Er dachte, er hätte alles hinter sich gelassen: die Hondh, den Krieg und vor allem seine Vergangenheit. Doch seinen mächtigen Verbündeten kann er nicht entkommen. Das Den-Haag-Institut konfrontiert ihn mit dem Auftrag, an Bord eines Tributschiffes tief ins Herz des Hondh-Imperiums vorzudringen. Dort soll sein Spezialistenteam endlich einige der Geheimnisse des mysteriösen Gegners aufdecken, um einen strategischen Vorteil in der bevorstehenden Expansion zu erlangen.
Und so stellt sich für Shelwin Klime die Frage, was schwerer wiegt: seine eigene Freiheit oder die der Völker der Galaxis.
(8) Fünf für die Freiheit
€8,99
Die neunte Expansion (8) – Holger M. Pohl Fünf für die Freiheit
Ebook, 286 Seiten, Format Epub
Kategorie: D9E - Die neunte Expansion
Schlagwörter: D9E, Holger M. Pohl, Science Fiction, Space Opera, Weltraumabenteuer
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Langeweile prägte sein augenblickliches Leben. Doch nicht die Art von Langeweile, die nervtötend und ärgerlich war, sondern die genussvolle Variante; jene, die ihm Entspannung und Ruhe bot. Er hatte sie selbst gewählt und es gab daher nichts zu klagen. Jedenfalls sagte er sich das und die meiste Zeit stimmte es. Aber je länger er in dieser Art der Untätigkeit verharrte, desto öfter schlich sich ein Gedanke – oder war es schon ein Wunsch? – in seinen Kopf: Abwechslung.
Bald, ja, aber noch nicht heute. Heute genoss er wie jeden Morgen sein langweiliges Ritual: einen Kaffee »Chandra« in Booms Caféhaus. Eine exotische Mischung mit vielerlei Geschmacksnoten. Das war eine der langweiligen Annehmlichkeiten, die er sich in seinem Alltag gönnte: den Luxus, richtigen Kaffee zu trinken. Frisch gebrüht, heiß und stark. Zumindest redete er sich das ein. Möglicherweise war aber auch der Automat im Booms einfach nur besser als andere.
»Sie gestatten?«, drang eine Stimme in seine Gedanken.
Er drehte den Kopf. Ein Mann menschlicher Abstammung, mittleres Alter, nicht sehr groß, schlank, mit grauen Haaren und grauen Augen, stand neben ihm und lächelte freundlich.
Ein kurzer Rundblick zeigte, dass es noch genügend freie Tische gab, an die sich der Mann hätte setzen können. Was ihn vermuten ließ, dass der Neuankömmling ein Gespräch suchte. Er gehörte nicht zu den Stammgästen, die er kannte. Wahrscheinlich ein Zufallsgast oder ein neuer Bewohner der Gegend.
»Bitte«, meinte er schließlich. Gesellschaft störte ihn nicht, und falls der andere zu redselig wurde, konnte er aufstehen und gehen.
Das weltmännische Auftreten seines Tischgenossen passte nicht hierher. Uwardu war ein Hinterwäldlerplanet. Er wurde nicht oft von Raumschiffen angeflogen. Eine verschlafene Welt, deren einzige Bedeutung darin bestand, dass sie am Schnittpunkt von Routen zwischen ein paar anderen, bedeutenderen Planeten lag. In bescheidenem Umfang musste sie als Umschlagsplatz für Waren und Passagiere herhalten.
Eher beiläufig registrierte er, dass der andere sich einen »Kaffee Sun« bestellte, einen koffeinfreien Milchkaffee; ein Getränk, an dem Dark nicht sonderlich viel fand.
Seine Gedanken kehrten in die Vergangenheit zurück. Ein halbes Jahr lebte er nun auf Uwardu. Bei seiner Ankunft war er mehr oder weniger mittellos gewesen. Nachdem er aber, dank seiner Erfahrungen und Kenntnisse aus seinem früheren Leben – seinem sehr viel früheren Leben – einen ersten Kontakt hatte herstellen können, war es relativ einfach gewesen. Seine militärischen Implantate hatten gegen 150.000 Uwardu-Credits und eine neue Identität den Besitzer getauscht. Er hatte einen Allerweltsnamen angenommen, der zu einem Allerweltsgesicht gehörte, wie es ein Allerweltsmensch hatte: Norman Dark.
Er hatte seine Zelte in der Umgebung des Raumhafens abgebrochen und sich ein bescheidenes Appartement in einem unscheinbaren, durchschnittlichen Stadtteil gesucht. Seine Nachbarschaft dort interessierte sich nicht für Norman Dark.
»Ein schöner Tag. Ein Tag, um seine Gedanken schweifen zu lassen«, begann nach ein paar Minuten sein Tischnachbar die befürchtete Unterhaltung.
Dark ging nicht darauf ein. Er fühlte sich nicht direkt angesprochen, aber sein Gegenüber zeigte, dass er ihn gemeint hatte, denn er schob nach: »Sind Sie nicht ebenfalls der Meinung?«
»Ich weiß nicht, ob es am Tag liegt«, gab Dark ausweichend zurück. »Es gibt hin und wieder solche Augenblicke.«
Der Grauhaarige nickte. »Da haben Sie allerdings recht.« Er setzte ein höfliches Lächeln auf. »Mein Name ist Malcolm Davies.«
Dark neigte grüßend den Kopf. Ein bisschen Höflichkeit würde sicher nicht schaden. »Norman Dark.« Er widmete Davies zum ersten Mal bewusst einen eingehenderen Blick. Etwas an dessen Art, das er nicht in Worte fassen konnte, warnte ihn. Der andere war in keinem Fall der zufällige Besucher des Cafés, für den man ihn halten sollte. Seine Kleidung wirkte unscheinbar wie er selbst, aber ihr haftete etwas Teures an. Für einen Augenblick bedauerte Dark, dass er keine Implantate mehr besaß. Sie hätten ihm weit mehr verraten als seine Augen.
»Ich weiß, wer Sie sind, Mr. … Dark«, gab Davies zurück. Die Art, wie er das sagte, die kurze, fast nicht zu bemerkende Pause vor seinem Namen, ließen in Dark endgültig alle Warnlampen aufleuchten.
»Und wer sind Sie?«, fragte er darum unumwunden. »Was wollen Sie von mir?«
»Wie ich schon sagte, mein Name ist Malcolm Davies. Ich arbeite für die Den-Haag-Stiftung.«
Dark kannte die Stiftung. Er wusste grob, was sie tat und wofür sie stand. Er hatte allerdings noch nicht direkt mit ihr zu tun gehabt. Sein Vorgesetzter hatte ihn nicht in die Gespräche einbezogen. Und schon gar nicht in seine Entscheidungen.
»Und was ich von Ihnen will, Mr. Dark«, fuhr Davies fort und wieder machte er eine fast zu überhörende Pause vor dem Namen, »lässt sich nicht in ein paar Worten erklären.« Er sah sich um. Der Raum hatte sich mittlerweile weiter gefüllt. »Besser wir gehen ein Stück. Was ich Ihnen zu sagen habe, ist nicht für jedermanns Ohren bestimmt.«
»Und wenn ich es nicht hören will?«
Davies lächelte. Doch in diesem Lächeln schwang mehr mit als nur oberflächliche Freundlichkeit. Der Den-Haag-Mann beugte sich vor und meinte kaum vernehmbar: »Ich kann Sie nicht zwingen, mir zuzuhören, natürlich nicht. Aber ich denke, dass eine Unterhaltung in einer etwas weniger aufmerksamen Umgebung zu unser beider Vorteil sein könnte, Mr. Dark!« Sein Lächeln bekam eine verschwörerische Note. »Ich sage nur … Interceptor!«
Obwohl Dark sich zu beherrschen versuchte, musste seinem Blick anzusehen sein, dass er überrascht war.
Davies lachte leise. »Haben Sie tatsächlich angenommen, dass wir Sie aus den Augen lassen?« Er stand auf. »Gehen wir!« Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte er sich um und ging zur Tür. Der Den-Haag-Mann schien sich sicher zu sein, dass sein Gesprächspartner ihm folgen würde.
Dark blieb noch ein paar Augenblicke sitzen, dann erhob er sich ebenfalls, gab dem Mann hinter der Theke seinen Credit-Chip und bezahlte die Getränke. Dann verließ er das Booms.
Davies wartete draußen. »In der Nähe ist ein Park. Gehen wir ein wenig spazieren.«
Fragen lagen Dark auf der Zunge, doch er verzichtete darauf, sie dem Den-Haag-Mann sofort zu stellen. Der erweckte nicht den Eindruck, als würde er sie ihm auf dem Weg beantworten.
Wenig später erreichten sie die Grünanlage. Sie glich in vielerlei Hinsicht ähnlichen Anlagen, wie er sie von anderen von Menschen besiedelten Planeten kannte. Der Versuch, ein Stück Natur in die Megastädte mit ihren unpersönlichen Wohnblocks und Hochhäusern zu bringen. Es gab Wege und Wiesen, Bäume und Büsche, Bäche und Teiche. Gelegentlich hatte Dark diese Anlage aufgesucht.
»Ich nehme an, Sie haben Fragen«, meinte Davies schließlich, nachdem sie einige Minuten im Park unterwegs waren. »Ich werde versuchen, sie Ihnen zu beantworten. Lassen Sie mich zunächst aber ein paar Dinge erklären. Vielleicht erübrigt sich dann bereits das eine oder andere.
Ihr richtiger Name ist nicht Norman Dark. Sie sind Shelwin Klime, ein ehemaliges Besatzungsmitglied der Interceptor.« In der Folge skizierte er Klimes Weg, seit er auf dem Planeten angekommen war. »Das Entfernen ihrer Implantate brachte Ihnen 150.000 Uwardu-Credits«, endete Davies schließlich und schmunzelte. »Da waren wir sehr großzügig. Allerdings bin ich überzeugt, dass sich diese Investition in der Zukunft vielfach auszahlen wird. Natürlich erschwerte uns das, auf Ihrer Spur zu bleiben, aber wie Sie sehen, ist es uns gelungen.« Eine neutrale Zufriedenheit schwang in Davies Stimme mit. »Aus zweierlei Gründen erschien uns das wichtig: Zum einen natürlich, um Sie vor Schaden zu bewahren. Zum anderen, weil wir ein Interesse an Ihnen haben. Deshalb war es uns wichtig, Sie im Auge zu behalten. Sie schlugen sich im Übrigen bemerkenswert gut in einer für Sie fremden Zeit. Der Besuch auf der Erde hat Ihnen sicherlich nicht den richtigen … Blick auf die Zustände vermittelt, wie sie auf den freien Welten üblich sind. Ein paar von uns überraschte das.«
Klime folgte den Erklärungen wortlos. Seine Fragen hatten Zeit.
»Andere überraschte es dagegen keineswegs. Wir wissen nämlich auch, dass Sie vor Ihrer Zeit bei der Flotte für den Hegemonie-Geheimdienst gearbeitet haben.«
Das wiederum überraschte Klime. An Bord der Interceptor hatte das ausschließlich der Bordcomputer gewusst – tief versteckt in irgendwelchen Personaldateien. Nicht einmal Thrax hatte davon eine Ahnung gehabt. Wie also konnten Davies und die Den-Haag-Stiftung das wissen?
»Sie nahmen Ihren Abschied vom Nachrichtendienst, weil Sie aktiver gegen die Hondh vorgehen wollten. Sie hielten das zögerliche Verhalten der Hegemonie-Führung für einen großen Fehler.« Der Den-Haag-Mann sah ihn an. »Sie waren und sind wahrscheinlich noch davon überzeugt, dass die Hondh keinerlei Gesprächen zugänglich sein würden. Ihrer Ansicht nach wird nur ein militärischer Schlag maximaler Größenordnung die Entscheidung bringen. Ein Schlag, zu dem sich die Hegemonie jedoch zu keinem Zeitpunkt des Krieges in der Lage sah.«
Das stimmte und stimmte auch wieder nicht. Es hatte den einen oder anderen Zeitpunkt gegeben, zu dem ein solcher Schlag möglich – und sinnvoll – gewesen wäre. Selbst dann, wenn niemals ausreichend Informationen über die Hondh und ihr Vorgehen vorhanden gewesen waren. Klime hatte das Zögern für falsch gehalten.
»Ich denke, das waren im Großen und Ganzen die nennenswerten Fakten«, beendete Davies seine Erklärung.
Klime dachte einen Augenblicke nach, während er schweigend an der Seite des Den-Haag-Mannes durch den Park ging. Er registrierte dankbar Davies Schweigen, das ihm Zeit ließ, seine Gedanken zu sortieren.
Sie kamen an einen Teich und setzten sich auf eine der Bänke, die an dessen Ufer standen. Es war früh am Vormittag und niemand befand sich in ihrer unmittelbaren Nähe.
»Woher wissen Sie das alles?«
Davies lächelte erneut. »Nicht jedes Geheimnis der Interceptor ist noch ein solches. Und nicht alle Datenbanken der Erde gingen uns verloren.« Sein Blick wurde ein wenig bekümmert. »Aber leider konnte nur ein verschwindend geringer Teil an Daten gerettet werden und fand auf Umwegen zu uns. Viel zu wenig, als dass es uns in dem Maße nützlich wäre, wie wir es uns wünschen.«
»Und dieser gerettete Teil enthielt ausgerechnet über mich Aufzeichnungen?«, fragte Klime zweifelnd.
Sein Gesprächspartner schüttelte den Kopf. »Nicht über Sie persönlich, nein. Aber die eine oder andere Personendatenbank, in der Sie zufällig auftauchen, ein paar Informationen von der Interceptor; die eine oder andere Beobachtung auf Leeluu, hier auf Uwardu. In der Summe nicht sehr viel, aber ausreichend, um Rückschlüsse zuzulassen, was Ihre Person betrifft.«
Klime lagen viele Fragen auf der Zunge, doch er stellte nur eine: »Und was wollen Sie jetzt von mir?«
Davies ließ sich Zeit mit der Antwort. »Es ist nicht so, dass wir von Anfang an Pläne mit Ihnen hatten. Aber immerhin besitzen Sie, wie alle Besatzungsangehörigen der Interceptor, eine Eigenschaft, die ungemein nützlich ist.«
Klime musste nicht lange nachdenken. »Meine Immunität gegen das Mentalfeld der Hondh.«
Davies nickte anerkennend. »Sie begreifen schnell. Es gibt nicht sehr viele Immune, von denen wir wissen. Diese wiederum stehen unter ständiger Beobachtung. Ein dritter Grund, weshalb wir Sie im Auge behielten.« Er hob die Schultern und lächelte. »Für den Fall der Fälle.«
»Für welchen Fall?«
Davies ging nicht auf die Frage ein, sondern fuhr stattdessen fort: »Wir ließen Sie jedoch in Ruhe, weil Sie uns nichts hätten sagen können, was wir nicht ohnehin schon wussten. Es war nicht von Bedeutung.«
»Und jetzt ist es das?«
»Wie man es sieht«, erwiderte sein Gegenüber ausweichend. »Sie sind ein Kandidat.« Er wehrte ab, als Klime etwas sagen wollte. »Natürlich nicht der Einzige, aber Sie gehören zu einem kleinen Kreis von Personen, der die von uns aufgestellten Kriterien erfüllt.« Er machte eine kurze Pause. »Denn wir haben einen Plan und Sie spielen eine Rolle darin.« Fast klang es ein wenig verschwörerisch.
»Was für einen Plan?«
Davies schüttelte den Kopf. »Es würde im Augenblick zu weit führen, Mr. Klime, Ihnen das zu erklären. Aber ich kann zumindest eines sagen. Wir müssen einen Mangel beseitigen, der vor 500 Jahren das Hauptproblem war und es heute noch ist: unser Informationsdefizit! Das muss sich ändern, wenn wir im Krieg erfolgreich sein wollen.«
Klime lachte bitter. »Der Krieg ist vorbei, Mr. Davies. Die Erde, die Menschen, alle Völker haben ihn seinerzeit verloren, falls Ihnen das entgangen sein sollte.«
»Natürlich ist mir das nicht entgangen«, versicherte Davies. »So wenig wie sonst jemandem, aber es geht nicht darum, einen verlorenen Krieg nachträglich zu gewinnen. Es geht auch nicht darum, die Wiege der Menschheit aus der Hand der Hondh zu befreien. Daran sind Sie bereits einmal gescheitert.«
Klime erinnerte sich an ihren sinnlosen Angriff auf den Standort des Mentalfeld-Generators auf der Erde. Seine Zerstörung hatte rein gar nichts bewirkt. Die Hoffnung, dass die Erdbevölkerung ohne Mentalfeld aus ihrer Umnachtung erwachen würde, hatte sich schnell zerschlagen.
»Und wir würden jederzeit erneut scheitern, wenn wir das versuchen sollten«, fuhr Davies fort. »Ein militärischer Schlag dieser Art führt zu nichts. Doch wie gesagt, darum geht es nicht. Nicht im ersten Schritt.«
»Und worum geht es dann?«
»Der Krieg, den ich meine, steht uns erst noch bevor. Nach allem, was wir wissen, und nach allem, was wir daraus halbwegs verlässlich schließen können, müssen wir uns auf eine neue Expansion der Hondh einstellen.« Er stand auf und Klime tat es ihm gleich. »Es lässt sich aber nicht – noch nicht! – sagen, wann oder in welche Richtung diese erfolgen wird. Doch wir sind überzeugt, dass es nicht mehr lange dauern wird.« Sie setzten mit einem schlendernden Gang, als seien sie ganz normale Parkbesucher, ihren Weg fort. »Die Menschheit war zu Ihrer Zeit nicht darauf vorbereitet und sie ist es heute nicht. Wir wissen einfach zu wenig und das, was wir wissen, ist Stückwerk, manches auf den ersten Blick ohne jeden Zusammenhang.«
»In Ihrem Plan geht es darum, mehr zu erfahren«, vermutete Klime, »endlich Zusammenhänge aufzudecken.«
»Vereinfacht gesagt, ja. Die Stiftung arbeitet an vielen Fronten. Dieses Unternehmen ist nur eine.«
›Geht das auch konkreter?‹, wünschte sich Klime. Bislang hatte Davies nur mehr oder weniger bekannte Tatsachen wiederholt. Eine Zeit lang gingen sie schweigend nebeneinander her.
»Sie haben schon einmal von den Tributschiffen gehört?«, fragte Davies schließlich.
»Ja. Sie kommen, werden mit Waren beladen und verschwinden wieder.« Klime hob die Schultern. »Viel mehr weiß ich allerdings nicht.«
»Dann wissen Sie in etwa das, was auch uns darüber bekannt ist. Ein paar Details kennen wir zusätzlich, aber das sind wirklich nur Einzelheiten.«
»Welcher Art?«
»Zum Beispiel, dass sich die Zusammensetzung der Waren verändert hat, die als Tribut eingefordert werden. Und noch anderes.« Er winkte ab, als Klime etwas sagen wollte. »Belassen wir es für den Augenblick dabei. Was wir über die Tributschiffe wissen, gleicht in vielem dem, was wir über die Hondh wissen. Sie existieren. Aber niemand weiß, woher diese Schiffe kommen. Wo starten sie, ehe sie die Waren abholen? Warum genau diese Waren? Und wohin bringen sie diese dann? Fliegen sie nur ein Ziel an oder mehrere? Was geschieht an dem oder den Zielorten mit diesen Gütern? Wer steuert diese Schiffe? Sind es die Hondh?« Klime hörte Frustration aus Davies Stimme. »Fragen über Fragen und dabei sind das längst noch nicht alle. Im Grunde wissen wir nichts. Nicht nur die Hondh, sondern auch ihre Tributschiffe stellen für uns ein Buch mit sieben Siegeln dar.«
»Ich verstehe. Sie wollen diese Siegel öffnen.«
Davies hob die Schultern. »Sicher nicht alle auf einmal und nicht sofort, aber in gewissem Sinne ist das unsere Absicht«, bestätigte er. »Ansonsten haben wir auch diesen Krieg verloren, noch ehe er begonnen hat.«
Klime wollte einwerfen, dass das in seinen Augen bereits der Fall war. Er gestand sich selbst aber ehrlicherweise ein, dass die Zeiten sich geändert hatten. Auch wenn in seinen Augen in vielen technischen Bereichen ein Stillstand, in manchen sogar ein Rückschritt gegenüber der Zeit vor 500 Jahren zu verzeichnen war, ließ sich die Tatsache nicht leugnen, dass eben genau diese Zeit auch vergangen war. Jahrhunderte, die für Forschungen genutzt worden sein konnten, von denen er keine Ahnung hatte. Möglicherweise gab es technische Errungenschaften, von denen er nichts wusste. Alles schien auf seltsame Art und Weise paradox. Obwohl ein halbes Jahrtausend verstrichen war, erschien ihm die heutige Zeit in mancher Hinsicht rückständiger als damals, in anderer aber auch nicht. Die Eroberung der Mutterwelt der Menschheit durch die Hondh hatte Entwicklungen in Gang gesetzt, die nicht mit wenigen Worten zu erklären waren. Eine Zivilisation sollte sich in 500 Jahren weiterentwickeln; technisch ebenso wie gesellschaftlich. Tat sie das nicht, musste es einen Hemmschuh geben. Er wusste zu wenig über die Welten und Völker außerhalb der hondhbeherrschten Zone, um darüber eine verlässliche Aussage treffen zu können. Doch was er wusste, brachte ihn ins Grübeln, ob diese Entwicklung der Gesellschaft tatsächlich stattgefunden hatte.
»Wie genau sieht Ihr Plan nun aus?«, stellte Klime schließlich die Frage, die schon seit Davies Eröffnung zwischen ihnen hing. »Und welche Rolle haben Sie mir darin zugedacht?«
Davies ließ sich Zeit mit der Antwort. »Wie ich schon sagte«, meinte er dann, »würde es hier und jetzt zu weit führen, auf alle Einzelheiten einzugehen. Im Grunde habe ich Sie zuerst einmal deswegen aufgesucht, weil Sie in diesem Plan eine Rolle spielen.« Er sah Klime an. »Können Sie sich vorstellen, daran mitzuwirken?«
Klime blieb stehen und wandte sich ihm zu. »Das ist alles? Sie wollen wissen, ob ich bei einem Unternehmen mitmache, über das Sie mir nichts verraten wollen und das etwas bewirken soll, was vor 500 Jahren nicht von Erfolg gekrönt war?« Er schüttelte den Kopf. »Die Antwort darauf ist ebenso kurz wie einfach: Nein. Ich verließ die Interceptor nicht, um mich in ein aussichtsloses Unterfangen zu stürzen. Ich wollte den Krieg hinter mir lassen.« Er zeigte mit dem Finger auf Davies. »Und das ist mir gelungen. Ich sehe keinen Grund, das zu ändern.« Noch bevor er zu Ende gesprochen hatte, wusste er, dass das so nicht stimmte. Das Nichtstun wurde eintönig, aber es war noch nicht so belastend, dass er sich in das gestürzt hätte, was Davies ihm anbot. »Und schon gar nicht, wenn ich nichts Näheres darüber weiß. Und was hätte ich eigentlich davon«, fügte er hinzu. Er hob die Hand, als Davies etwas erwidern wollte. »Sie können sich denken, dass Geld und Ruhm nicht das sind, was ich meine. Was würde es mir ganz persönlich bringen, wenn ich mich daran beteiligte?«
»Ich habe nicht erwartet, dass Sie sofort ja sagen«. Wieder einmal ging Davies nicht auf die gestellte Frage ein. »Doch ich gestehe, dass ich auch nicht mit einem sofortigen nein gerechnet habe. So hätte ich Sie anhand dessen, was wir über Sie wissen, nicht eingeschätzt.«
Klime lächelte. »Dann wissen Sie eben zu wenig über mich.«
Davies nickte zögernd. »Das scheint so zu sein. Aber ich musste es versuchen. Immune mit Ihren Fähigkeiten und Kenntnissen sind rar gesät.« Er reichte Klime die Hand. »Es tut mir leid, wenn ich Sie belästigt habe. Ich … wir hatten ein anderes Bild von Ihnen. Selbstverständlich akzeptiere ich Ihr Nein. Es ist Ihre Entscheidung.«
»Das ist sie, gut erkannt.« Es klang schroffer, als er beabsichtigt hatte. Schnell ergriff Klime die angebotene Hand.
»Dann ist alles gesagt, Mr. Dark.« Davies wandte sich zum Gehen. Seiner Miene war die Enttäuschung anzusehen. »Eines noch«, meinte er, schon halb abgewendet. »Sie wissen möglicherweise nicht, dass die Behörden Sie suchen. Die Stiftung ließ bislang nicht verlauten, dass wir etwas über Ihren Aufenthaltsort wissen. Aber ich befürchte, über kurz oder lang wird man herausfinden, wo Sie sind. Wenn Sie Hilfe brauchen, wenden Sie sich bitte ohne zu zögern an uns.« Er nickte grüßend und ging. Klime sah ihm nachdenklich hinterher.
›Hält er mich für so begriffsstutzig, dass ich seine Drohung nicht verstanden habe?‹, dachte er. ›Bislang hat die Stiftung nichts verlauten lassen … aber daran kann sich etwas ändern. Und außerdem … er hat zu schnell aufgegeben. Das ging mir irgendwie zu einfach.‹
Klime war bewusst, dass er sein Appartement so bald wie möglich verlassen musste. Zugleich wusste er aber auch, dass er die Stiftung nicht würde abschütteln können. Nicht, solange er auf diesem Planeten blieb.
Bald, ja, aber noch nicht heute. Heute genoss er wie jeden Morgen sein langweiliges Ritual: einen Kaffee »Chandra« in Booms Caféhaus. Eine exotische Mischung mit vielerlei Geschmacksnoten. Das war eine der langweiligen Annehmlichkeiten, die er sich in seinem Alltag gönnte: den Luxus, richtigen Kaffee zu trinken. Frisch gebrüht, heiß und stark. Zumindest redete er sich das ein. Möglicherweise war aber auch der Automat im Booms einfach nur besser als andere.
»Sie gestatten?«, drang eine Stimme in seine Gedanken.
Er drehte den Kopf. Ein Mann menschlicher Abstammung, mittleres Alter, nicht sehr groß, schlank, mit grauen Haaren und grauen Augen, stand neben ihm und lächelte freundlich.
Ein kurzer Rundblick zeigte, dass es noch genügend freie Tische gab, an die sich der Mann hätte setzen können. Was ihn vermuten ließ, dass der Neuankömmling ein Gespräch suchte. Er gehörte nicht zu den Stammgästen, die er kannte. Wahrscheinlich ein Zufallsgast oder ein neuer Bewohner der Gegend.
»Bitte«, meinte er schließlich. Gesellschaft störte ihn nicht, und falls der andere zu redselig wurde, konnte er aufstehen und gehen.
Das weltmännische Auftreten seines Tischgenossen passte nicht hierher. Uwardu war ein Hinterwäldlerplanet. Er wurde nicht oft von Raumschiffen angeflogen. Eine verschlafene Welt, deren einzige Bedeutung darin bestand, dass sie am Schnittpunkt von Routen zwischen ein paar anderen, bedeutenderen Planeten lag. In bescheidenem Umfang musste sie als Umschlagsplatz für Waren und Passagiere herhalten.
Eher beiläufig registrierte er, dass der andere sich einen »Kaffee Sun« bestellte, einen koffeinfreien Milchkaffee; ein Getränk, an dem Dark nicht sonderlich viel fand.
Seine Gedanken kehrten in die Vergangenheit zurück. Ein halbes Jahr lebte er nun auf Uwardu. Bei seiner Ankunft war er mehr oder weniger mittellos gewesen. Nachdem er aber, dank seiner Erfahrungen und Kenntnisse aus seinem früheren Leben – seinem sehr viel früheren Leben – einen ersten Kontakt hatte herstellen können, war es relativ einfach gewesen. Seine militärischen Implantate hatten gegen 150.000 Uwardu-Credits und eine neue Identität den Besitzer getauscht. Er hatte einen Allerweltsnamen angenommen, der zu einem Allerweltsgesicht gehörte, wie es ein Allerweltsmensch hatte: Norman Dark.
Er hatte seine Zelte in der Umgebung des Raumhafens abgebrochen und sich ein bescheidenes Appartement in einem unscheinbaren, durchschnittlichen Stadtteil gesucht. Seine Nachbarschaft dort interessierte sich nicht für Norman Dark.
»Ein schöner Tag. Ein Tag, um seine Gedanken schweifen zu lassen«, begann nach ein paar Minuten sein Tischnachbar die befürchtete Unterhaltung.
Dark ging nicht darauf ein. Er fühlte sich nicht direkt angesprochen, aber sein Gegenüber zeigte, dass er ihn gemeint hatte, denn er schob nach: »Sind Sie nicht ebenfalls der Meinung?«
»Ich weiß nicht, ob es am Tag liegt«, gab Dark ausweichend zurück. »Es gibt hin und wieder solche Augenblicke.«
Der Grauhaarige nickte. »Da haben Sie allerdings recht.« Er setzte ein höfliches Lächeln auf. »Mein Name ist Malcolm Davies.«
Dark neigte grüßend den Kopf. Ein bisschen Höflichkeit würde sicher nicht schaden. »Norman Dark.« Er widmete Davies zum ersten Mal bewusst einen eingehenderen Blick. Etwas an dessen Art, das er nicht in Worte fassen konnte, warnte ihn. Der andere war in keinem Fall der zufällige Besucher des Cafés, für den man ihn halten sollte. Seine Kleidung wirkte unscheinbar wie er selbst, aber ihr haftete etwas Teures an. Für einen Augenblick bedauerte Dark, dass er keine Implantate mehr besaß. Sie hätten ihm weit mehr verraten als seine Augen.
»Ich weiß, wer Sie sind, Mr. … Dark«, gab Davies zurück. Die Art, wie er das sagte, die kurze, fast nicht zu bemerkende Pause vor seinem Namen, ließen in Dark endgültig alle Warnlampen aufleuchten.
»Und wer sind Sie?«, fragte er darum unumwunden. »Was wollen Sie von mir?«
»Wie ich schon sagte, mein Name ist Malcolm Davies. Ich arbeite für die Den-Haag-Stiftung.«
Dark kannte die Stiftung. Er wusste grob, was sie tat und wofür sie stand. Er hatte allerdings noch nicht direkt mit ihr zu tun gehabt. Sein Vorgesetzter hatte ihn nicht in die Gespräche einbezogen. Und schon gar nicht in seine Entscheidungen.
»Und was ich von Ihnen will, Mr. Dark«, fuhr Davies fort und wieder machte er eine fast zu überhörende Pause vor dem Namen, »lässt sich nicht in ein paar Worten erklären.« Er sah sich um. Der Raum hatte sich mittlerweile weiter gefüllt. »Besser wir gehen ein Stück. Was ich Ihnen zu sagen habe, ist nicht für jedermanns Ohren bestimmt.«
»Und wenn ich es nicht hören will?«
Davies lächelte. Doch in diesem Lächeln schwang mehr mit als nur oberflächliche Freundlichkeit. Der Den-Haag-Mann beugte sich vor und meinte kaum vernehmbar: »Ich kann Sie nicht zwingen, mir zuzuhören, natürlich nicht. Aber ich denke, dass eine Unterhaltung in einer etwas weniger aufmerksamen Umgebung zu unser beider Vorteil sein könnte, Mr. Dark!« Sein Lächeln bekam eine verschwörerische Note. »Ich sage nur … Interceptor!«
Obwohl Dark sich zu beherrschen versuchte, musste seinem Blick anzusehen sein, dass er überrascht war.
Davies lachte leise. »Haben Sie tatsächlich angenommen, dass wir Sie aus den Augen lassen?« Er stand auf. »Gehen wir!« Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte er sich um und ging zur Tür. Der Den-Haag-Mann schien sich sicher zu sein, dass sein Gesprächspartner ihm folgen würde.
Dark blieb noch ein paar Augenblicke sitzen, dann erhob er sich ebenfalls, gab dem Mann hinter der Theke seinen Credit-Chip und bezahlte die Getränke. Dann verließ er das Booms.
Davies wartete draußen. »In der Nähe ist ein Park. Gehen wir ein wenig spazieren.«
Fragen lagen Dark auf der Zunge, doch er verzichtete darauf, sie dem Den-Haag-Mann sofort zu stellen. Der erweckte nicht den Eindruck, als würde er sie ihm auf dem Weg beantworten.
Wenig später erreichten sie die Grünanlage. Sie glich in vielerlei Hinsicht ähnlichen Anlagen, wie er sie von anderen von Menschen besiedelten Planeten kannte. Der Versuch, ein Stück Natur in die Megastädte mit ihren unpersönlichen Wohnblocks und Hochhäusern zu bringen. Es gab Wege und Wiesen, Bäume und Büsche, Bäche und Teiche. Gelegentlich hatte Dark diese Anlage aufgesucht.
»Ich nehme an, Sie haben Fragen«, meinte Davies schließlich, nachdem sie einige Minuten im Park unterwegs waren. »Ich werde versuchen, sie Ihnen zu beantworten. Lassen Sie mich zunächst aber ein paar Dinge erklären. Vielleicht erübrigt sich dann bereits das eine oder andere.
Ihr richtiger Name ist nicht Norman Dark. Sie sind Shelwin Klime, ein ehemaliges Besatzungsmitglied der Interceptor.« In der Folge skizierte er Klimes Weg, seit er auf dem Planeten angekommen war. »Das Entfernen ihrer Implantate brachte Ihnen 150.000 Uwardu-Credits«, endete Davies schließlich und schmunzelte. »Da waren wir sehr großzügig. Allerdings bin ich überzeugt, dass sich diese Investition in der Zukunft vielfach auszahlen wird. Natürlich erschwerte uns das, auf Ihrer Spur zu bleiben, aber wie Sie sehen, ist es uns gelungen.« Eine neutrale Zufriedenheit schwang in Davies Stimme mit. »Aus zweierlei Gründen erschien uns das wichtig: Zum einen natürlich, um Sie vor Schaden zu bewahren. Zum anderen, weil wir ein Interesse an Ihnen haben. Deshalb war es uns wichtig, Sie im Auge zu behalten. Sie schlugen sich im Übrigen bemerkenswert gut in einer für Sie fremden Zeit. Der Besuch auf der Erde hat Ihnen sicherlich nicht den richtigen … Blick auf die Zustände vermittelt, wie sie auf den freien Welten üblich sind. Ein paar von uns überraschte das.«
Klime folgte den Erklärungen wortlos. Seine Fragen hatten Zeit.
»Andere überraschte es dagegen keineswegs. Wir wissen nämlich auch, dass Sie vor Ihrer Zeit bei der Flotte für den Hegemonie-Geheimdienst gearbeitet haben.«
Das wiederum überraschte Klime. An Bord der Interceptor hatte das ausschließlich der Bordcomputer gewusst – tief versteckt in irgendwelchen Personaldateien. Nicht einmal Thrax hatte davon eine Ahnung gehabt. Wie also konnten Davies und die Den-Haag-Stiftung das wissen?
»Sie nahmen Ihren Abschied vom Nachrichtendienst, weil Sie aktiver gegen die Hondh vorgehen wollten. Sie hielten das zögerliche Verhalten der Hegemonie-Führung für einen großen Fehler.« Der Den-Haag-Mann sah ihn an. »Sie waren und sind wahrscheinlich noch davon überzeugt, dass die Hondh keinerlei Gesprächen zugänglich sein würden. Ihrer Ansicht nach wird nur ein militärischer Schlag maximaler Größenordnung die Entscheidung bringen. Ein Schlag, zu dem sich die Hegemonie jedoch zu keinem Zeitpunkt des Krieges in der Lage sah.«
Das stimmte und stimmte auch wieder nicht. Es hatte den einen oder anderen Zeitpunkt gegeben, zu dem ein solcher Schlag möglich – und sinnvoll – gewesen wäre. Selbst dann, wenn niemals ausreichend Informationen über die Hondh und ihr Vorgehen vorhanden gewesen waren. Klime hatte das Zögern für falsch gehalten.
»Ich denke, das waren im Großen und Ganzen die nennenswerten Fakten«, beendete Davies seine Erklärung.
Klime dachte einen Augenblicke nach, während er schweigend an der Seite des Den-Haag-Mannes durch den Park ging. Er registrierte dankbar Davies Schweigen, das ihm Zeit ließ, seine Gedanken zu sortieren.
Sie kamen an einen Teich und setzten sich auf eine der Bänke, die an dessen Ufer standen. Es war früh am Vormittag und niemand befand sich in ihrer unmittelbaren Nähe.
»Woher wissen Sie das alles?«
Davies lächelte erneut. »Nicht jedes Geheimnis der Interceptor ist noch ein solches. Und nicht alle Datenbanken der Erde gingen uns verloren.« Sein Blick wurde ein wenig bekümmert. »Aber leider konnte nur ein verschwindend geringer Teil an Daten gerettet werden und fand auf Umwegen zu uns. Viel zu wenig, als dass es uns in dem Maße nützlich wäre, wie wir es uns wünschen.«
»Und dieser gerettete Teil enthielt ausgerechnet über mich Aufzeichnungen?«, fragte Klime zweifelnd.
Sein Gesprächspartner schüttelte den Kopf. »Nicht über Sie persönlich, nein. Aber die eine oder andere Personendatenbank, in der Sie zufällig auftauchen, ein paar Informationen von der Interceptor; die eine oder andere Beobachtung auf Leeluu, hier auf Uwardu. In der Summe nicht sehr viel, aber ausreichend, um Rückschlüsse zuzulassen, was Ihre Person betrifft.«
Klime lagen viele Fragen auf der Zunge, doch er stellte nur eine: »Und was wollen Sie jetzt von mir?«
Davies ließ sich Zeit mit der Antwort. »Es ist nicht so, dass wir von Anfang an Pläne mit Ihnen hatten. Aber immerhin besitzen Sie, wie alle Besatzungsangehörigen der Interceptor, eine Eigenschaft, die ungemein nützlich ist.«
Klime musste nicht lange nachdenken. »Meine Immunität gegen das Mentalfeld der Hondh.«
Davies nickte anerkennend. »Sie begreifen schnell. Es gibt nicht sehr viele Immune, von denen wir wissen. Diese wiederum stehen unter ständiger Beobachtung. Ein dritter Grund, weshalb wir Sie im Auge behielten.« Er hob die Schultern und lächelte. »Für den Fall der Fälle.«
»Für welchen Fall?«
Davies ging nicht auf die Frage ein, sondern fuhr stattdessen fort: »Wir ließen Sie jedoch in Ruhe, weil Sie uns nichts hätten sagen können, was wir nicht ohnehin schon wussten. Es war nicht von Bedeutung.«
»Und jetzt ist es das?«
»Wie man es sieht«, erwiderte sein Gegenüber ausweichend. »Sie sind ein Kandidat.« Er wehrte ab, als Klime etwas sagen wollte. »Natürlich nicht der Einzige, aber Sie gehören zu einem kleinen Kreis von Personen, der die von uns aufgestellten Kriterien erfüllt.« Er machte eine kurze Pause. »Denn wir haben einen Plan und Sie spielen eine Rolle darin.« Fast klang es ein wenig verschwörerisch.
»Was für einen Plan?«
Davies schüttelte den Kopf. »Es würde im Augenblick zu weit führen, Mr. Klime, Ihnen das zu erklären. Aber ich kann zumindest eines sagen. Wir müssen einen Mangel beseitigen, der vor 500 Jahren das Hauptproblem war und es heute noch ist: unser Informationsdefizit! Das muss sich ändern, wenn wir im Krieg erfolgreich sein wollen.«
Klime lachte bitter. »Der Krieg ist vorbei, Mr. Davies. Die Erde, die Menschen, alle Völker haben ihn seinerzeit verloren, falls Ihnen das entgangen sein sollte.«
»Natürlich ist mir das nicht entgangen«, versicherte Davies. »So wenig wie sonst jemandem, aber es geht nicht darum, einen verlorenen Krieg nachträglich zu gewinnen. Es geht auch nicht darum, die Wiege der Menschheit aus der Hand der Hondh zu befreien. Daran sind Sie bereits einmal gescheitert.«
Klime erinnerte sich an ihren sinnlosen Angriff auf den Standort des Mentalfeld-Generators auf der Erde. Seine Zerstörung hatte rein gar nichts bewirkt. Die Hoffnung, dass die Erdbevölkerung ohne Mentalfeld aus ihrer Umnachtung erwachen würde, hatte sich schnell zerschlagen.
»Und wir würden jederzeit erneut scheitern, wenn wir das versuchen sollten«, fuhr Davies fort. »Ein militärischer Schlag dieser Art führt zu nichts. Doch wie gesagt, darum geht es nicht. Nicht im ersten Schritt.«
»Und worum geht es dann?«
»Der Krieg, den ich meine, steht uns erst noch bevor. Nach allem, was wir wissen, und nach allem, was wir daraus halbwegs verlässlich schließen können, müssen wir uns auf eine neue Expansion der Hondh einstellen.« Er stand auf und Klime tat es ihm gleich. »Es lässt sich aber nicht – noch nicht! – sagen, wann oder in welche Richtung diese erfolgen wird. Doch wir sind überzeugt, dass es nicht mehr lange dauern wird.« Sie setzten mit einem schlendernden Gang, als seien sie ganz normale Parkbesucher, ihren Weg fort. »Die Menschheit war zu Ihrer Zeit nicht darauf vorbereitet und sie ist es heute nicht. Wir wissen einfach zu wenig und das, was wir wissen, ist Stückwerk, manches auf den ersten Blick ohne jeden Zusammenhang.«
»In Ihrem Plan geht es darum, mehr zu erfahren«, vermutete Klime, »endlich Zusammenhänge aufzudecken.«
»Vereinfacht gesagt, ja. Die Stiftung arbeitet an vielen Fronten. Dieses Unternehmen ist nur eine.«
›Geht das auch konkreter?‹, wünschte sich Klime. Bislang hatte Davies nur mehr oder weniger bekannte Tatsachen wiederholt. Eine Zeit lang gingen sie schweigend nebeneinander her.
»Sie haben schon einmal von den Tributschiffen gehört?«, fragte Davies schließlich.
»Ja. Sie kommen, werden mit Waren beladen und verschwinden wieder.« Klime hob die Schultern. »Viel mehr weiß ich allerdings nicht.«
»Dann wissen Sie in etwa das, was auch uns darüber bekannt ist. Ein paar Details kennen wir zusätzlich, aber das sind wirklich nur Einzelheiten.«
»Welcher Art?«
»Zum Beispiel, dass sich die Zusammensetzung der Waren verändert hat, die als Tribut eingefordert werden. Und noch anderes.« Er winkte ab, als Klime etwas sagen wollte. »Belassen wir es für den Augenblick dabei. Was wir über die Tributschiffe wissen, gleicht in vielem dem, was wir über die Hondh wissen. Sie existieren. Aber niemand weiß, woher diese Schiffe kommen. Wo starten sie, ehe sie die Waren abholen? Warum genau diese Waren? Und wohin bringen sie diese dann? Fliegen sie nur ein Ziel an oder mehrere? Was geschieht an dem oder den Zielorten mit diesen Gütern? Wer steuert diese Schiffe? Sind es die Hondh?« Klime hörte Frustration aus Davies Stimme. »Fragen über Fragen und dabei sind das längst noch nicht alle. Im Grunde wissen wir nichts. Nicht nur die Hondh, sondern auch ihre Tributschiffe stellen für uns ein Buch mit sieben Siegeln dar.«
»Ich verstehe. Sie wollen diese Siegel öffnen.«
Davies hob die Schultern. »Sicher nicht alle auf einmal und nicht sofort, aber in gewissem Sinne ist das unsere Absicht«, bestätigte er. »Ansonsten haben wir auch diesen Krieg verloren, noch ehe er begonnen hat.«
Klime wollte einwerfen, dass das in seinen Augen bereits der Fall war. Er gestand sich selbst aber ehrlicherweise ein, dass die Zeiten sich geändert hatten. Auch wenn in seinen Augen in vielen technischen Bereichen ein Stillstand, in manchen sogar ein Rückschritt gegenüber der Zeit vor 500 Jahren zu verzeichnen war, ließ sich die Tatsache nicht leugnen, dass eben genau diese Zeit auch vergangen war. Jahrhunderte, die für Forschungen genutzt worden sein konnten, von denen er keine Ahnung hatte. Möglicherweise gab es technische Errungenschaften, von denen er nichts wusste. Alles schien auf seltsame Art und Weise paradox. Obwohl ein halbes Jahrtausend verstrichen war, erschien ihm die heutige Zeit in mancher Hinsicht rückständiger als damals, in anderer aber auch nicht. Die Eroberung der Mutterwelt der Menschheit durch die Hondh hatte Entwicklungen in Gang gesetzt, die nicht mit wenigen Worten zu erklären waren. Eine Zivilisation sollte sich in 500 Jahren weiterentwickeln; technisch ebenso wie gesellschaftlich. Tat sie das nicht, musste es einen Hemmschuh geben. Er wusste zu wenig über die Welten und Völker außerhalb der hondhbeherrschten Zone, um darüber eine verlässliche Aussage treffen zu können. Doch was er wusste, brachte ihn ins Grübeln, ob diese Entwicklung der Gesellschaft tatsächlich stattgefunden hatte.
»Wie genau sieht Ihr Plan nun aus?«, stellte Klime schließlich die Frage, die schon seit Davies Eröffnung zwischen ihnen hing. »Und welche Rolle haben Sie mir darin zugedacht?«
Davies ließ sich Zeit mit der Antwort. »Wie ich schon sagte«, meinte er dann, »würde es hier und jetzt zu weit führen, auf alle Einzelheiten einzugehen. Im Grunde habe ich Sie zuerst einmal deswegen aufgesucht, weil Sie in diesem Plan eine Rolle spielen.« Er sah Klime an. »Können Sie sich vorstellen, daran mitzuwirken?«
Klime blieb stehen und wandte sich ihm zu. »Das ist alles? Sie wollen wissen, ob ich bei einem Unternehmen mitmache, über das Sie mir nichts verraten wollen und das etwas bewirken soll, was vor 500 Jahren nicht von Erfolg gekrönt war?« Er schüttelte den Kopf. »Die Antwort darauf ist ebenso kurz wie einfach: Nein. Ich verließ die Interceptor nicht, um mich in ein aussichtsloses Unterfangen zu stürzen. Ich wollte den Krieg hinter mir lassen.« Er zeigte mit dem Finger auf Davies. »Und das ist mir gelungen. Ich sehe keinen Grund, das zu ändern.« Noch bevor er zu Ende gesprochen hatte, wusste er, dass das so nicht stimmte. Das Nichtstun wurde eintönig, aber es war noch nicht so belastend, dass er sich in das gestürzt hätte, was Davies ihm anbot. »Und schon gar nicht, wenn ich nichts Näheres darüber weiß. Und was hätte ich eigentlich davon«, fügte er hinzu. Er hob die Hand, als Davies etwas erwidern wollte. »Sie können sich denken, dass Geld und Ruhm nicht das sind, was ich meine. Was würde es mir ganz persönlich bringen, wenn ich mich daran beteiligte?«
»Ich habe nicht erwartet, dass Sie sofort ja sagen«. Wieder einmal ging Davies nicht auf die gestellte Frage ein. »Doch ich gestehe, dass ich auch nicht mit einem sofortigen nein gerechnet habe. So hätte ich Sie anhand dessen, was wir über Sie wissen, nicht eingeschätzt.«
Klime lächelte. »Dann wissen Sie eben zu wenig über mich.«
Davies nickte zögernd. »Das scheint so zu sein. Aber ich musste es versuchen. Immune mit Ihren Fähigkeiten und Kenntnissen sind rar gesät.« Er reichte Klime die Hand. »Es tut mir leid, wenn ich Sie belästigt habe. Ich … wir hatten ein anderes Bild von Ihnen. Selbstverständlich akzeptiere ich Ihr Nein. Es ist Ihre Entscheidung.«
»Das ist sie, gut erkannt.« Es klang schroffer, als er beabsichtigt hatte. Schnell ergriff Klime die angebotene Hand.
»Dann ist alles gesagt, Mr. Dark.« Davies wandte sich zum Gehen. Seiner Miene war die Enttäuschung anzusehen. »Eines noch«, meinte er, schon halb abgewendet. »Sie wissen möglicherweise nicht, dass die Behörden Sie suchen. Die Stiftung ließ bislang nicht verlauten, dass wir etwas über Ihren Aufenthaltsort wissen. Aber ich befürchte, über kurz oder lang wird man herausfinden, wo Sie sind. Wenn Sie Hilfe brauchen, wenden Sie sich bitte ohne zu zögern an uns.« Er nickte grüßend und ging. Klime sah ihm nachdenklich hinterher.
›Hält er mich für so begriffsstutzig, dass ich seine Drohung nicht verstanden habe?‹, dachte er. ›Bislang hat die Stiftung nichts verlauten lassen … aber daran kann sich etwas ändern. Und außerdem … er hat zu schnell aufgegeben. Das ging mir irgendwie zu einfach.‹
Klime war bewusst, dass er sein Appartement so bald wie möglich verlassen musste. Zugleich wusste er aber auch, dass er die Stiftung nicht würde abschütteln können. Nicht, solange er auf diesem Planeten blieb.
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