Mark Brandis befindet sich als VEGA-Beobachter zusammen mit dem Reporter Martin Seebeck an Bord der neuen SK Invictus. Eine überfallene Najade und ein unbekanntes Raumschiff geben Major Degenhardt, dem Kommandanten, einen Anlaß für den Beginn einer erbarmungslosen Hetzjagd, und Major Degenhardt ist unerbittlich, wenn es um tatsächliche oder vermeintliche Gegner geht. Als Mark Brandis bei der Untersuchung der beschädigten Najade verletzt wird und die Dinge nicht mehr unter Kontrolle hat, nimmt das Unheil seinen Lauf …
(18) Die Sirius-Patrouille
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Mark Brandis, Band 18
Paperback, 184 Seiten
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Kategorie: Mark Brandis
Schlagwörter: Mark Brandis, Michalewski, Weltraumabenteuer
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Kapitel 1
Im Cockpit einer Merkur-Kuriermaschine hatte sich Martin Seebeck aufgerichtet, und nun betrachtete er blinzelnd die schwerbestückte Invictus, die, nachdem sie die Umlaufbahn um die Erde bereits verlassen hatte, noch einmal widerwillig beidrehte, um ihn an Bord zu nehmen: für vier endlose, einsame Monate unter fremden Sternen.
Seebeck fröstelte.
Niemand – es sei denn, sein Ehrgeiz – zwang ihn, an dieser Patrouille, die zugleich ein letzter Testflug war, teilzunehmen. Aus freien Stücken hatte er sich darum beworben, und fast wider Erwarten hatten die zuständigen Instanzen eingewilligt. Einen Träger des Pulitzer-Preises wies man nur selten ab. Noch war es möglich, von dem Vorhaben zurückzutreten – unter irgendeinem Vorwand, sogar ohne das Gesicht zu verlieren. Ein Anfall von Raumkrankheit war leicht zu spielen. Im Glanz der Sonne schwebte die Invictus näher und wurde zu einem silbernen Dreieck mit gleißenden Scheiben und pulsierenden Triebwerken – und Seebeck riß sich zusammen und zwang sich, seine zukünftige Heimstatt näher ins Auge zu fassen: das neueste Schlachtschiff der zur EAAU zusammengeschlossenen Drei Kontinente – die Trumpfkarte der europäischen, amerikanischen und afrikanischen Militärs gegenüber den Vereinigten Orientalischen Republiken.
Seebeck sah: Die Invictus trug das zivile VEGA-Emblem – Hinweis darauf, daß die endgültige Übergabe des Schiffes noch nicht erfolgt war –, doch daneben prangte bereits in grellem Orange das mit Jahresbeginn eingeführte neue Wahrzeichen der Strategischen Raumflotte: ein stilisierter Sonnenball im Raketenkranz. Seebeck verspürte einen Anflug von Bedauern – oder war es Zorn, war es Scham? –, als er daran dachte, daß am Anfang dieser Entwicklung einmal ein friedliches Expeditionsschiff namens Kronos gestanden hatte – das erste Schiff einer irdischen Zivilisation, das die Sonne umrundet hatte.
Die Invictus, die an diesem Tag ihren Dienst antrat, stellte die militärische Version dar: gleiche Geschwindigkeit, gleicher, nahezu unbegrenzter Aktionsradius – doch darüber hinaus vollgepackt mit den modernsten Waffensystemen. Sie war ein sichtbarer Beweis dafür, daß alle menschliche Phantasie, aller menschlicher Erfindungsgeist am Ende doch immer wieder zur Waffe gerieten.
Der Merkur-Kommandant räusperte sich.
»Übrigens, haben Sie den Kommandanten schon kennengelernt?«
»Commander Brandis? Nein, persönlich nicht.«
»Oh, ich merke, Sie sind nicht ganz auf dem laufenden. Soviel ich weiß, hat Commander Brandis die Schiffsführung bereits abgegeben an Major Degenhardt.«
»Ich denke, das geschieht erst am Ende der Reise.«
»So war es auch geplant«, sagte der Merkur-Kommandant. »Vorgesehen war ein Testflug in Form einer Patrouille. Die Militärs haben den Spieß umgedreht. Nun fliegt die Invictus eine Patrouille, die nur noch ganz nebenbei ein Testflug ist. Erkennen Sie den feinen Unterschied?«
Seebeck hob die Schultern.
»Major Degenhardt genießt einen untadeligen Ruf.«
»Sicher«, sagte der Merkur-Kommandant, »sicher. Aber vier Monate sind eine lange Zeit. Ich werde nicht klug aus Ihnen, Seebeck ... Sind Sie nun wirklich der große Autor, der den Dingen auf den Grund geht, oder sind Sie nur ein Narr? Mich könnten Sie nicht einmal mit einer Beförderung zum General für diese Patrouille ködern ... Wissen Sie überhaupt, wie diese Patrouille bei uns intern genannt wird? Die Sirius-Patrouille. Ich hoffe, Sie können mit diesem Wort etwas anfangen.«
Seebeck tat, als hätte er nichts gehört. Er konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf das Manöver. Es war von bestechender Eleganz. Die Invictus stand auf der Stelle, und das Kurierschiff beschrieb verlangsamend eine Schleife, um sich dann mit einer Schiffslänge Abstand längsseits zu schieben.
Seebecks Gedanken arbeiteten. Eine Jahreszahl und ein Bild tauchten vor ihm auf. 1969. Neil Armstrong und Edwin Aldrin betreten als erste Menschen den Mond.
Was zum Teufel hatte das mit der Sirius-Patrouille zu tun?
Der Merkur-Kommandant wurde sachlich. »Sind Sie schon mal übergestiegen – von Schiff zu Schiff, im freien Raum?«
Seebeck spürte mit Verdruß, daß seine Lippen auf einmal trocken waren.
»Bis jetzt noch nicht.«
»Macht nichts«, sagte der Merkur-Kommandant. »Wir werden eine Leine spannen. Es kann nichts passieren.«
Auf der Invictus ging die Schleuse auf: ein gähnender Schlund. Aber dahinter warteten Wärme und Geborgenheit, dahinter warteten die neuen Kameraden. Seebeck erinnerte sich...
Die beiden ersten Menschen auf dem Mond hatten ein Abzeichen getragen, ein Abzeichen mit dem Kopf eines Schlittenhundes vor dem Sirius-Stern. Das war es.
Die alte dänische Schlittenpatrouille über das grönländische Inlandeis – zweitausend Kilometer und vier Monate, völlig auf sich allein gestellt, bei Schneesturm und Frost, Inbegriff der Einsamkeit. Seebeck mußte schlucken.
»Und«, fragte er, »wie kommt man bei Ihnen zu dieser Bezeichnung?«
Der Merkur-Kommandant brauchte nicht zu überlegen. »Sie werden schon von selbst darauf kommen«, erwiderte er. »Die Invictus hat den Auftrag, das Raumgebiet zwischen Erde, Venus, Mars und Jupiter zu kontrollieren – ob sich da auch niemand eingenistet hat, der da nicht hingehört. Eine verdammt einsame Angelegenheit.«
Aus der Schleuse der Invictus schoß wie eine zustechende weiße Schlange die kaum fingerdicke Perlonleine. Seebeck konnte nicht sehen, wie sie aufgefangen wurde – aber als sie sich plötzlich straffte, wußte er, daß die Verbindung hergestellt war.
»Es ist soweit«, sagte der Merkur-Kommandant. »Lassen Sie Major Degenhardt besser nicht warten.«
Seebeck nickte, straffte sich und verließ das Cockpit. Er war im Zwiespalt, wie so oft. Vor ihm lag alles, was er verabscheute, lagen Einsamkeit, Entbehrungen, ein unbequemes Leben. Aber zugleich lag vor ihm auch, was er für seine Arbeit als Schriftsteller und Reporter ebenso dringend benötigte wie die Luft zum Atmen – lagen Schicksale, Begegnungen, Erkenntnisse ... lag auf dem Grund einer noch aufzudeckenden Wahrheit die Story.
Der Titel der Story stand schon fest. Der Merkur-Kommandant hatte sie ihm geliefert: Sirius-Patrouille. In Gedanken spannte Seebeck bereits den Bogen – vom grönländischen Inlandeis zu den Sternen, von den Schlitten, die gezogen wurden von hechelnden Hunden mit dampfendem Atem, zur Invictus mit ihren machtvollen Triebwerken. Hatte sich in den vergangenen hundert Jahren überhaupt etwas grundsätzlich geändert? Hinter jedem Aufbruch ins Ungewisse stand immer wieder der Mensch mit seinem Mut; und mit seiner Angst auch.
Seebeck warf einen letzten Blick auf die Perlonleine über dem unendlichen Raum – und gleich darauf warf er sein Herz hinüber auf das wartende Schiff. Es gab keine Ausreden, es gab kein Zurück.
Ein Mann der Merkur half ihm beim Anlegen des Raumanzuges. Seebeck stülpte den Helm auf, und der Mann überprüfte die Verriegelung und das Funktionieren der Ventile. Danach klopfte er Seebeck aufmunternd auf die Schulter.
»Ihr Gepäck ist schon drüben, Sir. Wollen Sie, daß einer von uns Sie begleitet?«
»Nicht nötig«, sagte Seebeck. »Ich werde mich an diese Art von Akrobatik gewöhnen müssen.«
»Weiß Gott« – der Mann grinste –, »das ist ein verdammt wahres Wort, Sir.«
Seebeck wandte sich um. Der Merkur-Kommandant stand hinter ihm.
»Alles klar, Seebeck?«
»Alles klar!« wiederholte Seebeck. »Und vielen Dank fürs Rausbringen.«
Der Blick des Merkur-Kommandanten wurde plötzlich vieldeutig.
»Viel Glück! Und bedanken Sie sich lieber erst, wenn Sie wieder gut zu Hause sind.«
Seebeck begab sich zum Ausstieg und ließ sich die Sicherheitsleine anlegen.
Bevor er von Bord ging, prägte er sich Datum und Uhrzeit des Übersteigens ein: 16. Januar 2081, 16.00 Uhr Bordzeit.
Ein breitschultriger Mann mit grauem Haar über einem verwitterten Gesicht – mein Gott, der Mann ist ja um die Sechzig! durchzuckte es Seebeck – streckte dem Neuankömmling eine stützende Hand entgegen und half ihm beim Abstreifen des nun nur noch störenden Raumanzuges.
»Alles gut überstanden, Sir?«
Seebeck klopfte sich ab.
»Mir scheint, ich bin tatsächlich in einem Stück rübergekommen.«
Der Graukopf kontrollierte die Schleusenverriegelung und wandte sich danach erneut an Seebeck.
»Dann also – willkommen auf der Invictus, Mr. Seebeck! Ich bin Stroganow ... VEGA-Lieutenant Stroganow, um von vornherein kein Mißverständnis aufkommen zu lassen. Sie sehen in mir so etwas wie ein ziviles Überbleibsel. Wohl oder übel werden Sie mit mir die Kammer teilen müssen.«
Seebecks Sinne waren schlagartig geschärft. Das also war der große alte Mann der VEGA – einer der besten Navigatoren, die je unter den Sternen geflogen waren: Iwan Stroganow, der bärenstarke Sibiriak, leibhaftige Verkörperung der guten alten Windjammerzeit, in der man die astralen Reisen nicht nach Tagen und Wochen, sondern nach Monaten und manchmal sogar nach Jahren gezählt hatte ... Iwan Stroganow, der zusammen mit Commander Brandis die Kronos, den zivilen Prototyp, um die Sonne geführt hatte.
Seebeck verspürte einen festen Händedruck. Seebeck brachte hervor:
»Freut mich, Sie kennenzulernen, Lieutenant.«
Ein Gesicht wie eine Landschaft.
Ein Gesicht, in dem Einsamkeit und Ferne und unbekannte Welten ihre Spuren hinterlassen hatten. In diesem Gesicht zeigte sich ein karges Lächeln.
»Mit dem Ausdruck der Freude sollte man sparsam umgehen, Mr. Seebeck. Erst am Ende einer Reise zieht man Bilanz. Kommen Sie, ich mache Sie mit Major Degenhardt bekannt, dem Kommandanten.«
Am Vibrieren des Schiffsbodens war zu spüren, daß die Invictus Fahrt aufnahm. Lieutenant Stroganow bemerkte Seebecks fragenden Blick und sagte:
»Soviel ich weiß, hat Major Degenhardt beschlossen, zunächst ein paar Runden um den Mond zu ziehen ... eine Art Kontrollflug. Es hat da in letzter Zeit ein paar Zwischenfälle gegeben – Piratenstücke und ähnliches. Gleichzeitig soll noch einmal das Triebwerk getestet werden.« Der Lieutenant blieb stehen und deutete aufwärts. »Stoßen Sie sich nicht! Der Aufgang zur Brücke ist steil.«
Lieutenant Stroganow stieg die Stufen hoch. Seebeck folgte ihm.
Die Brücke war beklemmend eng: zwei Sessel vor dem Steuerpult – der linke für den Piloten, der rechte für den Kommandanten. Im übrigen war der Raum vollgepackt mit den verschiedensten Monitoren und einer schier unübersehbaren Vielzahl von elektronischem Gerät.
»Major, darf ich bekanntmachen ...«
Seebeck blickte in ein strenges Gesicht, dessen Alter kaum zu schätzen war: weißblondes, kurz geschnittenes Haar, graue, wachsame Augen, ein schmaler Mund. Die grauen Augen blieben kühl, der schmale Mund öffnete sich.
»Ah ja, unser Passagier ... Ihr erster Raumflug?«
»Nein«, sagte Seebeck.
Major Degenhardt zog sekundenlang die Lippen ein.
»Schön, dann wissen Sie ja Bescheid. An Bord gilt nur ein Wort – das des Kommandanten. Der Kommandant bin ich. Wenn Sie das beherzigen, kommen wir sicher miteinander aus. Sonst noch Fragen?«
»Nein«, wiederholte Seebeck.
»Ausgezeichnet«, sagte Major Degenhardt. »Dann können Sie sich auch gleich mit dem zweiten Mann an Bord bekannt machen – Captain Tuomi.«
Seebecks Blick wanderte vom Kommandanten zum Piloten. Esko Tuomi war ein dunkelhaariger Finne mit auffallend blauen Augen. Als Seebeck ihn mit den Augen grüßte, neigte er kaum merklich den Kopf, aber ebenso wenig wie der Kommandant reichte er Seebeck die Hand.
Seebeck spürte, wie Lieutenant Stroganow ihn anstieß, und so murmelte er etwas von »erst einmal nach dem Gepäck sehen« und schickte sich an, die Brücke wieder zu verlassen, ohne sich eine Blöße zu geben. Er hatte weiß Gott nicht damit gerechnet, mit offenen Armen aufgenommen zu werden, aber auf einen derart frostigen Empfang war er nicht vorbereitet gewesen. Seebeck mußte zur Kenntnis nehmen, daß er noch nicht entlassen war.
Der schmale Mund öffnete sich noch einmal.
»Noch eins, Mr. Seebeck ... im Falle eines Alarms wäre ich Ihnen sehr verbunden, wenn meine Leute nicht über Sie zu stolpern brauchten. Falls Sie auch das beherzigen, werden Sie eine angenehme Reise bis zur Venus haben.«
Eine andere Stimme bemerkte:
»Augenblick, Major ... Ich glaube, hier muß etwas richtiggestellt werden.«
Der Kopf des Kommandanten flog herum. Auch Seebeck drehte sich um.
Ein Gesicht, wie es ihm aus tausend Publikationen bekannt und vertraut war ... Eine Legende hatte Gestalt angenommen und war vor ihn hingetreten: Mark Brandis, der dienstälteste Commander der VEGA, dieser absonderlich autonomen zivilen Institution, ohne deren Gütezeichen kein Schiff der EAAU in den Weltraum entlassen werden durfte.
Seebeck registrierte: Commander Brandis war ein mittelgroßer, schlanker, auf angenehme Weise zurückhaltend wirkender Mann um die Fünfundvierzig – und überdies, ergänzte Seebeck, ein Mann, von dem es hieß, daß er mehr Jahre unter den Sternen zugebracht hatte als jeder andere – Lieutenant Stroganow ausgenommen.
Brandis’ Blick wanderte über Seebeck hin – weder freundlich noch unfreundlich, allenfalls abwartend und einschätzend – und richtete sich auf den Kommandanten.
»Bei allem Respekt, Major«, sagte Brandis, »Mr. Seebeck befindet sich an Bord auf ausdrückliche Einladung der VEGA – und diese Einladung bezieht sich auf die volle Länge der Reise. Und von einer Einschränkung der Bewegungsfreiheit ist nie die Rede gewesen.«
Der schmale Mund wurde noch schmaler.
»Ihr Schützling, Commander. Nun, ich verstehe.«
»Unser Gast, Major. Mr. Seebeck ist hier, um eine gute Story zu schreiben – über den Alltag an Bord eines Patrouillenschiffes. Dazu benötigt er unsere Unterstützung. Ich bin überzeugt, Sie werden Sie ihm, nun da seine Stellung an Bord geklärt ist, nicht versagen.«
Major Degenhardts Blick ruhte auf den Monitoren.
»Warum sollte ich, Commander? Solange der Betrieb durch Mr. Seebeck nicht behindert wird, kann er meinetwegen als unser Gast tun und lassen, was er will.«
»Danke, Major.« Brandis streckte Seebeck die Hand hin. »In diesem Sinne, Mr. Seebeck – willkommen auf der Invictus. Ich hoffe, wir werden eine gute Zeit miteinander haben. Lieutenant Stroganow wird Sie jetzt mit dem Schiff vertraut machen und Ihnen Ihre Unterkunft zeigen. Wenn Sie danach noch Fragen und Probleme haben sollten – ich stehe gern zu Ihrer Verfügung.«
Seebeck folgte der Aufforderung – teils, um sich nach dem angespannten Empfang zu beruhigen, und teils, weil es ihn lebhaft interessierte, das neueste und schnellste Schiff der EAAU-Armada kennenzulernen.
Der Rundgang war rasch beendet. Da gab es den Navigationsraum – Kartenhaus genannt – mit dem humorvollen Lieutenant Wilberforce; die Radar-Zentrale, in der Lieutenant Koslowski, ein untersetzter Pole, für die Raumüberwachung zuständig war; die Funkerbude, in der es so eng war, daß Lieutenant Demnitz gut daran getan hatte, in die Höhe zu wachsen, ohne ein Gramm Fett anzusetzen; und schließlich den Maschinenraum mit dem gewichtigen Chief, Lieutenant Jackson. Die Kammer, die Seebeck mit Lieutenant Stroganow teilte, war ein winziges Rechteck mit zwei übereinander gestapelten Kojen und einem schmalen Spind.
Stroganow deutete auf die Kojen.
»Suchen Sie sich die beste aus. Mir ist es gleich, ob ich oben oder unten schlafe.«
Seebeck sah, daß die untere Koje bereits bezogen war, und so sagte er:
»Ich glaube, ich entscheide mich für die obere – zumal Sie sicher eher mal in der Nachtruhe gestört werden als ich.«
Er sah sich um. Sitzen – falls man sitzen wollte – konnte man allenfalls auf der unteren Koje. »Ziemlich eng, nicht wahr ...«
Lieutenant Stroganow wiegte den Kopf. »Die Invictus hat den gleichen Zuschnitt wie die alte Kronos – nur daß hier alles vollgestopft worden ist mit Waffensystemen. Hat man Ihnen nicht gesagt, was Sie erwartet – das spartanischste Schiff der ganzen Flotte, ebenso kampfstark wie ungemütlich?«
Seebeck hob die Schultern.
»Nun ja ... gesagt hat man mir das schon. Aber manchmal muß man etwas erst mit eigenen Augen gesehen haben, um daran zu glauben.«
Lieutenant Stroganow zeigte ihm sein karges Lächeln. »Nun, Sie haben alles gesehen. Von Komfort keine Spur.«
»Ich werde es überleben«, sagte Seebeck. Er dachte nach, zögerte und platzte schließlich heraus: »Was ich eigentlich von Ihnen wissen möchte ...«
Lieutenant Stroganow legte den Kopf leicht auf die Seite.
»Was?«
Seebeck hatte noch immer an seinem angestauten Ärger zu kauen.
»Wer zum Kuckuck führt hier eigentlich das Kommando – Commander Brandis oder dieser entzückende Major Degenhardt.«
Lieutenant Stroganows Gesicht blieb ausdruckslos.
»Major Degenhardt, Mr. Seebeck, ist ein untadeliger Offizier.«
»Das ist keine Antwort auf meine Frage, Lieutenant.«
»Sie wollen also Probleme wälzen – gleich am ersten Tag, gleich in der ersten Stunde?«
Seebeck winkte ab.
»Keine Probleme. Oder ist es schon ein Problem, wenn ein Mann kommt und fragt: ‚Wer führt das Kommando über dieses Schiff?’«
Lieutenant Stroganow runzelte die Stirn.
»Das Kommando über die lnvictus ... nun, in letzter Konsequenz ...« Lieutenant Stroganow brach ab.
Seebeck wartete. Es war ihm klar, daß er ein Thema angerührt hatte, das nicht ganz einfach zu beantworten war.
»Andersrum!« sagte Lieutenant Stroganow. »Die Invictus ist von der VEGA bisher noch nicht übergeben worden. Das geschieht erst am Ende der Reise, die ja, wie Sie wohl wissen, zugleich ein Testflug ist – sobald die neue Besatzung sich mit dem Schiff vertraut gemacht hat. Andererseits haben wir es zu tun mit einem militärischen Patrouillenflug – und dieser steht unter dem Befehl von Major Degenhardt. Klar?«
Seebeck seufzte.
»Mit anderen Worten – es gibt an Bord dieses Schiffes zwei Kommandanten.«
»Richtig!« bestätigte Lieutenant Stroganow. »Nur daß der eine von den beiden Kommandanten sich wohlweislich zurückhält.«
Seebeck verstand überhaupt nichts mehr.
»Ich glaube«, sagte er geduldig, »mir bleibt nichts anderes übrig, als meine Frage abzuändern. Vorhin erwähnten Sie etwas wie letzte Konsequenz, Lieutenant Stroganow. Nun gut, ich frage Sie: Wer ist in letzter Konsequenz für dieses Schiff verantwortlich – der Major oder Commander Brandis?«
Unter den buschigen Brauen des Sibiriaken glaubte Seebeck ein erheitertes Funkeln zu sehen.
»Nun, in letzter Konsequenz dürfte doch wohl noch immer Commander Brandis das Kommando über die Invictus innehaben – so lange jedenfalls noch, wie das Schiff das Emblem der VEGA trägt ... Warum?«
Seebeck stöhnte.
»Warum? Nur so. Nur weil ich, verdammt noch mal, wissen will, woran ich bin.«
Lieutenant Stroganow grinste.
»Jetzt wissen Sie’s, Sir. Beruhigt?«
»Beruhigt.«
»Also dann, Sir – sobald Sie sich hier häuslich eingerichtet haben, kommen Sie doch auf eine Tasse Kaffee in die Messe. Heute passiert sowieso nichts Aufregendes.«
Seebeck benötigte keine zwei Minuten, um sich häuslich einzurichten. Alles, was er auf die Reise mitgenommen hatte, paßte in eine Reisetasche. Im Spind waren zwei Fächer für seine Utensilien vorgesehen. Bevor Seebeck sich auf den Weg zur Messe machte, setzte er sich auf die untere Koje und rauchte eine Zigarette.
Seebecks Gedanken kreisten um Commander Brandis. Ein Mann, der unerschütterlich in sich selber ruht ... wie oft hatte er diese abgedroschene Floskel bereits benutzt. Und nun, auf einmal, traf sie zu. Seebeck drückte die Zigarette aus, öffnete noch einmal den Spind und entnahm ihm den Rekorder. Er sprach seine ersten Eindrücke auf Band. Zur Person des Majors Degenhardt merkte er an:
»Zweifellos ein erfahrener Offizier, wenngleich nicht von der umgänglichen Sorte. Werde versuchen, mit ihm ins Gespräch zu kommen.«
Seebeck stellte den Recorder zurück und begab sich in die Messe – ein erster Versuch, auf diesem den Sternen entgegenstürmenden Schiff heimisch zu werden.
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