Dr. West, der Halbbruder von Mark Brandis, hat einen todbringenden Bazillus erschaffen. Selber immun, ist er doch dem Wahnsinn verfallen und plant die Menschheit zu vernichten. Nachdem Ruth O’Hara in den Wirren der atomaren Katastrophe in Afrika verschollen ist, hat Brandis sich dem Alkohol zugewandt, doch Vergessen findet er nicht. Nur der Beistand seiner Freunde und die Tatsache, daß er gebraucht wird, helfen ihm über diese schwere Zeit hinweg. Brandis und sein Freund Grischa Romen machen sich auf die Jagd nach Dr. West. Sie folgen einer Spur aus Tod und Zerstörung um den ganzen Planeten. Doch stets ist ihnen Dr. West einen Schritt voraus.
(15) Die lautlose Bombe
€6,99
Mark Brandis, Band 15
Ebook, 168 Seiten, Format Epub
Kategorie: Mark Brandis
Schlagwörter: Mark Brandis, Michalewski, Weltraumabenteuer
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Kapitel 01
16.5.2079
Aus der Dunkelheit war er urplötzlich aufgetaucht – ein weißer, phosphoreszierender, muskulöser Rumpf –, und nun schwamm er im Lichtkegel des Scheinwerfers vor mir her und belästigte mein torkelndes, schwankendes Sumo mit den peitschenden Schlägen seiner tonnenschweren Schwanzflosse, während ich in der Enge der Schlucht kaum eine Möglichkeit hatte, aus dem Strudel auszubrechen.
Ich war versucht, seine Länge zu schätzen, und wußte doch, daß ich dazu nicht imstande war. Er hatte die Ausmaße eines ausgewachsenen Pottwales, aber seine dreieckige Rückenflosse war unverwechselbar die eines Hais, und ich zweifelte nicht daran, daß ich zusammen mit meinem Sumo in seinem Magen bequem Platz hatte. Am meisten bestürzte mich, daß in dieser Tiefe – mehr als viertausend Meter unter dem Meer – eine solche Begegnung nach aller Erfahrung unmöglich war. Die von tierischem Leben erfüllten lichten Regionen des Ozeans lagen fern über mir.
Der Hai war mehr als lästig. Ich war vollauf damit beschäftigt, das Sumo auf Kurs zu halten, ohne der peitschenden Schwanzflosse zu nahe zu kommen oder irgendwo anzuecken, so daß ich für meine Umgebung, die durchaus Beachtung und Bewunderung verdient hätte, kaum einen Blick hatte.
Ich befand mich auf der Talsohle einer submarinen alpinen Landschaft von unvorstellbarer Wildheit, doch nur beiläufig nahm ich zur Kenntnis, daß die zu meiner Rechten steil aufragende Felswand ein wahres Labyrinth von Höhlen und Grotten enthielt. Einige dieser gähnenden Schlünde waren mächtig genug, um ein ganzes U-Boot von der Größe der Poseidon in sich aufzunehmen.
Wie tief mochten sie sein?
Einmal unternahm ich den Versuch, in eine besonders große Höhle mit dem Scheinwerfer hineinzuleuchten. Das Licht verlor sich in der Ferne und verwandelte sich in milchigen Nebel. Aus einem dieser Gänge mußte der Hai – wahrscheinlich angelockt durch das ungewohnte Licht – gekommen sein, und nun vergnügte er sich damit, sich im kalkweißen Lichtkegel des Scheinwerfers genußvoll zu baden.
Ich warf einen raschen Blick nach oben. Das andere Sumo befand sich knapp hundert Meter über mir, ein wenig voraus. Gerade erkannte ich noch sein rubinrotes Schlußlicht. Es fuhr mit gelöschtem Scheinwerfer und hielt, während ich den Meeresboden ausleuchtete, beharrlich Ausschau.
Der Anblick des anderen Sumo wirkte auf mich beruhigend. Mein altgedienter Pilot und langjähriger Bordkamerad von der Medusa, Captain Grischa Romen, war ein zuverlässiger Begleiter. Es tat mir gut, in unregelmäßigen Abständen – wie auch in diesem Augenblick – seine aufmunternde Stimme zu hören: in jenem lässigen Plauderton, wie er zwischen uns, sobald wir uns unter vier Augen befanden, vorherrschte.
Nur für einen uneingeweihten und voreilig urteilenden Beobachter, den es zum Glück nicht gab, mochten wir beide als ungleiches Gespann erscheinen: er, der dunkelhäutige, schwarzäugige Zigeuner, und ich, sein oftmals steif und gefühlskalt wirkender Commander mit dem Beinamen der Preuße. In Wirklichkeit waren wir bestens aufeinander eingespielt, und darüber hinaus verband uns eine tiefe, wortlose Freundschaft.
»Mark!«
»Ja?«
»Netter kleiner Fisch, den du da an der Angel hast.«
»Hat irgendwie Ähnlichkeit mit einer Sardine, nicht wahr?«
»Das ist es! Und du fragst dich jetzt verzweifelt, wie du sie am besten in die Dose praktizieren kannst. Also, dafür gibt es ein bewährtes Rezept. Alles, was du benötigst, ist zunächst eine Dose, die groß genug ist ...«
Romen plauderte weiter; ich hörte nicht länger zu. Die Schlucht verengte sich, und ich konzentrierte meine Aufmerksamkeit darauf, mein Sumo hinter dem Hai her durch den Engpaß zu steuern, ohne gegen die Felswände zu stoßen.
Allmählich begann ich mich an meinen unheimlichen Weggenossen zu gewöhnen. Offenbar hatte er nichts anderes im Sinn, als sich ein wenig Licht auf seine albinoweiße Haut brennen zu lassen. Falls er böse Absichten gehabt hätte, wäre es ihm längst ein leichtes gewesen, sich herumzuwerfen und mir seine dolchgroßen Zähne zu zeigen. Es mochte sein, daß er da bereits gewisse unerfreuliche Erfahrungen gemacht hatte. Der torpedoförmige stählerne Druckkörper eines Sumos war alles andere als ein Appetithappen – nicht einmal für einen Burschen seiner Größe. Material, das dazu bestimmt war, dem ungeheuren Druck von bis zu zwölftausend Tauchmetern zu trotzen, war jedem Haizahn gewachsen. Die einzige verwundbare Partie eines Sumos war seine Ruderanlage, und darum hütete ich mich vor jeder unsanften Berührung mit Grund und Fels.
Irgendwann unterbrach ich Romens Geplauder.
»Was zu sehen?«
Die Antwort war mir vertraut.
»Nichts.«
Die Suche nach Dr. Wests Tornado war eine ermüdende Angelegenheit, denn alles, was uns an Anhaltspunkten zur Verfügung stand, war eine recht unbestimmte Meldung des Absturzortes. Nachdem wir zwei Tage und zwei Nächte lang vergebens die submarine Bergwelt mit ihren hochaufragenden Gipfeln, mit ihren gezahnten Schrunden und geröllbedeckten Plateaus nach dem Wrack abgesucht hatten, ohne auch nur eine Spur davon zu finden, nahmen wir uns nun die Schluchten und Talsohlen dieses weitverzweigten Gebirgsstocks vor. Begonnen hatten wir unsere Tauchfahrt in den zwielichtigen Wasserschichten, in denen die Rochen und die Muränen gedeihen, die glotzäugigen Barsche und die flinken Makrelen – doch nun bewegten wir uns schon seit geraumer Zeit, von der Oberfläche durch vier volle Kilometer getrennt, durch ewige Nacht.
Die Poseidon, die Romen und mich zur Absturzstelle hinaufgebracht hatte, hielt sich wohlweislich weiter oben, im freien Seeraum, oder aber sie dümpelte aufgetaucht unter strahlendem Sonnenschein an der Oberfläche und wartete ungeduldig darauf, daß wir zu ihr zurückkehrten. Und nicht minder ungeduldig wartete im fernen Metropolis der gesamte Krisenstab der VEGA auf den glückhaften Abschluß dieser ebenso unseligen wie blamablen Aktion, die sich mehr und mehr zu einem Alptraum entwickelt hatte und zu einem Wettrennen über die Kontinente.
Worauf Captain Romen und ich uns eingelassen hatten, ließ sich allenfalls vergleichen mit der berühmten Suche nach einer Stecknadel im Heuhaufen, unter erschwerten Bedingungen. Wir befanden uns hier, als unwillkommene Eindringlinge, in einem Seegebiet, das von unserem mächtigen asiatischen Nachbarn, den Vereinigten Orientalischen Republiken – VOR – beansprucht wurde, und dementsprechend unzulänglich war das von uns benutzte Kartenmaterial. Ganze Gebirgszüge, auf die wir immer wieder stießen, waren darin nur andeutungsweise enthalten.
Mit geringem Abstand bewegten wir uns langsam und vorsichtig durch eine dunkle, schweigende, menschenfeindliche Welt.
Der Albinohai war seit Stunden das erste lebendige Wesen, das in den Lichtkegel meines Scheinwerfers geriet. Aber wenn es ihm möglich war, in dieser karstigen Einöde sein Leben zu fristen, so mußte es in seiner näheren oder weiteren Nachbarschaft auch noch andere Bewohner der Tiefsee geben, von denen ich bislang nichts wußte.
Vom Ozeanologen an Bord der Poseidon war darüber nicht viel zu erfahren gewesen. Nach wie vor zählte die Tiefsee zu den von der Forschung vernachlässigten Regionen unseres Planeten – und das zu einer Zeit, in der es für die stets wache Wißbegier des Menschen selbst im Himmel kaum noch Grenzen zu geben schien. Die Fortschritte, die die Raumfahrt allein im letzten Jahrzehnt gemacht hatte, waren gewaltig. Ein Flug zur Venus zählte nur noch nach Tagen, ein Abstecher zum Mond war kaum der Rede wert. Aber unter dem blauen Spiegel der Ozeane harrten noch immer Geheimnisse und Überraschungen. Ein knappes Dutzend submariner militärischer Stützpunkte war alles, was die EAAU in den Tiefen der Weltmeere unterhielt. Im Sumo begann es kalt zu werden. Ein Schauer überlief mich. Ich warf einen Blick auf das Thermometer.
Die Innentemperatur war rapide gefallen und entsprach nunmehr derjenigen des Wassers, durch das ich mich bewegte: vier Grad über Null. Kein Wunder, daß ich fror.
Dazu machte sich Feuchtigkeit bemerkbar. Irgendwo – in der Gegend meiner Füße – mußte es eine undichte Stelle geben. In höheren Wasserschichten hatte sich das nicht ausgewirkt; nun jedoch, unter dem Druck der Tiefe, drang Wasser in das Fahrzeug ein. Viel konnte es nicht sein, doch sicherlich genug, um mich für die empfindliche Elektronik fürchten zu lassen. Aber das Leck blieb für mich unerreichbar. Wohl oder übel mußte ich mich, wenn ich nicht aufsteigen wollte, mit seiner Existenz abfinden.
In der engen Röhre ruhte ich in der gestreckten Position eines Rennrodlers: bäuchlings, mit vorgeschobenen Armen und leicht gespreizten Beinen; ich konnte mich weder aufrichten noch umdrehen. Um nach beendeter Tauchfahrt auszusteigen, mußte ich das achterliche Verschlußstück entriegeln; danach konnte ich mich dann mit den Füßen voraus Zoll um Zoll aus dem stählernen Verlies zwängen.
Im Prinzip war ein Sumo lediglich ein lenkbarer Torpedo mit Düsenantrieb auf atomarer Basis und einer Wiederaufbereitungsanlage für die Atemluft. Zugleich jedoch war es flink, wendig und äußerst druckfest: das ideale Gefährt für eine zeitlich und räumlich begrenzte Tiefseeexpedition. Rein theoretisch konnte man damit einen ganzen Ozean durchmessen, ohne je den Meeresboden aus den Augen zu verlieren – sofern sein Insasse es über sich brachte, eine Woche lang auf Essen und Trinken und jegliche Hygiene zu verzichten.
Wichtig für Captain Romen und mich war auch der Umstand, daß unsere Sumos mit steuerbaren Greifern ausgerüstet waren, deren Geschicklichkeit, bei entsprechender Bedienung, der menschlicher Hände kaum nachstand. Die Marine benutzte diesen Sumo-Typ bevorzugt bei unterseeischen Rettungs- und Bergungsaktionen, sofern diese in Tiefen erfolgen mußten, in denen sich der Einsatz von Tauchern verbot.
Der Hai, in dessen Kielwasser ich mich vier oder fünf Meter über dem Meeresboden durch die Schlucht bewegte, schien seines Spieles mit dem Scheinwerfer müde geworden zu sein. Er drehte plötzlich ab und glitt in eine der torgroßen Öffnungen zu meiner Rechten. Ich war froh, ihn losgeworden zu sein. Auf die Dauer waren die Turbulenzen, die er verursachte, mehr als lästig: sie erschwerten die exakte Navigation und trübten die Sicht. Jedesmal, wenn sich die gewaltige Schwanzflosse bewegt hatte, war eine Welle von Erschütterungen durch das Sumo gelaufen – und ein paar Mal war ich dabei der auswuchernden Felswand bedrohlich nahe gekommen.
Über mir bemerkte Romen sarkastisch:
»Sieht fast aus, als hättest du dir gerade eine Delikatesse entgehen lassen, Mark.«
Für ihn, aus seiner gefahrlosen Vogelperspektive, mußte das seltsame Zwiegespann ein erheiternder Anblick gewesen sein.
»Wenn du Wert auf sie legst«, erwiderte ich, »kannst du sie dir gleich selber angeln. Da ist das Biest schon wieder.«
Unmittelbar vor mir war der Hai wieder zum Vorschein gekommen, wie ausgespien von der Felswand. Das ganze Massiv zu meiner Rechten mußte, wenn ich diese Beobachtung richtig deutete, aus einem wabenförmigen Labyrinth miteinander verbundener Höhlen und Gänge bestehen. Der Berg war porös wie ein Schweizer Käse. Ein besserer und treffenderer Vergleich fiel mir nicht ein. Zum ersten Mal, seitdem ich mich dem Sumo anvertraut hatte, empfand ich einen Anhauch von Beklemmung. Was immer sich auch in den Höhlen und Gängen verbergen mochte – an Getier, an pflanzlichem Leben, an Fischen, Kraken und Monstern –, es übertraf, falls es existierte, meine Vorstellungskraft. Der Albinohai – so viel wußte ich bereits über ihn – war ein echter Bewohner dieser verwunschenen, verdammten, zu ewiger Dunkelheit verurteilten Welt. Ihm fehlten die Augen. Mit welchen Sinnen er auf das Licht des Scheinwerfers reagierte, blieb mir ein Rätsel.
Auch Romen schien sich unbehaglich zu fühlen. Er bemerkte:
»Sag bloß, das Biest ist durch den Berg geschwommen.«
»Mitten hindurch«, antwortete ich. »Und das mindestens eine Meile weit.«
Romens Stimme büßte ihre Forschheit ein:
»Sollte mich nicht wundern, wenn da gleich einer mit Hörnern und Pferdefuß rauskommt. Tief genug sind wir wohl.«
Ich war zu keiner spaßigen Antwort mehr fähig. Die Eiseskälte begann mich zu lähmen. Ich fror so sehr, daß meine Zähne im Krampf aufeinanderschlugen.
Das einsickernde Wasser mußte die Heizung lahmgelegt haben: an sich ein geringfügiger Schaden, der keinerlei Einfluß hatte auf die navigatorischen Eigenschaften des Sumos, aber immerhin ernsthaft genug, um mir den Aufenthalt unter Wasser zu verleiden.
Es war höchste Zeit, die Sache abzubrechen und für die Dauer der erforderlichen Reparatur zur Poseidon zurückzukehren, aber der Entschluß hierzu wollte mir nicht über die Lippen. Zuviel stand auf dem Spiel.
Die Zeit war ein kostbares Gut, und jeder zusätzliche Tag, den man mit der Suche vergeudete, konnte das Gelingen der Aktion in Frage stellen. Daran, was ein Scheitern bedeuten mochte, wagte ich nicht einmal zu denken. Wir hatten es mit dem gefährlichsten und heimtückischsten Gegner zu tun, den sich menschliche Phantasie ersinnen konnte: mit dem Produkt der Retorte.
Der Goodman-Bazillus: das war der schwarze Tod. Indem ich seinen Spuren gefolgt war, hatte ich ihn kennen und fürchten gelernt. Mit ihm verglichen war der Pestbazillus des Mittelalters ein harmloser Stoff. Und irgendwo in diesem Meeresgebiet war er gelagert und wartete auf seine Stunde, um sich nach allen Himmelsrichtungen hin auszubreiten und die Erde in einen Friedhof zu verwandeln: in einem unzulänglich gesicherten Behälter aus der ursprünglich keimfreien Umgebung eines astralen Labors, an dem inzwischen das Seewasser zehrte, umschlossen von den Trümmern der Tornado, mit der sich Dr. West der Verfolgung und der menschlichen Gerichtsbarkeit entzogen hatte, indem er sich ins Meer stürzte.
Meine Aufgabe war es, die Tornado zu finden, den Behälter zu bergen und zu vernichten. Hinter dieser Aufgabe hatte alles zurückzustehen: auch mein persönliches Wohlbefinden.
»Schwierigkeiten, Mark?«
»Warum?«
»Mir scheint, du hast verlangsamt.«
Romen hatte recht. Ich hatte tatsächlich verlangsamt. Die Kälte setzte mir zu und beeinträchtigte meine Konzentration. Und in dieser Schlucht konnte jeder Fahrfehler zum Verhängnis werden.
»Hör zu«, erwiderte ich gereizt, »mir ist nicht nach Konversation zumute. Mein Sumo läuft allmählich voll, und zudem ist die Heizung ausgefallen. Genügt dir das als Erklärung?«
Romens Stimme klang besorgt:
»Mark, ein Wort von dir – und wir kehren um! Oder noch besser: du kehrst um, und ich suche allein weiter.«
Der Gedanke, den Freund allein auf dem Meeresgrund zurückzulassen, behagte mir nicht. Gemeinsam waren wir in die Unterwelt hinabgestiegen, und gemeinsam würden wir auch zur gegebenen Zeit zur Poseidon zurückkehren. Wo, falls sich in dieser Tiefe ein Unfall ereignete, sollte man den allein Zurückgebliebenen suchen? Und gegen einen Unfall war niemand gefeit. Mir blieb keine andere Wahl, als mich zusammenzureißen.
»Grischa, wir bleiben beisammen!«
»Aber du frierst dich zu Tode!«
»Noch halte ich‘s aus. Auf jeden Fall bleiben wir beisammen.«
»Und suchen weiter?«
»Und suchen weiter! Ist das klar?«
Romens Antwort kam mit einiger Verzögerung:
»Aye, aye, Sir.«
Um meine Gedanken von der Eiseskälte abzulenken, konzentrierte ich mich auf die Positionsbestimmung. Die Positionsnahme war mehr als schwierig. Das Kartenmaterial war keine Hilfe. Drei oder vier Stunden lang waren wir kreuz und quer durch das Gewirr der Schluchten gefahren. Alles lief auf eine grobe Schätzung hinaus – und das war immer noch trostvoller als das Eingeständnis, die Orientierung verloren zu haben. Das einzige, was ich mit Gewißheit wußte, war meine augenblickliche Tiefe: 4117 Meter. Im Zusammenhang mit der Karte war das zumindest ein Anhaltspunkt.
Später, sobald ich aus dieser vertrackten Bergwelt heraus war, konnte ich mich von der Poseidon einpeilen lassen, vorerst bestand zu ihr keine Verbindung. Weder vermochte ich sie zu erreichen, noch war es ihr möglich, mich mit ihren elektronischen Augen und Ohren aufzuspüren. Die Felsmauern, zwischen denen sich mein Sumo bewegte, wichen auf einmal zurück, und der Hai, dem ich bislang so beharrlich gefolgt war, entschwand aus dem Lichtkreis meines Scheinwerfers. Eben noch war er vor mir gewesen: nun jedoch vollführte er eine ungestüme Wendung nach links und verlor sich in pechschwarzer Finsternis. Ich nahm die Fahrt aus dem Sumo und legte es behutsam auf Grund. Ein leises Scharren war zu hören, dann lag es fest auf ebenem Kiel und rührte sich nicht mehr.
Ich hatte mich nicht getäuscht. Die Schlucht tat sich an dieser Stelle auf und mündete in ein Tal, das ich, so sehr ich den Scheinwerfer auch drehte, nicht auszuleuchten vermochte.
Was sich dem Auge an Informationen anbot, war nicht viel. Der Talboden war eben und mit feinem Sand bedeckt. Nach vorne zu – und das bedeutete nach Nordwesten – schien er sich zu senken. Vegetation war nirgendwo zu sehen. Hinter mir lag das Gebirge, vor mir die Wüste.
»Grischa!«
Der Klang meiner Stimme blieb ohne Echo. Ich bekam keine Antwort.
»Captain Romen!«
Das andere Sumo schien mich nicht zu hören – oder irgend etwas, von dem ich noch nichts wußte, hinderte es daran, meinen Ruf zu erwidern. Ich hob den Kopf und spähte aufwärts – dorthin, wo es sich, falls Romen mich nicht aus den Augen gelassen hatte, zu diesem Zeitpunkt befinden mußte. Das rubinrote Leuchten des Schlußlichts war nicht zu sehen.
Unruhe wollte von mir Besitz ergreifen, doch es gelang mir, sie im Zaun zu halten. Dafür, daß die beiden Sumos sich voneinander getrennt hatten, mochte es eine einfache und vernünftige Erklärung geben. Die wahrscheinlichste war die, daß Romen damit beschäftigt war, irgendein Hindernis zu umschiffen, und sich dabei für eine Weile in Funklee befand. Früher oder später mußte er mich einholen – und um das zu tun, brauchte er lediglich dem Verlauf der Schlucht zu folgen. Folglich war ich gezwungen, auf ihn zu warten. Andererseits – so überlegte ich – konnte ich aus Gründen des Zeitgewinnes auch auf eigene Faust einen Vorstoß in das Tal hinein wagen.
Ich beschloß, eine Minute zu warten, dann aber, sofern Romen noch immer nicht zur Stelle sein sollte, die Fahrt fortzusetzen.
Der Minutenzeiger drehte sich einmal um seine Achse. Ich wiederholte meinen Ruf:
»Grischa, bitte melden.«
Romens Sumo blieb auch diesmal stumm. Nun, da ich zur Untätigkeit verurteilt war, zitterte ich vor Kälte am ganzen Leibe. Jedes längere Verweilen an diesem Ort zehrte an meinen Reserven. Noch einmal schickte ich, bevor ich aufbrach, eine Botschaft hinaus:
»Grischa, ich fahre jetzt in das Tal hinein und kehre dann zum Eingang der Schlucht zurück. Das ist dann unser Treffpunkt.«
Um vollends sicherzugehen, hinterließ ich, bevor ich die Fahrt fortsetzte, am Ort meines vorübergehenden Verweilens eine elektronische Markierungsboje mit der gespeicherten Mitteilung. Romen konnte sie, falls er mir folgte, nicht verfehlen. Das Sumo schwebte auf. Während ich es langsam in das Tal hineinsteuerte, hielt ich es knapp über dem sandigen Grund.
Zwei oder drei Meilen mochte ich auf diese Weise zurückgelegt haben, langsam, fast unmerklich sinkend, als im Licht des Scheinwerfers urplötzlich ein Schatten auftauchte, den ich zunächst für eine Felsnadel hielt. Einen Atemzug später durchzuckte mich die Erkenntnis, daß ich am Ziel der Suche angelangt war, wie ein elektrischer Schlag.
In einer Tiefe von 4213 Meter unter dem Meer erhob sich vor dem Bullauge meines Sumos, einem ägyptischen Obelisken in der Wüste vergleichbar, das Wrack der Tornado.
Nachdem ich es einige Male umkreist hatte, setzte ich das Sumo auf Grund und ließ den Scheinwerferstrahl über das verbeulte Metall wandern. Das Flugschiff befand sich in einem trostlosen Zustand, aber dank des Umstandes, daß das Cockpit – offenbar als Folge des Aufpralles – herausgesprengt worden war, hatte es dem Druck der Tiefe standgehalten wie eine entkorkte Flasche. In seinem Inneren stand schwarz und unbeweglich das Wasser.
Ich richtete den Scheinwerferstrahl auf das Kommandopult. Die beiden Sessel dahinter waren leer –, die Gurte hatten sich, dem Gesetz des Auftriebs gehorchend, hochgestellt. Dr. Wests Leichnam, folgerte ich, war aufgeschwommen und befand sich nun, für mich zunächst unerreichbar, irgendwo im Schwanzende der Maschine –, und dort schwebte aller Wahrscheinlichkeit nach auch der gesuchte Behälter.
Für den Augenblick war ich hilflos, aber mit der Unterstützung durch das andere Sumo sollte es mir möglich sein, ein zusätzliches Leck in den Rumpf zu schneiden und den Behälter herauszuholen. Die Tornado selbst mochte auf dem Meeresboden verbleiben, desgleichen Dr. Wests Leichnam. An beiden war niemand interessiert. Das Schiff lohnte die Bergung nicht mehr, und Dr. West hatte seine letzte Ruhestätte selbst erwählt. Mochte er in Frieden ruhen und auf den Tag der Auferstehung warten, an dem ihm Gerechtigkeit widerfahren würde. Dafür, daß er auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn als gefeierter Biochemiker zum weltbedrohenden Ungeheuer geworden war, traf ihn keine Schuld.
Mittlerweile mußte Romen meine Boje gefunden haben, und die Wahrscheinlichkeit sprach dafür, daß er sich in deren Nachbarschaft auf Grund gelegt hatte und nun gehorsam auf meine Rückkehr wartete. Ich rückte das verrutschte Kehlkopfmikrofon zurecht.
»Grischa!«
Im allgemeinen war die Verständigung zwischen den beiden Sumos, auch über größere Entfernungen hinweg, laut und deutlich. An diesem Tage gab es zum ersten Mal Schwierigkeiten. Die Verbindung zu Romens Sumo blieb abgebrochen; der nachtdunkle Ozean verschluckte meinen Ruf und gab keine Antwort.
»Captain Romen, bitte melden!«
Erneut überkam mich Unruhe, und diesmal versuchte ich gar nicht erst, ihrer Herr zu werden. Ich vergaß über meiner Sorge sogar meinen eigenen erbärmlichen Zustand. Die Kälte machte mir auf einmal weit weniger zu schaffen als meine Ratlosigkeit. Ich wurde mir der Schwierigkeit bewußt, in diesem nachtdunklen Abgrund des Ozeans eine abgebrochene Verbindung herzustellen. Meine Theorie, daß Captain Romen beim Umschiffen eines Hindernisses vorübergehend in Funklee geraten wäre, erwies sich als hinfällig. Zuviel Zeit war mittlerweile vergangen.
Irgend etwas Ernsthafteres mußte ihm widerfahren sein, das ihn zum Schweigen verurteilte: ein technischer Defekt oder auch ein Unfall. Auch menschliches Versagen kam in Betracht. Der Umstand, daß Grischa Romen ein erfahrener Pilot unter den Sternen war, machte ihn noch längst nicht zu einem perfekten Aquanauten. Nachdem ich eine weitere Markierungsboje geworfen hatte, die es mir ermöglichen sollte, das Wrack der Tornado auf Anhieb wiederzufinden, trat ich den Rückzug an.
Und dabei geschah es: überraschend, bestürzend und gefahrverheißend.
Ich ließ das Sumo aufschweben und legte es auf südöstlichen Kurs – und fast in der gleichen Sekunde verwandelte sich das eben noch nachtdunkle Meer in gleißende Helligkeit. Es war wie eine Explosion.
Aus der Tiefe des Tales heraus brach urplötzlich ein weißgelbes Lichtbündel, heller als tausend gekoppelte Sumo-Scheinwerfer zusammen, und der Ozean wurde auf einmal milchig-transparent. Ein Instinkt, der jeder nüchternen Überlegung zuvorkam, ließ mich handeln. Ich legte das Sumo wieder auf Grund und löschte Scheinwerfer und Positionsbeleuchtung.
Die fremde Lichtquelle schien im Meeresboden selbst enthalten zu sein. Sie wurde von den verschiedenen Wasserschichten gebrochen und zurückgeworfen, so daß rings um mich her das Gelände taghell ausgeleuchtet war. Der sandige Boden, auf dem mein Sumo lag, war glatt, als wäre er gefegt. Darauf verstreut lagen kohlkopfgroße Muscheln von einer Farbenpracht, wie ich sie noch nie zuvor gesehen hatte.
Zu meiner Linken, in einiger Entfernung, erhob sich ein klobiger, nahezu würfelförmiger Felsen, der meiner Aufmerksamkeit bisher entgangen war. Auf ihm wuchs eine einzelne, zitternde, faserartige Algenstaude. Das grelle Licht war peinigend und qualvoll, und noch während ich die Hand zum Schutz über meine geblendeten Augen warf, entdeckte ich das an mir in einer steilen schrägen Bahn abwärts vorüberziehende große Raumschiff.
Die Art und Weise, wie ich auf diese Entdeckung reagierte, war völlig unsinnig: Mein Körper verkrampfte sich, und ich hielt den Atem an.
In seinen Ausmaßen entsprach das Schiff einem astralen Transporter, aber die Konstruktion war die eines Passagierschiffes. Cockpit und Bullaugen waren hell erleuchtet. Dahinter erkannte ich schemenhafte Gesichter.
Das Schiff nahm von meinem Sumo keine Notiz. Es stieß an mir vorüber und versetzte das Wasser in vibrierende Unruhe – und dann schien es in den Meeresboden einzufahren. Zurück blieb nichts als eine perlende Blasenbahn. Gleich darauf erlosch das Licht.
Zwei, drei Atemzüge lang hatte ich damit zu tun, mein ausbrechendes Sumo wieder unter Kontrolle zu zwingen. Danach erst war es mir möglich, meine Gedanken zu ordnen.
Von Kopf bis Fuß war ich mit kaltem Schweiß bedeckt, obwohl ich mir die ganze Zeit über vorgehalten hatte, daß kein Anlaß zur Panik bestand. Kein Ungeheuer der Tiefsee hatte es auf mich abgesehen.
Was ich soeben beobachtet hatte, war ein perfektes Stück moderner Technologie. Ein heimkehrendes Raumschiff hatte den Meeresspiegel durchbrochen und war auf dem Grund des Ozeans gelandet. Der Vorfall war erregend genug, um meine Sorge um Captain Romen für eine Weile in den Hintergrund zu drängen.
Was bisher nur hier und da gerüchteweise an mein Ohr gedrungen war, hatte sich bestätigt. Die Techniker der VOR waren den unseren auf dem submarinen Sektor um einiges voraus. Ich nahm mir die Muße, meinen nächsten Schritt zu Überdenken.
Selbst wenn sich Romen in einer Notlage befinden sollte, die er nur mit meiner Hilfe zu meistern vermochte, brauchte damit nicht unbedingt Lebensgefahr verbunden zu sein. Die Sumos waren robuste Unterwasserfahrzeuge, denen der Wasserdruck, selbst beim Ausfall des Antriebs, nichts anhaben konnte. Auf ein paar Minuten mehr oder weniger kam es folglich bei der Suche nach seinem Verbleib nicht an. Im schlimmsten Fall mochte er – wie ich das bereits tat – unter der Kälte leiden.
Da ich keinen Grund hatte, anzunehmen, bemerkt worden zu sein, beschloß ich, die Gelegenheit beim Schopf zu ergreifen und einen Blick auf die Rampe zu werfen.
Vom grellen Licht geblendet, hatte ich davon nur undeutliche Umrisse wahrgenommen, aber ich war bereit zu wetten, daß sich im sandigen Talboden ein kreisrunder Schacht aufgetan hatte, um das landende Schiff aufzunehmen.
Was das bedeutete, lag auf der Hand.
Ich befand mich in der unmittelbaren Nachbarschaft einer geheimen Basis.
Was mich dazu trieb, auf Kundschaft auszugehen, war mehr als Wißbegier. Gewiß war ich als Reserveoffizier der Strategischen Raumflotte der EAAU an den militärischen Geheimnissen des potentiellen mächtigen Gegners stets interessiert, doch in diesem Fall verband sich mit meinem Entschluß eine höchst nüchterne Überlegung. Die Bergung des Behälters aus dem Wrack der Tornado mußte sich zwangsläufig unter einer wahren Orgie von Licht vollziehen, und bevor ich mich an diese Arbeit wagte, war es nur angebracht, sich darüber zu informieren, was alles sich in der näheren Umgebung des Wracks verbarg.
Ich löste das Sumo vom Grund und nahm Kurs auf die Talsohle, wo ich die Rampe vermutete. Diesmal fuhr ich mit gedrosseltem Antrieb, mit der Geschwindigkeit eines Fußgängers, wobei ich darauf achtete, stets knapp über dem Meeresboden zu bleiben. Sämtliche Lichter blieben gelöscht. Radar und Echolot waren meine einzigen Navigationsmittel. Falls es in diesem Seegebiet so etwas gab wie eine elektronische Überwachung, mochte man mein Sumo für einen großen Fisch halten, der den sandigen Boden nach Nahrung absuchte. Der Antrieb verursachte nicht das leiseste Geräusch. Nach fünf oder sechs Minuten nahm meine Pirschfahrt ein jähes Ende.
In einem Anfall von verbissener Wut mußte ich feststellen, daß ich mich zu sicher gewähnt hatte. Wer immer auch diese submarine Rampe betrieb – er war auf der Hut, und der Trick mit dem großen Fisch hatte für ihn einen Bart so lang wie der von Methusalem.
Auf mich zu bewegte sich, dem Meeresboden urplötzlich entwachsen, ein Halbkreis von matt phosphoreszierenden Lichtern. Was mit diesen Lichtern gekoppelt war, ließ sich nicht ausmachen; aber ich zweifelte keinen Augenblick daran, daß ich am besten dies gar nicht erst herauszufinden versuchte.
Einige Sekunden lang war ich unschlüssig. Die Versuchung, die Flucht zu ergreifen – zurück in die Wildnis der Berge oder sogar zur Oberfläche, wo die schwerbestückte Poseidon wartete –, war nahezu übermächtig; dennoch wußte ich, daß ich ihr widerstehen mußte, denn jeder Versuch, das Heil in der Flucht zu suchen, hätte meine Lage nur verschlimmert. Ich wäre nicht umhin gekommen, meine Anwesenheit zu erkennen zu geben, und damit hätte ich die Verfolger erst recht auf meine Spur gesetzt. Einstweilen schienen sie, wie mir das Hin und Her der Lichter signalisierte, ihrer Sache noch längst nicht sicher zu sein. Die Möglichkeit bestand immerhin, daß sie lediglich auf einen vagen Verdacht hin ausgerückt waren und sich nun damit begnügten, die Umgebung der Rampe oberflächlich abzusuchen.
Folglich tat ich besser daran, mich nach einem Versteck umzusehen und mich dort für eine Weile still zu verhalten, in der Hoffnung, unentdeckt zu bleiben.
Das einzige Versteck, das sich mir bot, war der würfelförmige Felsen. Ich steuerte ihn an, und unmittelbar bevor mein Sumo ihn berührte, nahm ich die Fahrt zurück.
Mit etwas Glück sollte ich in dieser Position, fast hautnah an das glatte Gestein geschmiegt, im Falle, daß man mich doch bemerkte, für ein abgesprengtes Wrackteil der Tornado gehalten werden. Auf einmal wurde mir wieder bewußt, wie sehr ich fror.
Das Warten war qualvoll. Gegen die Lichter war ich zwar durch den Felsen gedeckt; andererseits befand ich mich in der Situation eines im Grase zusammengekauerten Hasen, der blind und passiv die Treibjagd über sich ergehen ließ. Nachdem ich eine Viertelstunde abgewartet hatte, riskierte ich es schließlich, einen vorsichtigen Blick um die Ecke zu werfen.
Der Halbkreis der Lichter hatte sich in eine keilförmige Formation verwandelt, die nach Südosten strebte – in die Richtung, aus der ich gekommen war.
Meine List schien aufzugehen. Der Suchtrupp nahm an, daß ich mich zurückgezogen hatte, und nun beeilte er sich, mir den Fluchtweg zum Gebirge zu verlegen.
Ich legte den Rückwärtsgang ein, um mein Sumo wieder in den Schutz des Felsens zu manövrieren. Als es leicht dagegen stieß, gab es ein kurzes scharrendes Geräusch. Auf einmal fühlte ich mich von Entsetzen geschüttelt. Drei Meter über mir verwandelte sich die glatte Felswand in ein Dutzend erleuchteter Bullaugen.
Vom Regen war ich geradewegs in die Traufe geraten. Was ich für einen algenbewachsenen Felsen gehalten hatte, war in Wirklichkeit ein antennenbestückter submariner Gebäudekomplex aus seewasserbeständigem Beton.
Sechs oder sieben Schiffslängen von mir entfernt tat sich eine rechteckige Schleuse auf. Ich sah gleißendes Licht – und ich wußte, daß auch ich zu sehen war. Das Versteckspiel war zu Ende. Ich stieß den Fahrthebel nach vorn, und während das Sumo aufschwebte, katapultierte ich es in die Dunkelheit hinein. Es war zu spät.
Ein aufflammender Scheinwerfer erfaßte mich, und indem er mich in sein gleißendes, unbarmherziges Licht tauchte, aus dem es kein Entrinnen gab, enthüllte er meinen Augen zugleich, was ich bislang nicht bemerkt hatte.
Rasch und zielstrebig bewegte sich eine Formation schwarzer Objekte auf mich zu, und an ihrer Spitze schwamm mein alter Bekannter, der riesige Albinohai.
Die Formation kam heran, verstellte mir den Weg und fiel wie auf Befehl auseinander, und mit einem Gemisch von Grauen und ungläubigem Staunen erkannte ich, daß die schwarzen Objekte nichts anderes waren als düsengetriebene Kampfschwimmer in ihren Anzügen – und das in einer Tiefe, in der, dessen war ich sicher, alles ungeschützte menschliche Leben erlöschen mußte. Und um den bösen Spuk vollkommen zu machen, nahm ich mit meinen plötzlich überwachen Sinnen wahr, daß die Schwimmer über keinerlei Atemgerät verfügten: Lediglich ihre Augen waren von dicken, streng blickenden Brillen bedeckt –, Mund und Nase waren schutzlos dem Seewasser ausgesetzt. Ich sah, was es nach allen Regeln und Erfahrungen der Wissenschaft nicht gab. Das freilich blieb bis auf weiteres meine letzte Wahrnehmung dieser Art, denn nun, nachdem ich die aufgebaute Falle entdeckt hatte, mußte ich meine Gedanken auf die Frage konzentrieren, auf welche Weise ein Entkommen möglich war.
Ich riß das Sumo in die Höhe und strebte mit voller Fahrt voraus der fernen Oberfläche entgegen – und mit einem Gefühl wahren Triumphes sah ich, daß die Kampfschwimmer unter mir zurückblieben. Sie mochten schnell und wendig sein, doch das Sumo war ihnen an Geschwindigkeit überlegen.
Zunächst galt es für mich, sie abzuschütteln. Später, sobald sich die Aufregung gelegt haben würde, sollte es möglich sein, die Suche nach dem anderen Sumo wiederaufzunehmen. Vorerst war Romen, so mißlich seine Lage auch sein mochte, besser aufgehoben als ich.
Mein Triumph war nicht von Dauer. Knappe hundert Meter über dem Grund schnappte die Falle zu.
Es war der weiße Hai, der meinen Ausbruch vereitelte. Auf einmal war er neben mir, und noch bevor ich ihn ausmanövrieren konnte, versetzte er meinem Sumo mit der Schwanzflosse einen derartigen Schlag, daß es ins Taumeln geriet. Sekunden später, noch bevor ich die Herrschaft über das torkelnde Fahrzeug zurück erlangt hatte, war ich von den Kampfschwimmern eingekreist. Einer von ihnen kam direkt auf mich zu. Ich blickte in ein kalkweiß angestrahltes Gesicht mit wulstigen Lippen – und eine mit einer Art gedrungenem Knüppel bewehrte Hand stieß herab. Danach war alles anders.
Zwar lag ich nach wie vor, einem Rennrodler gleich, hinter den grünlich schimmernden Armaturen – doch ich vermochte nichts mehr mit ihnen anzufangen. Das Sumo stand auf der Stelle, und ich war unfähig, ihm meinen Willen aufzuzwingen. Ich lebte, ich atmete, mein Herz schlug – aber meinen Gliedern waren unsichtbare Fesseln angelegt. Ich war von Kopf bis Fuß gelähmt. Lediglich meine Wahrnehmungen waren nicht ausgeschaltet. Ich sah, ich hörte, ich fror – und ich war in der Lage zu denken. Andererseits war ich nicht in der Lage, Captain Romen für den Fall, daß er mich doch hörte, eine Warnung zukommen zu lassen. Über meine erstarrten Lippen kam nicht ein einziger Laut.
Viertausend Meter unter dem Meer war ich Zeuge einer sich anbahnenden Hinrichtung, für die außer mir selbst kein anderes Opfer erkennbar war. Die Kampfschwimmer hantierten rasch und geschickt. Sie legten meinem Sumo eine Art Geschirr an und spannten den weißen Hai davor, und dann wurde es auf einmal wieder stockdunkle Nacht um mich herum, und nur an den sanften Schwingungen des Sumos spürte ich, daß ich davongeschleppt wurde.
Und indem ich Abschied nahm vom Leben, dachte ich daran, wie alles, was nun in dunkler Tiefe zu Ende ging, vor etlichen Wochen begonnen hatte. Es war, als wäre in meinem Gehirn plötzlich ein Film angelaufen: Ich sah Gesichter, hörte Stimmen ...
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