Der Asteroid Helin droht mit der Erde zu kollidieren und alles Leben zu vernichten. Da man ihn nicht sprengen kann, bleibt nur die Möglichkeit, den Himmelskörper auf eine andere Umlaufbahn zu bringen.
Auf dem Asteroiden findet Brandis das Wrack eines alten Raumschiffs, das lange als verschollen galt. Und wieder hat Colonel Chemnitzer seine Hände im Spiel.
(13) Countdown für die Erde
€12,00
Mark Brandis, Band 13
Paperback, 168 Seiten
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Kategorie: Mark Brandis
Schlagwörter: Mark Brandis, Michalewski, Weltraumabenteuer
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Kapitel 01
Das also war er: ein staubiger, schwarzbrauner, unregelmäßig geformter Klumpen Wüste unter den Sternen – vor Urzeiten von irgendwoher an diese Stelle des Weltraums geschleudert und sodann hier verblieben, in einer der Erdumlaufbahn verwandten Wanderung rings um die Sonne. Wegen dieses Gestirns drohte der heimgesuchten Erde schon die nächste Katastrophe.
Die Medusa hatte ihre Fahrt der Geschwindigkeit seiner Wanderung angepaßt; sie schien in sicherem Abstand über ihm stillzustehen, so daß ich Zeit und Muße hatte, nunmehr mit bloßem Auge zu überprüfen, was mir Radar und Teleskop bereits gemeldet hatten.
Der Störenfried war kein namenloser Geselle. Auf meiner Karte war er eingetragen mit den Buchstaben Q.R.O./H. – was, wenn man im entsprechenden Handbuch nachschlug, sich ganz simpel als ‚quick running object Helin’ las.
Es war meine erste Begegnung mit ihm. So weit entfernt von allen beflogenen astralen Routen, daß er keine Gefahr für die Raumschiffahrt darstellte, so tief verloren in der Unendlichkeit des Raumes, daß er nicht einmal als Plattform für eine Beobachtungsstation oder interplanetarische Werkstatt in Betracht kam, fristete er seit seiner Entdeckung ein Dasein als eine belanglose Buchstabengruppe auf der Karte. Ein einziges Mal, noch im vergangenen Jahrhundert, war er das Ziel einer bemannten Landung gewesen. Seitdem galt der Asteroid als planetarer Mitläufer ohne jeden Wert und ohne Bedeutung.
Nun jedoch hatten es die Wissenschaftler zu bedauern begonnen, daß sie dem Helin in den vielen zur Verfügung gestandenen Jahrzehnten nicht mehr Beachtung geschenkt hatten. Es fehlte an zuverlässigen Werten und Erkenntnissen.
Unter einem Q.R.O./H. hatte ich mir, als mich der Auftrag aus Metropolis erreichte, kaum etwas vorstellen können – und am wenigsten dies. Der Helin war erheblich größer als jede mir bekannte künstliche Raumstation; sein Durchmesser mochte an die vier Kilometer betragen, seine rissige, gleichsam gewaltsam aus einem anderen, größeren Objekt herausgesprengte Oberfläche war völlig kahl und tot.
Der Auftrag hatte lakonisch geklungen – ich sollte die Medusa wieder übernehmen und sie samt einem Passagier – Dr. Edward Battington – zwecks dringender wissenschaftlicher Analysen auf schnellstem Wege zum Q.R.O./H. führen.
Worum es bei diesem Einsatz wirklich ging – das erfuhr ich erst auf der Anreise selbst. Battington – ein hochgewachsener, schlanker Engländer mit sonnenbraunem Teint und jugendlich blitzenden blauen Augen unter eisgrauem Haar – klärte mich auf. Im übrigen war er nicht irgendein Passagier, sondern ein weltweit bekannter Wissenschaftler, dessen Theorien und Thesen mir schon zu schaffen gemacht hatten, als ich noch die Schulbank der VEGA für Piloten drückte. Unter den Astrophysikern der EAAU galt er als Koryphäe auf dem Sektor der Zentrifugaltechnik.
Auch Battington beobachtete den Asteroiden. Er tat dies vom separaten Kartenhaus aus – gewissermaßen als Gast unseres Navigators, Lieutenant Iwan Stroganow. Von dort aus erreichte mich über die Bordsprechanlage seine Stimme:
»Wenn es Ihnen recht ist, Commander, sollten wir jetzt anfangen.«
»Die Medusa steht zu Ihrer Verfügung, Sir«, erwiderte ich und schaltete über zum Radar-Kontroll-Raum. »Brücke an RC. Doktor Battington möchte, daß wir zunächst ein paar Fotos von dem Ding da schießen – möglichst in Stereo.«
Lieutenant Simopulos Stimme meldete sich scheppernd im Lautsprecher:
»Aye, aye, Sir. Aber bevor ich loslege, hätte ich doch gern gewußt, wie Dr. Battington die Bilderchen am liebsten haben möchte: Profil, en face oder gar als liebliche Büste?«
Die Stimmung an Bord war gut, der Ton zwischen Brücke und Stationen heiter und zwanglos – wie so oft im Verlauf eines langen und ereignislosen Fluges. Ich drückte noch einmal auf die Taste:
»Wir drehen jetzt ein paar langsame Runden – dann haben Sie alle Möglichkeiten.«
Captain Romen, der Pilot, wandte mir sein braunes Zigeunergesicht zu.
»Freies Manöver, Sir?«
»Freies Manöver.«
»Drei, vier Umkreisungen?«
»Es können auch ein paar mehr sein. Je mehr Fotos, desto besser. Die Dunkelseite von dem Ding nehmen wir uns morgen vor.«
Captain Romen schüttelte leicht den Kopf und pfiff durch die Zähne.
»Das ist wirklich so ‘n Ding, Sir.«
Es war eine höchst unkorrekte, unwissenschaftliche Bezeichnung, mit der ich den Störenfried im Raum belegte – dessen war ich mir bewußt; aber der monströse Anblick, den dieser Störenfried bot, forderte sie geradezu heraus.
Das Ding war sowohl ein Rätsel – in das solare Planetensystem eingedrungen Gott weiß woher – als auch ein Ärgernis. Ein paar Millionen Jahre mochte es diese Bahn bereits ziehen – und nun, auf einmal, ausgerechnet an diesen hektischen Apriltagen des Jahres 2078, begann es aus der Rolle zu fallen. Falls Battington nichts einfiel, um dieses Ding anderen Sinnes werden zu lassen, war die Katastrophe unvermeidbar. Sogar ihr Tag stand bereits fest.
Captain Romens feingliedrige Hände spielten mit den Tasten und Knöpfen auf dem Kommandopult. Die Medusa nahm, allmählich beschleunigend, Fahrt auf. Er steuerte sie, scheinbar lässig und mühelos, von Hand: in eine spiralförmige Umkreisung des Asteroiden.
Die erste Phase einer ernsthaften wissenschaftlichen Bestandsaufnahme von Q.R.O./H. hatte begonnen.
Die Besprechung, zu der ich im Einvernehmen mit Dr. Battington am späten Nachmittag die gesamte Besatzung der Medusa versammelte, fand in der Messe statt, dem einzigen größeren und zu diesem Zweck geeigneten Raum an Bord.
Hier in der Messe trafen sich sonst die Freiwachen zu einem privaten Gespräch; hier wurden auch die Mahlzeiten eingenommen. In dieser Hinsicht stand der Flug unter einem schlechten Stern. Die VEGA hatte es versäumt, der Medusa rechtzeitig einen neuen Schiffskoch zuzuteilen, und so bestand nunmehr die Verpflegung aus dem verhaßten sogenannten Automatenfraß. Drei, vier Tage lang mochte man mit diesen von einem Küchencomputer programmierten und selbsttätig aufbereiteten und tellerfertig ausgespuckten Gerichten vorliebnehmen, ohne zu klagen; dann jedoch begann man sich nach der schöpferischen Phantasie eines zweibeinigen Kochs zu sehnen; oder – im Bordjargon ausgedrückt – man bekam den Automatenkoller beziehungsweise den Steakblick. Dieses Stadium war bereits erreicht; an Bord wurden über den zu erwartenden neuen Koch die unmöglichsten Wetten abgeschlossen; die meisten davon bezogen sich auf sein Körpergewicht.
Als letztes Besatzungsmitglied traf Captain Romen in der Messe ein. Er hatte die Fahrt des Schiffes wieder der Wanderung des Helins angepaßt und danach das automatische Steuersystem eingeschaltet. Um uns herum war leerer Raum genug. Radaraugen suchten unablässig die weitere und nähere Umgebung ab, immer bereit, Alarm zu schlagen, falls, was nicht zu erwarten stand, ein anderer Flugkörper oder auch ein Meteoritenschwarm unseren Kurs kreuzen sollten; und hochempfindliche Sensoren wachten darüber, daß die Medusa dem unerforschten Ding namens Helin nicht zu nahe kam.
Stunden wie diese pflegte ich im allgemeinen zu genießen und auszukosten. Eingebettet in das kalte, feierliche Licht der Sterne unter dem samtschwarzen, goldgesprenkelten Firmament, der Schwere entronnen und irgendwann sanft und lautlos hinübergeglitten in eine zusätzliche Dimension, erlaubte ich mir auf langen Reisen dann und wann den Luxus eines Traumes mit offenen Augen.
Und manchmal – nicht immer, und meist erst nach Reisen, die über Wochen und Monate führten – vernahmen meine Sinne dabei so etwas wie den geheimnisvollen Herzschlag der Schöpfung. Da ich mit anderen Astronauten – auch mit Grischa Romen – über dieses Phänomen gesprochen hatte, war ich mir über seine Wirkung durchaus im klaren –, es war die Wirkung einer unbeschreiblichen Droge. Wer einmal davon gekostet hatte, kehrte immer wieder zu den Sternen zurück. Wie aber sollte man dies einem Menschen mitteilen, dem dieses Erlebnis zeitlebens verwehrt blieb? Nicht einmal Ruth O’Hara, meine Frau, verstand es ganz.
An diesem Nachmittag blieb mir zum Träumen keine Zeit. Parallel zur Medusa bewegte sich durch den Raum die Katastrophe; dementsprechend nüchtern und kalt fiel die Einsatzbesprechung aus.
Dr. Battington, der sich, zwischen den Zähnen eine kalte Pfeife, mir gegenüber niedergelassen hatte, bekleidete an Bord keinerlei Rang: er war ein Passagier mit der Funktion eines wissenschaftlichen Beraters. Als Commander des Schiffes war ich zugleich Leiter der Expedition, und so ergriff ich auch als erster das Wort:
»Sie alle haben sich gewiß schon längst gefragt, was wir hier wollen.«
Ich legte eine kurze Pause ein, dann deutete ich mit dem Daumen abwärts: »Nun, es dreht sich, wie Sie inzwischen gemerkt haben, um das verdammte Ding da unten. Es handelt sich dabei um einen in der Umlaufbahn um die Sonne befindlichen Gesteinsbrocken von rund vier Kilometer Durchmesser, der zu der Gattung der Asteroiden oder Kleinstplaneten zählt.«
Mein Blick wanderte über die Gesichter meiner sechs Männer. Die Gesichter wirkten wachsam und gespannt.
Ich fuhr fort:
»Entdeckt wurde das ‚quick running object Helin’ am 7. Januar 1976, vor einem runden Jahrhundert also, und zwar von der amerikanischen Astronomin Eleanor Helin, die diesem Objekt dann auch den Namen gab, den es noch heute trägt: Helin. Und seitdem hat sich das Wissen der Menschheit über dieses Objekt kaum merklich erweitert.«
Ich nahm meine Aufzeichnungen zur Hand.
»Was man über den Helin mit Zuverlässigkeit weiß, ist folgendes: Gebildet hat er sich aus dem Kern eines Kometen in unverändertem, ursprünglichem Zustand. Im Laufe der Zeit hat er zusätzliche kosmische Materie an sich gebunden. Seine Umlaufbahn um die Sonne fällt nahezu mit der der Erde zusammen – nur daß er sich meist auf der anderen Sonnenseite befindet, was eine Beobachtung ungeheuer erschwert. Eine Umlaufsphase beträgt 348 Tage und ist damit um siebzehn Tage kürzer als die der Erde. Und nur weil es diese geringe zeitliche Differenz gibt, gerät er in gewissen Abständen in das Blickfeld unserer Observatorien.«
Nach außen hin – dessen war ich gewiß – wirkte ich ruhig und beherrscht: kalt wie eine Hundeschnauze, wie meine Männer diesen Zustand zu nennen pflegten. Diese Ruhe, die sich auch auf andere übermitteln ließ, war das Ergebnis langjähriger Disziplin und Verantwortung. In Wirklichkeit lebte ich seit dem Tage, an dem Dr. Battington mich eingeweiht hatte, im Würgegriff der Angst.
Ich nahm den Faden wieder auf:
»Schon bei der Entdeckung ergaben Berechnungen, daß der Helin irgendwann einmal auf die Erde stürzen würde. Freilich blieben die Berechnungen damals ziemlich vage – und irgendwann verschwanden sie vollends in einer Schublade.«
Ich suchte nach den nächsten Worten. Sie mußten ebenso knapp wie informativ sein; ein Commander, der ins Faseln gerät, verliert sofort an Autorität.
»Man kann sagen: sobald es sich herausgestellt hatte, daß sich mit dem Helin keine kommerziellen, militärischen oder observatorischen Interessen verbinden, verloren ihn unsere Wissenschaftler aus den Augen. Dann jedoch, im Zusammenhang mit der ‚Operation Sonnenfracht’, wurden sie erneut auf ihn aufmerksam, und nun schlagen sie auf einmal Alarm.«
Ich schwieg, ließ die Pause wirken und starrte auf meine Aufzeichnungen.
In der Messe war es totenstill. Zu hören waren nur das gedämpfte Vibrieren des Triebwerks und das leise Fauchen der Klimaanlage.
»Die Herren von der Raumüberwachung in Metropolis«, fuhr ich nach einer Weile fort, »sind inzwischen zu der Erkenntnis gekommen, daß man auf den großen Knall gar nicht erst lange zu warten braucht. Er erfolgt am 19. Juni dieses Jahres, in rund zwei Monaten.«
Dr. Battington nahm die Pfeife aus dem Mund und nickte.
Ich setzte hinzu: »Bekannt ist sogar der Ort, an dem der Helin auf die Erde prallen wird. Es ist der südliche Atlantik. Ein ziemlich harmloser Ort, könnte man sagen, denn das Schlimmste, was bei diesem Knall ausgelöst werden könnte, wäre eine Flutwelle. »
Wieder ließ ich meinen Worten Zeit zu wirken. Dann kam ich zur Hauptsache:
»Eine solche Flutwelle, meine Herren, wäre aber das Ende allen menschlichen und tierischen Lebens auf unserem Planeten. Den Grund dafür kennen Sie: die vulkanische Explosion des Kilimandscharos, wobei 3,4 Milliarden Liter atomaren Mülls, die dort im vergangenen Jahrhundert verantwortungslos deponiert worden waren, sich über den afrikanischen Kontinent verbreitet und diesen in eine strahlende Wüste des Todes verwandelt haben.«
Ich hob die Stimme.
»Geht nun über diesen verseuchten afrikanischen Kontinent die große Flutwelle hinweg, die der Aufprall des Helins auslösen würde, dann gäbe es für die atomare Pest kein Halten mehr. Europa, Amerika – ja sogar Asien und Australien wären zum Tode verurteilt. Und um dem vorzubeugen, sind wir hier. Was getan werden muß und was getan werden kann – das erfahren Sie jetzt von Dr. Battington.«
Battington legte die Pfeife hin und erhob sich, eine ebenso elegante wie würdevolle Erscheinung.
»Commander Brandis«, begann er, »hat Ihnen alles Wesentliche bereits mitgeteilt, meine Herren. Ich kann mich daher darauf beschränken, die Aufgabe selbst, die vor uns liegt, zu umreißen. Sie ist – im Prinzip – simpel. Q.R.O./H. muß entweder vernichtet oder aber in eine neue Umlaufbahn gezwungen werden. Freilich, um dies zu bewerkstelligen, müßten wir zunächst mehr über das Ding – wie Commander Brandis das Objekt zu bezeichnen beliebt – wissen.«
Der Einsatz war beim Namen genannt worden; die Spannung begann sich zu lösen. Battingtons letzte Worte lösten Gelächter aus.
Battington hob eine Hand; sofort trat wieder Stille ein. »Ich glaube nicht«, sagte er, »daß es uns in der Kürze der uns zur Verfügung stehenden Zeit gelingen wird, Helin zu vernichten. Wohl aber sollte es möglich sein, eine Korrektur seiner Bahn vorzunehmen – und danach, meine Herren, mag er sich trollen, wohin er immer will.«
Battington war nicht nur ein anerkannter Wissenschaftler; er verfügte auch über Humor. Mit Befriedigung sah ich, daß meine Männer ihn auf Anhieb akzeptierten.
»Also, meine Herren, damit ich überhaupt einen vernünftigen Plan entwickeln kann, wie man dieses Ding da unschädlich machen soll, muß ich zunächst einmal alle jene Werte sammeln, die uns bislang noch unbekannt waren: exakte Größe der Oberfläche, Durchmesser, Umfang, Gewicht und Masse.«
Battington nickte meinen Männern kurz zu, setzte sich wieder – und die Pfeife wanderte von der Tischplatte zurück in seinen Mund.
Ich sah mich um.
»Mit der Vorarbeit, der kartographischen Fotografie, haben wir bereits begonnen. Gibt es zu dem soeben Gehörten irgendwelche Fragen, Captain Romen?«
Mein Pilot schüttelte den Kopf. Das, was es zu tun galt, war klar.
Auch Lieutenant Stroganow, der Navigator, die Lieutenants Xuma und Torrente von der Maschine, Lieutenant Simopulos, der Radarcontroller, und Lieutenant Mercier, der Funker, blieben stumm.
Ich erklärte die Einsatzbesprechung für beendet und ordnete Klarschiff an.
Aufzeichnung eines Funkgesprächs zwischen GR Medusa (Commander Brandis) und VEGA-Venus (John Harris), geführt am 18. April 2078.
Brandis: Hier Commander Brandis. Wie ist die Verständigung, Sir?
Harris: Ich höre Sie laut und deutlich ... laut und deutlich.
Brandis: Folgendes, Sir. Wir sind jetzt dran. Alles läuft wie geschmiert. Battington fliegt gleich mit dem Dingi seine erste Erkundung. Lieutenant Xuma begleitet ihn.
Harris: Können Sie schon ungefähr übersehen, was an Personal und Material benötigt wird?
Brandis: Das hängt von Battingtons Analysen ab ... Augenblick, Sir! ... Also, Battington ruft mir gerade zu, daß die Analysen mit Bordmitteln allein nicht zu machen sind. Die Auswertung muß irgendwo anders erfolgen: Erde oder Venus.
Harris: Venus. Das spart Zeit.
Brandis: Roger, Sir. Wir nehmen also die Proben an Bord und kehren zurück zur Venus. Dort fällt dann die eigentliche Entscheidung.
Harris: Verstehe ... Tut mir aufrichtig leid, Brandis, daß ich Ihnen das zusätzlich aufbürden mußte, aber die Medusa ist nun mal unser schnellstes Schiff ... und daß der ganze Einsatz ein Wettlauf mit der Zeit ist, darüber brauche ich wohl weiter keine Worte zu verlieren. Mit dieser Kilimandscharo-Affäre haben wir bereits genug Probleme am Hals. Wenn es jetzt zu einer neuen Katastrophe käme – das wäre das Ende.
Brandis: Wir tun, was wir können, Sir. Und damit – von hier aus: Ende und Schluß!
Harris: Also – Mast- und Schotbruch, Brandis! Mast und Schotbruch! ... Ende und Schluß!
Um 18.14 Uhr Bordzeit meldete mir Lieutenant Xuma, der 1. Ingenieur, das Dingi startklar. Sein ebenholzschwarzes Gesicht trug bereits den ruhigen, konzentrierten Ausdruck eines Mannes, der nach sorgfältiger Abwägung seiner Fähigkeiten und Möglichkeiten im Begriff steht, in unbekanntes Neuland vorzustoßen. Ich entließ ihn – und rief ihn gleich darauf noch einmal zurück.
»Noch eins, Lieutenant ...«
Lieutenant Xuma, bereits im silberfarbenen Raumanzug, den schweren Helm in der Hand, drehte sich um: ebenso selbstbewußt wie respektvoll.
»Sir?«
Auf einmal schien mir, was ich zu sagen mir vorgenommen hatte, fehl am Platze zu sein. Der Lieutenant war ein erfahrener Mann und alles andere als leichtsinnig. Dennoch – da es mir schon auf der Zunge lag – sprach ich es aus:
»Keine waghalsigen Experimente, Bill! Sollten Sie das Gefühl haben, daß mit dem Ding da etwas nicht stimmt, dann machen Sie auf der Stelle kehrt.«
Lieutenant Xuma nickte:
»Ich werde es Battington sagen, Sir.«
Ich wurde deutlicher: »Nicht Battington, sondern Sie, Lieutenant, führen das Dingi. Ist das klar?«
In Xumas dunklen afrikanischen Augen las ich die Zeichen des Abschieds. Er hatte es eilig fortzukommen.
»Aye, aye, Sir.«
Eine knappe Minute später erschien auch Battington auf der Brücke, um sich von mir zu verabschieden.
»Es kann da unten ein paar Stunden dauern, Sir.«
»Wir bleiben auf dieser Position, Doktor. Sie können sich so viel Zeit nehmen, wie Sie brauchen.«
Battington drückte mir die Hand, setzte den Helm auf und enterte die schmale Leiter zur Dingi-Kammer hinauf. Hinter ihm klappte der Schleusendeckel zu. Die grünen Lichter flammten auf: sämtliche Verriegelungen waren geschlossen, die Kontakte hergestellt.
Lieutenant Xumas Stimme meldete sich:
»Dingi ist klar zum Abheben, Sir.«
Ein letztes Mal überprüfte ich die Armaturen: kein Rotlicht warnte. »Dingi ist freigegeben, Lieutenant!«
Ein kaum merkliches Schütteln ging durch die Medusa: das Dingi löste sich aus seiner Kammer und stieß hinaus in das Reich der Sterne.
Ich hob den Klarschiffbefehl auf; die Männer verließen ihre Stationen. Die Pause war mehr als verdient. Captain Romen blieb auf der Brücke; gemeinsam beobachteten wir durch eines der Fenster den Landeanflug des Dingis. Das Dingi hatte sich dem Helin genähert; nun überflog es ihn, stieg noch einmal in einer spiralförmigen Kurve nach oben – und setzte dann erneut zur Landung an.
Lieutenant Xumas Stimme erklang in einem der Lautsprecher:
»Dingi an Medusa. Können Sie mich hören?«
Ich drückte die Taste.
»Laut und deutlich. Was gibt’s, Lieutenant?«
Fünf, sechs Sekunden verstrichen, dann meldete sich Lieutenant Xuma erneut:
»Also, Sir ... das Ding macht – so aus der Nähe betrachtet – einen ganz soliden Eindruck ... erinnert irgendwie an den Uranus. Da gibt’s eigentlich nichts, was uns gefährlich werden könnte. Nur der G-Messer spielt verrückt – und das erschwert die Landung.«
Ich überlegte. Offenbar hatte Lieutenant Xuma Schwierigkeiten, die exakte Gravitation des Objekts zu ermitteln, um dementsprechend das Triebwerk zu regulieren. Die Situation mochte lästig sein – bedrohlich war sie nicht.
»Was zeigt er an?«
Lieutenant Xumas Stimme klang verdrossen: »Mal mehr, mal weniger, Sir ... Das kann auch am Instrument selbst liegen. Man müßte es bei Gelegenheit mal unter die Lupe nehmen ... Also, über den Daumen gepeilt ...«
»Ja, Lieutenant?«
»Schon gut, Sir. Ich setze jetzt auf ... oh, verflucht!«
Captain Romen faßte plötzlich meinen Arm und drückte ihn.
Wir sahen mit unbarmherziger Deutlichkeit jedes Stück der Katastrophe.
Das Dingi hatte sich dem Helin bis auf vierzig, fünfzig Meter genähert – und nun, auf einmal, ohne jeden ersichtlichen Grund, sackte es ab wie ein Stein. Zwar gelang es Lieutenant Xuma noch einmal, die Dinginase in die Höhe zu reißen, während gleichzeitig aus der Heckdüse ein gelbweißer Feuerstrahl schlug – optischer Ausdruck eines mit äußerster Kraft beschleunigenden Triebwerkes: doch der Aufprall war nicht mehr aufzuhalten.
Ich erstarrte.
Das Dingi berührte den Boden, prallte ab, überschlug sich, schlug wieder auf, platzte auf, schrammte eine tiefe Rinne in die Oberfläche und blieb schließlich kopfüber liegen. Staub hüllte es ein.
Captain Romen holte tief und scharf Atem.
Ich rannte zum Kommandopult und drückte den Klarschiffknopf. Die Glocken begannen zu schrillen und scheuchten die Männer zurück auf ihre Stationen.
Mit zwei, drei Schritten war ich wieder am Fenster. Der Staub hatte sich noch nicht wieder gelegt; die Sicht blieb verschleiert.
Ich drückte die Taste. »Medusa für Dingi ...«
Das Dingi meldete sich nicht; ich hatte auch nicht damit gerechnet. Ich rief die Funkerkabine.
»Brücke an FK. Ich habe keine Verbindung mehr zum Dingi. Gibt es eine Möglichkeit, Lieutenant Xuma über das Helmtelefon zu erreichen? Und wenn ja – können Sie das Gespräch dann zu mir durchstellen?«
Lieutenant Merciers Stimme war vom Entsetzen gezeichnet –, der französische Zungenschlag war verschwunden.
»Augenblick, Sir.«
Die Zeit rann dahin; ich wartete. Endlich – nach einer Ewigkeit, wie es mir vorkam – vernahm ich Lieutenant Xumas Stimme im Lautsprecher: schwach und von astralen Störungen überlagert,
»Sir ... tut mir leid ... weiß auch nicht, wie das passieren konnte.«
Wie das passieren konnte: im Augenblick war mir das völlig gleichgültig. Die Aufklärung des Unfalls mochte warten.
»Sind Sie wohlauf?«
Durch das Knistern und Rauschen rang sich Lieutenant Xumas Stimme:
»Battington hat’s erwischt, Sir. Tot.«
»Und Sie?«
»Bin gerade noch mal so davongekommen, Sir.«
Battington tot, Lieutenant Xuma am Leben: die Entscheidung, was zu tun übrigblieb, lag auf der Hand.
»Bleiben Sie, wo Sie sind, Lieutenant. Wir holen Sie.«
Captain Romen warf sich in seinen Sessel; die Gurte rasteten ein; er war bereit.
Lieutenant Xumas Stimme protestierte: »Sir, tun Sie das nicht. Sie werden sich das Genick brechen. Das Ding hier ist nicht ganz echt.«
Sein Protest ehrte ihn; für mich war er nicht das letzte Wort.
»Bleiben Sie, wo Sie sind, Lieutenant.«
Ich drückte Alle Stationen und gab die bevorstehende Landung auf Q.R.O./H. bekannt. Danach wandte ich mich an Captain Romen.
»Klar zur Landung?«
»Klar zur Landung, Sir.«
»Landen!«
Ich beeilte mich, meinen Platz einzunehmen. Die Gurte fielen über mich her. Mein Blick richtete sich auf den G-Messer, auf dem auch Captain Romens Blick bereits ruhte.
Die Medusa hatte Fahrt aufgenommen; sie überflog die Unfallstelle und setzte zur Landung an.
Der Zeiger des G-Messers begann zu vibrieren und dann wie besessen auszuschlagen.
Ein nächster rascher Blick galt dem Höhenmesser:
00-900-00
00-800-00
00-700-00
– huschende, kaum lesbare Zahlen: viel zu schnell. Die Medusa sank nicht; sie fiel.
Auch Captain Romen hatte es bemerkt; seine Hand riß den Regler zurück.
Die Medusa schüttelte sich unter dem Schub des plötzlich beschleunigenden Triebwerkes. Zwei, drei Sekunden schien sie mit der Schwerkraft des Helin zu ringen, ohne sich daraus lösen zu können; dann, schließlich, begann sie zu steigen.
Captain Romens Stimme klang rauh: »Das war verdammt knapp, Sir.«
Er hatte recht. Lediglich seine Geistesgegenwart hatte den Absturz buchstäblich in letzter Sekunde verhindert.
Die Medusa begann zu verlangsamen; Captain Romen hatte das Triebwerk bereits wieder gedrosselt.
»Ich glaube, Sir«, sagte er, »ich hab’s jetzt im Gefühl. Der nächste Anflug fällt besser aus.«
Ich starrte auf das vermaledeite Stück Wüste, über dem die Medusa schwebte. Es hatte sein erstes Opfer gefordert – und nun, angesichts unserer Hilflosigkeit, verlangte es nach dem zweiten. Die Gleichgültigkeit früherer Generationen begann sich zu rächen. Weder an Zeit noch an Gelegenheit hatte es gefehlt, diesem Monstrum unter den Sternen seine exakten Werte zu entreißen.
Als ich meinen Entschluß aussprach, war mein Mund wie ausgedörrt:
»Nehmen Sie Kurs auf die Venus!«
Captain Romen fuhr mit seinem Sessel herum: »Sir!«
Was er in diesem Augenblick empfand – Scham, Trauer, Empörung: all das empfand ich selbst. Aber zugleich spürte ich die drückende Last der Verantwortung.
Artikel 11, Absatz 1 des Bordreglements: Im Zweifelsfalle hat sich der Commander stets und ohne Ausnahme für die Sicherheit des ihm anvertrauten Schiffes zu entscheiden.
Langsam und deutlich wiederholte ich: »Nehmen Sie Kurs auf die Venus!«
Captain Romen zögerte; ich merkte deutlich, wie sich in ihm Rebellion zusammenbraute.
»Und der Lieutenant, Sir? Er hat Luft und Wärme für acht Stunden.«
Acht Stunden, nicht einmal ganz, und der Helin würde sein zweites Opfer bekommen.
Ich ging nicht darauf ein, sondern erwiderte:
»Wir haben eine Aufgabe zu erfüllen, Captain, und zu diesem Zweck benötigen wir ein neues Dingi. Wollen Sie sich einem klaren Befehl widersetzen?«
Captain Romen bekam schmale Lippen. Er sagte: »Kurs auf die Venus, aye, aye, Sir.«
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