Nun«, sagte er, »zuletzt war er Ausbilder für die Piloten der Leichten Kreuzer.«
»Und zuvor?« fragte ich.
»Zuvor«, erwiderte Professor Westhoff mit einem kleinen Zögern, dem ich keine Bedeutung zumaß, »war er VEGA-Testpilot für die verbesserte Alpha-Serie. Aus seinen Personalakten geht hervor, daß er ursprünglich Bordingenieur gewesen ist und dann auf eigenen Wunsch zum Piloten umgeschult wurde.«
Es fiel mir auf, daß Professor Westhoff auf meine Antwort wartete. Ich faßte sie in einem Satz zusammen.
»Sir, wenn VEGA ihn seinerzeit für gut befunden hat, sehe ich keinen triftigen Anlaß dafür, ihn abzulehnen.«
Professor Westhoffs Züge entspannten sich. Er lächelte. »Wenn Sie mich fragen, Commander, Sie handeln sich mit ihm einen Piloten ein, wie er besser nicht sein könnte.« Er beugte sich etwas vor, drückte auf einen Knopf und sagte: »Captain Monnier kann jetzt eintreten.«
Plötzlich begriff ich Professor Westhoffs Zögern, aber bevor ich etwas sagen konnte, war Robert Monnier bereits eingetreten, und Professor Westhoff sagte: »Captain, das ist Mark Brandis, der Commander.«
Irgendwann, irgendwo hatte es geschehen müssen. Es kommt für jeden unweigerlich einmal der Augenblick, der ihn konfrontiert mit seiner Vergangenheit. Es war erst knapp eine Stunde her, daß der Anblick eines ganz gewöhnlichen Inspektionsgerüstes in mir die alten Bilder wachgerufen hatte, an die ich mich so ungern erinnern ließ.
Wenn man von den Brandnarben im Gesicht absah, hatte sich Robert Monnier seit jenem Tag der Katastrophe nur sehr wenig verändert. Er hatte mehr Glück gehabt als Gordon, der in den Flammen umkam, wenn auch nicht ganz so viel Glück wie ich. Ich war fast ohne Kratzer davongekommen, mit ihm jedoch hatten die Chirurgen lange zu tun gehabt, bis er wieder menschlich aussah. Ein Gefühl der Schwäche schien mich zu lähmen, als ich langsam aufstand und Monnier die Hand hinstreckte. »Rob, es freut mich, dich wiederzusehen.«
Captain Monnier übersah meine Hand. Er nickte mir lediglich zu und erwiderte steif: »Die Überraschung ist auf meiner Seite, Commander. Ich nehme an, wir werden miteinander auskommen müssen.«
Meine Hand fiel herab. Es war wirklich zu lange her, daß Robert Monnier und ich befreundet gewesen waren, und zu viel war seitdem geschehen. Immerhin war auch er mit Gordon befreundet gewesen. Und ich, daran ließ sich nicht rütteln, war für jenen Unfall verantwortlich. Es war für mich wie eine Erlösung, als Professor Westhoff bemerkte: »Wenn es Ihnen recht ist, Commander, wird sich Captain Monnier jetzt mit seinen neuen Aufgaben vertraut machen. Oder wollen Sie hier noch etwas mit ihm besprechen?«
Ich warf noch einen Blick auf Monniers gezeichnetes Gesicht, in das sich die Erinnerung an meine Schuld untilgbar eingebrannt hatte, und schüttelte den Kopf. »Was es zwischen uns zu besprechen gibt, hat Zeit, Sir. Wenn es dem Captain recht ist, verschieben wir es auf den Nachmittag.«
Monnier sagte eisig: »Wir sehen uns dann also am Nachmittag, Commander.« Er verabschiedete sich von Professor Westhoff und ging hinaus.
Ich zündete mir eine Zigarette an, und mir fiel auf, daß meine Hände zitterten.
Der Professor setzte sich und blickte mich ruhig an.
Ich lehnte mich gegen den Schreibtisch. »Sie haben es gewußt, Sir?« fragte ich schließlich.
»Ja«, sagte er. »Vielleicht hätte ich es ihnen sagen sollen, aber ich fürchtete, Sie würden mir dann diesen Piloten ablehnen. An Ihrer Einwilligung hat sich doch nichts geändert?«
Ich starrte dem Rauch meiner Zigarette nach, wie er von der Klimaanlage aufgesogen wurde. Ich fühlte mich noch immer überrumpelt, dazu schwach und elend und meinen Aufgaben in keiner Weise gewachsen.
»Rob«, sagte ich und verbesserte mich sofort, »ich meine Captain Monnier, ist ein ausgezeichneter Mann. Ein jeder Commander kann froh sein, ihn zum Piloten zu haben.« Es kostete mich Überwindung, den Professor anzusehen. »Er ist wirklich ein ganz ausgezeichneter Mann, Sir. Es gibt nichts gegen ihn einzuwenden.«
»Sie weichen mir aus, Brandis«, sagte Professor Westhoff, und mir schien, daß im Klang seiner Worte ein Hauch von Ungeduld mitschwang. »Ich lege Wert auf eine konkrete Antwort.«
Ich spürte, daß der Augenblick gekommen war, mich zusammenzunehmen und mich der Vergangenheit zu stellen. Es war kindisch, dazustehen und sich zu wünschen, die letzten fünf Minuten einfach ungeschehen zu machen.
»Sir«, sagte ich mit einer Stimme, die nicht die meine zu sein schien, »ich habe Ihnen meine Einwilligung gegeben.«
Professor Westhoff stand auf und legte mir leicht eine Hand auf die Schulter. »Ich habe nichts anderes von Ihnen erwartet, Commander. Glauben Sie mir: Irgendwann werden Sie selbst einsehen, daß Ihre Entscheidung gut und richtig ist.« Er lächelte verhalten. »Wo käme ein Mann hin, wenn er immer nur zurückblickte? Das gilt übrigens auch für Captain Monnier.«
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