Endlich wird der mehrfache Mörder Friedrich Chemnitzer dem Tode überführt. Doch keiner ahnt, daß er von seinen Gefolgsleuten auf dämonische Weise wiederbelebt wird: und zwar in Gestalt des Homats, eines gestaltwandelnden Retortenmenschen von ungeheurer Kraft, dessen einzige Schwäche die Wärme ist.
Sein Plan: den Energiestrahl eines Satelliten zu sabotieren, um den Strahl auf das Präsidialgebäude der EAAU niedergehen zu lassen. Als Ruth O’Hara hinter diesen perfiden Plan kommt, gerät sie in Lebensgefahr. Doch wie soll sie jemanden stoppen, der nach Belieben sein Aussehen ändern kann?
(30) Die Eismensch-Verschwörung
€12,00
Mark Brandis, Band 30
Paperback, 190 Seiten
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Kategorie: Mark Brandis
Schlagwörter: Mark Brandis, Michalewski, Weltraumabenteuer
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Kapitel 1
Ein einsamer Falke zog draußen vorüber. Er konnte nicht hören, was im Penthouse über den 134 Stockwerken des Exzelsior-Turmes gesprochen wurde. Die Wände waren schalldicht isoliert; die Fenster bestanden aus vibrierfestem Glas. Das Penthouse war eine abhörsichere Festung.
»Wir schlagen also endlich los?«
»Ich fürchte nur, wir unterschätzen den Gegner. Präsident Hastings hat das Volk hinter sich.«
»Und damit sind wir beim Kernpunkt unser heutigen Erörterungen: Wie räumt man Hastings aus dem Wege?«
Die drei Herren, die sich am 13. November 2090 im Kaminzimmer versammelt hatten, konnten das tun, ohne Aufsehen zu erregen. Als Mieter des Penthouses war ein gemeinnütziger Verein eingetragen. In unregelmäßigen Abständen diente das Penthouse der Liga zur Hebung der öffentlichen Moral als Versammlungsstätte. Und da die Vereinsmitglieder, Herren wie Damen, allesamt höflich, wohlerzogen und vor allem ruhig waren, nahm an ihrem Kommen und Gehen niemand Anstoß.
Das Penthouse war nicht billig. Praktisch war es unbezahlbar – so hoch oben über den Dächern der Fünfzig-Millionen-Stadt. An klaren Tagen übersah man ganz Metropolis. Der Blick wanderte ungehindert über das künstlich aufgeschüttete Eiland, das man bereits als das Venedig des 21. Jahrhunderts bezeichnete, hinweg über funkelnde Glasfassaden mit ihren vielfältigen Spiegelungen, hinweg über atemberaubend schöne Monumente und Parkanlagen, bis er sich jenseits des weißen Kranzes aus schäumender Brandung, der die Stadt umgab, im blauen Dunst des Atlantischen Ozeanes verlor. An diesem November-Nachmittag war der Himmel über der Hauptstadt der Europäisch-Amerikanisch-Afrikanischen Union, wie die EAAU im offiziellen Sprachgebrauch etwas umständlich hieß, blau und wolkenlos.
Fast konnte man vergessen, wie es noch zu Anfang des Jahres auf der Erde ausgesehen hatte – nach der unseligen Sprengung des Planetoiden Ikarus. Der Staub hatte die Sonne verfinstert und die verheerendste Hungersnot seit biblischer Zeit heraufbeschworen, die Große Katastrophe. Inzwischen hatte sich der Staub gelegt, und nicht zuletzt mit Hilfe des resistenten Gregorius-Weizens war die Apokalypse in letzter Minute gebannt worden. Und in die vom Auseinanderbrechen bedrohte, von Unruhen geschüttelte EAAU waren wieder Recht und Frieden eingezogen.
Aber dafür, daß man zum Vergessen keine Gelegenheit fand, war bereits gesorgt.
»Frieren Sie etwa nicht, Colonel?«
»Wenn wir die Heizung höherstellen, fallen wir auf, Kamerad Hagen.«
»Der Colonel hat recht. Das ist das letzte, was wir uns jetzt leisten dürfen: aufzufallen.«
Ein Unheil, behauptet das Sprichwort, kommt selten allein. Dahinter steht Erfahrung. Der blaue Himmel wölbte sich über einer Stadt, die unter eisigen Minustemperaturen erschauerte. Der Frost verwüstete die wiederangepflanzten subtropischen Parkanlagen und überzog die Ziergewässer mit spiegelndem Eis.
Die Energiekrise hatte eines Tages kommen müssen: früher oder später. Die Große Katastrophe war mit daran schuld, daß die Krise bereits jetzt kam, praktisch ohne Vorwarnung, mit aller Gewalt. Besonders die Nordhälfte des Planeten war von ihr betroffen. Hier hatte man es nicht nur mit stillgelegten Fabriken und zusammenbrechenden Verkehrsverbindungen zu tun wie im Süden, sondern auch mit einem verfrühten Wintereinbruch.
Von der Energiekrise blieb niemand verschont. Im Fernsehen waren die Unterhaltungssendungen gestrichen. Seit ein paar Tagen sendete Stella-TV nur noch die Nachrichten.
Und von Mal zu Mal klangen die Meldungen düsterer.
Zu lange hatte man auf dem Energiesektor die Zügel schleifen lassen. Nun bekam eine aufgeschreckte Menschheit vom geplünderten Planeten die Rechnung vorgelegt.
Im Penthouse über dem Exzelsior-Turm war das TV-Gerät in Betrieb. Von der flimmernden Glaswand fielen farbige Reflexe in den dämmrig werdenden Raum. Sie huschten unruhig über die Tapeten und legten sich auf eine über dem Schreibtisch angebrachte Flagge. Eine brandrote Lohe erwachte plötzlich zu gespenstischem Leben. Die Flagge trug das Embleme der verbotenen militanten Partei Reinigende Flamme.
Und das dunkel gerahmte Porträt, das gleich neben der Flagge hing, war das des Parteigründers, des texanischen Generals Gordon B. Smith, der im Jahr 2069 die Länder der EAAU mit Terror und Schrecken überzogen hatte. Es hatte eines dreijährigen blutigen Bürgerkrieges bedurft, um ihn zu entmachten.
Wenn die Ordnungsmächte der EAAU weniger überzeugt gewesen wären, die Gefahr, die von den unerkannt gebliebenen wie untergetauchten, als auch von den mittlerweile herangewachsenen und hinzugekommenen Smith-Anhängern ausging, unter Kontrolle zu haben, hätten sie sich wohl irgendwann für das Penthouse und seine Mieter interessiert. In diesem Fall hätten sie die böse Überraschung erleben müssen, daß sich hinter der Tarnung als gemeinnütziger Verein die AGA der Reinigenden Flamme verbarg, die Abteilung Geheime Aktionen. Das Gespräch, zu dem die drei Männer zusammengekommen waren, diente der Vorbereitung eines beabsichtigten Staatsstreiches.
Der Falke, der vor dem Exzelsior-Turin seine Kreise zog, hörte nichts von diesem Gespräch. Es hätte auch nichts geändert, falls die Wände durchlässiger gewesen wären. Der Falke war wirklich nur ein gewöhnlicher Falke.
»Eins steht fest«, ließ es sich vernehmen, »die psychologischen Voraussetzungen könnten günstiger nicht sein. Erst der Hunger, dann die Kälte. Die Menschen sind verzweifelt. Und da erscheinen wir – als die Retter in der Not.«
Der das von sich gab, ein blonder Mann mit schütteren Augenbrauen, war der kaufmännische Angestellte Chuck Brown. In der Organisation war er zuständig für die Psychologie der Massenführung.
Neben ihm saß, schwer und massig, Harald Hagen, ehemaliger Brandstifter-Major, seit seiner Entlassung Taxiunternehmer. In der Organisation war Hagen verantwortlich für die Rekrutierung bezahlter Hilfskräfte. Meist fand er diese in den Kreisen der Unterwelt.
Und schließlich war da der Chef der AGA selbst, hager, schlank und sportlich fit, Colonel Pedro Diaz – nach außen hin ein harmloser Handelsvertreter.
»So ist es«, bestätigte Colonel Diaz mit Blick auf die TV-Wand. »Man muß eine solche Situation nur zu nutzen wissen, Kameraden.«
Im Bild war ein Erdwärmekraftwerk auf Island zu sehen. »... nachdem erst vor kurzem aus Gründen der Weltgesundheit die Stillegung der Kernkraftwerke verfügt werden mußte, ist nun auch die Ära eines weiteren Energielieferanten zu Ende gegangen. In Island wurde das letzte noch in der EAAU arbeitende Erdwärmekraftwerk abgeschaltet. Erzwungen wurde dies durch neue Messungen der Erdkrustentemperatur. In einer Erklärung des Ministeriums für Energie und Technik heißt es, die weltweite Errichtung von immer neuen Erdwärmekraftwerken als einzige Alternative zu den KKWs sei eine verhängnisvolle Fehlentscheidung gewesen. Wörtlich heißt es in der Erklärung: ›Der erhöhte Energieverbrauch in der Zeit der Großen Katastrophe, vor allem aber auch in den daran anschließenden Wochen und Monaten als Folge eines dramatisch gesteigerten Bedarfs an Kunstdünger hat zu einer Situation geführt, in der die Entnahme von Erdwärme zu Konsumzwecken nicht länger zu verantworten ist. Um einem weiteren Auskühlen der Erdkruste Einhalt zu gebieten, wird hiermit die unwiderrufliche Abschaltung aller Erdwärmekraftwerke angeordnet.‹«
»Ausgezeichnet«, bemerkte Colonel Diaz sarkastisch. »Die Leute bekommen kalte Füße. Die Reinigende Flamme wird ihnen einheizen.«
Kamerad Brown und Kamerad Hagen lachten.
Auf dem Bildschirm erschien das Modell des unvollendet gebliebenen astralen Kraftwerkverbunds Intersolar.
»Inzwischen werden die technischen Vorbereitungen zur Inbetriebnahme von Intersolar mit Nachdruck vorangetrieben. Mit dem Bau der ursprünglich als Kette interplanetarischer Kraftwerke geplanten Anlage war 2077 begonnen worden. Technische Pannen bei der Übermittlung der Sonnenenergie zur Erde als auch neuerliche Spannungen mit den Vereinigten Orientalischen Republiken, die am Projekt mitbeteiligt waren, erzwangen seinerzeit die Stillegung von Intersolar. Nunmehr soll die gigantische Bauruine unter den Sternen partiell überholt und mit einem von Professor Enrico Brabante entwickelten Energieträger auf Laserbasis, dem EBL, betriebsklar gemacht werden. Die Energieversorgung der EAAU wäre damit sichergestellt.«
»EBL!« bemerkte Colonel Diaz. »Merken Sie sich die Bezeichnung, Kameraden. Ich komme darauf zurück.«
Die Übertragung fand ihre Fortsetzung in den Amtsräumen des Präsidenten der EAAU.
Der Präsident war im Bild, Joffrey Hastings. Bis vor kurzem noch Gouverneur des Uranus, hatte er sich in den Schreckensmonaten immerwährender Dunkelheit durch die Einführung des Gregorius-Weizens, durch die Wiederherstellung der politischen Einheit als auch von Recht und Ordnung die Zuneigung der Völker erworben. In ihm, darin war man sich einig, hatte die EAAU ihren fähigsten und beliebtesten Präsidenten seit langer Zeit.
Der mittelgroße, schlanke Mann im Raumfahrerdress, mit dem sich Hastings angeregt unterhielt, war gleichfalls kein Unbekannter. Als Erster Vormann der Unabhängigen Gesellschaft zur Rettung Raumschiffbrüchiger (UGzRR) hatte er seine Flotte in den Dienst der hungernden Menschheit gestellt. Daß die Fünfzig-Millionen-Stadt Metropolis mit dem Leben davongekommen war, hatte sie den von Commander Mark Brandis geführten Konvois zu verdanken.
»Commander Brandis, der auf Präsident Hastings’ Wunsch, nach anfänglicher Weigerung, als Projektleiter die Verantwortung für den Ausbau von Intersolar übernahm, ist von den Strapazen der letzten Wochen gezeichnet. Er steht vor einer schweren Aufgabe. Was er einzubringen hat – Raumerfahrung und moralisches Gewicht –, kann nur zum Teil wettmachen, daß unter den Sternen ein verzweifeltes Wettrennen gegen die Zeit geführt wird. Als wir uns beim Commander vorhin nach dem Stand der Dinge erkundigten, gab er sich wortkarg und ließ lediglich verlauten, daß er nach diesem Rapport bei Präsident Hastings unverzüglich zur Baustelle zurückzukehren gedenkt. Der Rapport könnte im Zusammenhang stehen mit der Festsetzung eines verbindlichen Termins für die Inbetriebnahme von Intersolar.«
Präsident Hastings drückte Brandis die Hand und begleitete ihn dann zur Tür. Damit endete die Übertragung aus dem Amtssitz des Präsidenten. Weitere Nachrichten folgten.
Colonel Diaz löste den Blick von der TV-Wand und kam zur Sache:
»Es ist an der Zeit, Sie ins Vertrauen zu ziehen. Hastings Tage sind gezählt.«
Brown gab sich vorsichtig: »Hastings aus dem Weg zu räumen wird nicht leicht sein. Er ist bestens bewacht.«
Hagen quetschte sich eine Zigarre zwischen die Zähne. Erst als diese brannte, bemerkte er: »Das ist es. Man kommt nicht ran an ihn. Auch meine tüchtigsten Jungs schaffen das nicht.«
Mit einer knappen Handbewegung winkte Colonel Diaz die Einwände hinweg.
»Wie gesagt, Hastings Tage sind gezählt. Sowohl der Ort als auch der Zeitpunkt seines Todes stehen fest.«
Einen Atemzug lang war im Penthouse nur die Stimme des Nachrichtensprechers zu hören.
Brown schluckte.
Hagen knurrte: »Versteh ich recht?«
Colonel Diaz machte der Ungewißheit ein Ende.
»Die ganze Welt wird vor dem Bildschirm Zeuge sein, Kameraden. Der Tag, an dem Intersolar die Arbeit aufnimmt, wird demnächst bekanntgegeben. Wie das Programm ablaufen wird, steht bereits fest. Das neue Energiezeitalter wird eingeläutet mit einem feierlichen Akt. Hastings wird sich, bevor er das Signal zum Zuschalten gibt, mit einer Ansprache an die Völker der EAAU wenden – und zwar vom Balkon seines Amtssitzes – und dort wird es ihn erwischen.«
»Großartig!« sagte Chuck Brown. »Der Sensationswert einer solchen Übertragung darf nicht zu gering veranschlagt werden. Man muß den Leuten weismachen, daß sie Augenzeugen gewesen sind einer gerechten Bestrafung.«
Hagen nahm die Zigarre aus dem Mund.
»Zum Teufel mit der Psychologie!« sagte er. »Mich interessiert die Technik. Bisher weiß ich nur, wann es ihn erwischt und wo, Colonel. Über das Wie ist bisher kein Wort gefallen.«
»Wie?« Colonel Diaz’ Daumen wies plötzlich himmelwärts. »So!«
Hagen als auch Brown – beide Kameraden blickten unwillkürlich zur Decke hoch.
»Der Blitz wird ihn treffen«, fuhr Colonel Diaz fort. »Genauer gesagt: gleich der erste Energiestoß des neuen EBL. Für die noch zu berechnende Abweichung wird gesorgt werden. Und da Commander Brandis der verantwortliche Projektleiter ist ...«
Colonel Diaz sprach den Satz nicht zu Ende. Der Präsident der EAAU würde tot sein und Brandis als sein vermeintlicher Mörder den schweren Weg zum Galgen antreten müssen – falls ihn nicht zuvor die eigenen Arbeiter in Stücke rissen.
So sah es auch Harald Hagen. Er neigte das massige Haupt.
»So weit, so gut.«
Brown war begriffsstutziger. »Brandis gehört zu uns?! Dann darf man nicht zulassen ...«
Der AGA-Chef fiel ihm ins Wort.
»Eine Klappe – zwei Fliegen! Brandis’ Rolle ist festgeschrieben. Er sorgt dafür, daß wir mit dem Attentat gar nicht erst in Verbindung gebracht werden. Doch da man ihn nicht überzeugen kann, muß man ihn benutzen. Der wahre Attentäter wird selbstverständlich ein anderer sein.«
Kamerad Hagen verschluckte sich am Rauch seiner Havanna.
»Verdammt, Colonel!« keuchte er. »Da wird jemand engagiert, ohne daß ich etwas davon erfahre ...«
Diaz hob eine Hand.
»Ihre Leute werden noch benötigt, verehrter Kamerad, wenn auch nur für die Vorarbeit. Ansonsten gehen wir diesmal auf Nummer Sicher.«
Chuck Brown schaltete sich ein.
»Da ich die Propaganda übernehme, sollte ich wohl endlich erfahren, worauf ich mich einstellen muß.«
Diaz reagierte darauf mit einem dünnen Lächeln.
»Denken Sie nach, Kamerad Brown! Wieviele Schlappen haben wir einstecken müssen? Zehn, zwölf, zwanzig?«
»Ich begreife nicht.«
»Jedesmal, wenn wir zuschlagen wollten, gab es irgendwo eine Panne. Unsere Organisation blutet allmählich aus. Warum? Ich will es Ihnen sagen, Kamerad Brown.« Colonel Diaz’ Stimme bekam einen atemlosen Klang. »Weil wir uns stets auf Menschen verlassen haben. Aber Menschen sind unzuverlässig. Sie werden schwach. Sie vergessen ihre Ideale. Sie verkaufen ihre Überzeugungen. Oder sie verlieren im letzten Augenblick den Mut. Richtig?«
»Da ist was dran«, bestätigte Kamerad Brown.
»Dazu kommt – die Intelligenz eines Menschen endet an den Grenzen seiner Person. Für fremde, zusätzliche Intelligenzen gibt es in seinem Gehirn keinen Platz. Das macht ihn berechenbar. Und wer berechenbar ist, ist zugleich besiegbar. Richtig?«
»Auch da ist was dran«, bestätigte Kamerad Brown.
»Zustimmung allein ist nicht genug!« sagte Colonel Diaz. »Sie müssen auch die Schlußfolgerung aus Ihren Erkenntnissen ziehen. Also?«
»Worauf wollen Sie hinaus, Colonel?«
»Darauf«, sagte Colonel Diaz, »daß wir einen Attentäter brauchen, dem alle diese menschlichen Unzulänglichkeiten fremd sind.«
Hagen ließ ein protestierendes Schnauben vernehmen. »So einen Kerl gibt es nicht, Colonel. Und ich kenne so ziemlich alle Halsabschneider der EAAU.«
Colonel Diaz wies den Einwand gelassen zurück. »Ich habe ihn gefunden«, verkündete er.
Der massige Taxiunternehmer fand plötzlich, daß die Zigarre seine Konzentration störte. Angewidert warf er den schwelenden Stumpen in den Aschenbecher.
»Hören Sie auf, uns auf die Folter zu spannen, Colonel! Wer ist es?«
»Der Eismensch«, sagte Colonel Diaz.
»Sagt mir nichts.«
»Aber der Name Jakoby sagt Ihnen was, Kamerad Hagen?«
»Wenn Sie den Professor meinen, diesen Psychomechaniker –«
»Den meine ich in der Tat«, bestätigte Colonel Diaz. »Jakoby regte vor etlichen Jahren die Serienfertigung von Homaten an – speziell für den Arbeitseinsatz unter extremen Weltraumbedingungen. Die Sache klappte nicht. Die Damen und Herren von der Weltwacht machten moralische Einwände geltend. Der Homat verschwand wieder in der Versenkung. In seinem Privatlabor experimentierte Jakoby jedoch weiter.«
Der blonde Mann wischte sich die schütteren Augenbrauen.
»Homat – das Wort höre ich zum ersten Mal.«
»Ich auch«, kam ihm Kamerad Hagen zur Hilfe.
Der Chef der Abteilung Geheime Aktionen lehnte sich zu einem ausführlicheren Vortrag im Sessel zurück. »Homat ist nur die Fachbezeichnung für Eismensch. Homat steht für Homo Automaticus.«
»Das klingt nach Roboter!« warf das Fleischgesicht ein.
Colonel Diaz zog irritiert die Brauen hoch.
»Bitte, lassen Sie mich ausreden, Kamerad! Ein Roboter? Doch ja, das Skelett ist das eines Roboters –praktisch die ganze Mechanik. Andererseits trägt die« – Colonel Diaz suchte nach dem passenden Wort – »die, sagen wir, Verpackung dem Umstand Rechnung, daß ein solcher Homat auch mal als Bordkamerad in einem Raumschiff Verwendung finden kann – bei akutem Personalmangel. Jakoby selbst« – Diaz zog einen Zettel aus der Brusttasche – »hat ihn in der abgelehnten Patentschrift wie folgt beschrieben: ›Ein künstlicher Mensch mit einem vollcomputerisierten Gehirn, in dem Erfahrung und Wissen von wenigstens zwölf Tatmenschen gespeichert sind.‹« Der Colonel steckte den Zettel wieder ein.
»Kameraden«, sagte er feierlich, »der Homat ist unser Mann! Eine kaltblütige, vollcomputerisierte Intelligenzbestie. Kein normaler Mensch kann damit konkurrieren.«
Über den Bildschirm flimmerte der Zusammenschnitt der Tagesereignisse in den Drei Vereinigten Kontinenten. Die Reinigende Flamme an der Wand schien plötzlich zu lodern, als hätte der Weltbrand, den die drei Männer im Penthouse planten, bereits begonnen.
»Zugegeben«, sagte der Blonde mit betonter Nüchternheit, »so ein Homat könnte unser Mann sein. Er wäre praktisch unbestechlich. Aber was hat es mit der anderen Bezeichnung auf sich: Eismensch?«
Der Colonel löste den Blick von der TV-Wand.
»Ich wäre gleich noch darauf gekommen, Kamerad Brown. Eismensch deshalb, weil die Körperfüllung des Homaten natürlich nicht aus Fleisch und Blut besteht, sondern aus einer formbaren unverderblichen Masse –aus amorphem Eis.«
»So etwas wie Eis am Stiel?« erkundigte sich der ehemalige Brandstifter-Major. »Colonel, sollen wir uns jetzt erheitert fühlen?«
Der Colonel verzog keine Miene.
»Eis am Stiel, gewissermaßen«, stimmte er zu. »Aber eben – kein gewöhnliches Eis. Amorphes, also ungefestigtes, nichtkristallines Eis entsteht beim Zehntausendfachen des normalen Luftdrucks und bei minus 196 Grad. Es ist die dauerhafteste Materie, die die Welt kennt.« Colonel Diaz hatte sich atemlose Aufmerksamkeit gesichert. »Die Füllung ist formbar, erwähnte ich vorhin. Für unsere Zwecke ist das besonders wichtig. Doch dieses Kapitel stellen wir für den Moment noch zurück –«
Kamerad Hagen konnte seine Wißbegier nicht länger im Zaum halten. Er fiel seinem Vorgesetzten ins Wort: »Und wie weit ist Jakoby mit seiner Arbeit an dem kalten Krieger gekommen?«
Das war der springende Punkt. Hagen war ein abgebrühter Rekrutierer. Nur ein Narr verpflichtete für einen Präsidentenmord den Großen Unbekannten. Oder ein abgewimmeltes Patent.
Der Colonel war auf eine solche Frage vorbereitet.
»Ich habe – völlig unauffällig – Erkundigungen eingezogen«, erwiderte er. »Ein Prototyp des Homaten ist praktisch fertiggebaut. Jakoby bewahrt ihn in seinem Privatlabor auf – hinter Schloß und Riegel.«
Kamerad Hagen ließ ein verächtliches Schnaufen vernehmen.
»Kein Problem. Ich werde Spezialisten einsetzen. Die knacken mit bloßen Händen den dicksten Bunker.«
»Wir haben nicht viel Zeit!« gab Colonel Diaz zu bedenken. »Jakoby hat offenbar Skrupel bekommen. Er trägt sich mit der Absicht, den Eismann wieder in der Retorte verschwinden zu lassen. In Kollegenkreisen soll Jakoby geklagt haben, daß die Intelligenzchips, die er im Gehirn des Homaten installiert hat, charakterlich nicht immer einwandfrei sind.«
»Ah?« entfuhr es dem Kameraden Hagen. Kamerad Brown klärte ihn auf.
»Mit anderen Worten – das gute Kind klaut silberne Löffel.«
»Ah?« entfuhr es dem Kameraden Hagen noch einmal.
»Jakobys Baby ist kriminell veranlagt«, sagte Kamerad Brown.
»Na, so ein Pech!«
Das Penthouse dröhnte unter dem Gelächter der drei Männer.
Colonel Diaz gebot dem Frohsinn Einhalt.
»Noch eine zusätzliche Information, Kameraden, eine sehr wichtige. In seiner Patentschrift erwähnt Jakoby die sinnvolle Verselbständigung des Homaten. Die ist bisher nicht erfolgt.«
Wieder einmal war Kamerad Brown der schnellere Denker.
»Soll das heißen, der Computer ist nicht programmiert?«
Diaz nickte.
»Jakoby würde sagen: Der Eismensch ist noch nicht motiviert. Dazu fehlt noch das entsprechende Implantat – ein Stück menschliches Zellgewebe. Und damit ...«
Der Colonel stellte plötzlich den Fernseher lauter.
»... sind auf der Venus inzwischen keine engeren Mitarbeiter des vor einem knappen Monat hingerichteten Staatsverbrechers Chemnitzer mehr in Amt. Friedrich Chemnitzer ...«
Das Bild des Mannes, der mit krankhafter Energie zweimal versucht hatte, sich der Erde zu bemächtigen, war unmittelbar vor seinem letzten Gang aufgenommen. Und es machte, sobald man ihm in die Augen blickte, schaudern.
»... alias Felix Chesterton alias Fabricius Chilparich alias Ferdinand Chauliac hatte sich zuletzt als Sir Oleg, Gouverneur der Venus, getarnt ...«
Colonel Diaz’ Zeigefinger zielte auf den Bildschirm. »Die fehlende Motivation, Kameraden! Das ist sie!«
Die beiden Männer blieben stumm, als hätte es ihnen die Sprache verschlagen.
Colonel Diaz brach das Schweigen.
»Chemnitzer wurde von Brandis mit Hilfe einer Zeitspule entlarvt, und Hastings als Präsident der EAAU bestätigte das Urteil des Obersten Gerichts. Chemnitzer hatte also allen Grund, beide unversöhnlich zu hassen.« Der Colonel griff plötzlich in die Tasche. »Und er hat diesen Grund auch heute noch – nach seinem Tode. Und noch etwas für uns Wichtiges ist in seinem Zellgewebe gespeichert: All das technische Wissen, das er sich als Chef der Pioniere angeeignet hat ...«
Viel mehr braucht man über den Hintergrund der Eismensch-Verschwörung nicht zu wissen. Auch über die Verschwörer selbst lohnt weiteres Berichten kaum.
Wie die meisten Smith-Anhänger waren sie Leute, die sich einbildeten, im Leben schuldlos zu kurz gekommen zu sein. Sie waren auf Vergeltung an der Gesellschaft aus, aber sie nannten dies »den gerechten Ausgleich«. Und der Umstand, daß sie an diese Lüge sogar glaubten, machte sie gefährlich.
Am gefährlichsten waren sie logischerweise dann, wenn sie an die Schaltstellen der zivilisatorischen Macht gerieten.
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