Mark Brandis und seine Mannschaft sind mit der Kronos unterwegs und entdecken durch Zufall die legendäre Raumstation Pilgrim 2000. Im Inneren der Station finden sie nur verwilderte Gärten und heruntergekommene Siedlungen vor. Als ein Besatzungsmitglied durch einen hinterhältigen Angriff verletzt wird, kommen friedliebende Dorfbewohner den Raumfahrern zu Hilfe. Aber auch im befestigten Dorf sind sie vor Angriffen nicht sicher und die Lage spitzt sich dramatisch zu.
Für Brandis, seine Crew und die Dorfbewohner bleibt nur eine Möglichkeit: Sie müssen die Station schnellstens verlassen. Gejagt von den unheimlichen Ratmen und ihren tierischen Verbündeten, beginnt eine lange Odyssee durch PILGRIM 2000, auf der Suche nach einer Raumschleuse, die ihnen die Rückkehr auf die Kronos ermöglicht.
(16) Pilgrim 2000
€12,00
Mark Brandis, Band 16
Paperback, 184 Seiten
Kategorie: Mark Brandis
Schlagwörter: Mark Brandis, Michalewski, Weltraumabenteuer
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Kapitel 01
Auf den Fall, mit dem ich es hier zu tun hatte, war ich nicht vorbereitet. Ein Lehrgang in Erster Hilfe und ein weiterer Lehrgang in allgemeiner Raummedizin hatten nicht ausgereicht, um aus mir einen Arzt zu machen. Was für meine Diagnose und die daraus abgeleitete Behandlung sprach, war die Tatsache, daß ich an den gleichen Symptomen litt wie die übrigen Mitglieder meiner Besatzung, Nach wie vor kostete es mich Schmerzen und nahezu übermenschliche Überwindung, meine verbrannten Augen auf einen Punkt zu konzentrieren. Jedesmal, wenn ich sie dem Licht der Leuchtröhre aussetzte, von der Lieutenant Levy angestrahlt war, stach es mich wie mit glühenden Nadeln ins Gehirn.
Auch Lieutenant Levy litt. Er hatte die Lippen aufeinandergepreßt, und der Schweiß rann ihm in wahren Sturzbächen über das schmale, verschlossene, stets abweisend-kühle Gesicht, das so wenig von dem preisgab, was in seinem nüchternen Personalakt verzeichnet stand:
Israel Levy, geb. 18.1.2050 in Jerusalem, Israel, Hautfarbe weiß, Ausbildung zum Nachrichtentechniker auf der VEGA-Schule für Raumfahrt in Beirut, im VEGA-Center und auf der Fachschule für extraterrestrische Kommunikation zu Metropolis.
Anmerkung: Levy ist der einzige Überlebende der Madison-Expedition. Er wurde nach 37 Tagen Raumnot mehr tot als lebendig geborgen, lehnte jedoch den ihm zustehenden Anspruch auf vorzeitige ehrenvolle Pensionierung ab.
Als es darum gegangen war, die Besatzung der Kronos zu vervollständigen, die bis auf den Funkoffizier durchweg aus jenen Männern bestand, die schon auf der Medusa unter meinem Kommando geflogen waren, hatte ich bei der VEGA meinen ganzen Einfluß aufbieten müssen, um Levy zugeteilt zu bekommen. Der Ruf, der sich mit seinem Namen verband, war der eines hervorragenden Kommunikators. Aber was half das jetzt?
Seit ein paar Wochen war Lieutenant Levy trotz seines Rufes nicht weniger hilflos wie jeder andere an seiner Stelle: Die Kronos war ein von allen funkischen Verbindungen abgeschnittenes Schiff, verschlagen in ein Raumgebiet, in das sich meines Wissens nie zuvor ein anderes bemanntes Schiff verirrt hatte. Durch den Augenspiegel blickte ich in Lieutenant Levys Augen. Sie waren nach wie vor entzündet und vereitert, doch zum ersten Mal seit der Katastrophe blickten sie klar und wach.
»Wie fühlen Sie sich, Lieutenant?«
Lieutenant Levys Miene blieb ausdruckslos – das beherrschte Gesicht eines Mannes, der durch eine harte Schule gegangen war.
»Ich halt‘s aus, Sir.«
»Schmerzen?«
»Nur wenn ich gegen das Licht blicke.«
Ich ließ eine Zahlenkolonne aufleuchten.
»Na, dann versuchen Sie mal zu lesen!«
Lieutenant Levy kniff die Augen zusammen. Seine Miene nahm den Ausdruck höchster Konzentration an. Ich ahnte, was in ihm vorging. Noch vor wenigen Tagen hatte er nicht einmal Hell und Dunkel voneinander unterscheiden können. Von uns allen an Bord der Kronos war er derjenige, der am übelsten zugerichtet worden war.
»Es könnte ein Datum sein, Sir.«
»Richtig. Und nun versuchen Sie es zu entziffern.«
Lieutenant Levy legte eine Hand vor die Augen.
»Ich kann nicht, Sir.«
»O doch, Lieutenant, Sie können. Glauben Sie mir – ich habe das gleiche durchgemacht. Also?«
Lieutenant Levy ließ die Hand sinken.
»Das Datum ist: Fünf – vier – zwanzigachtzig ...«
Lieutenant Levy schloß die Augen und wandte sich ab: erschöpft und zugleich von einem starken Gefühl überwältigt. Ich legte ihm eine Hand auf die Schulter.
»So ist es, Lieutenant. Wir haben heute den fünften April des Jahres Zweitausendundachtzig. Und wenn Sie jetzt noch eine Woche verstreichen lassen, dann werden Sie wieder sehen und lesen können wie in alten Zeiten. Der Sehnerv ist unbeschädigt.«
Der Lieutenant stand auf. »Danke, Sir. Haben Sie Befehle?«
Ich überlegte und traf meine Entscheidung. Die Funkkabine besetzt zu halten war unter den gegenwärtigen Umständen überflüssig. Die unterbrochene Verbindung zur Erde oder zu Venus oder Uranus beziehungsweise zu einem der Satelliten ließ sich erst wieder herstellen, sobald ich die Kronos um die Sonnenachse herumgeführt haben würde – und das brauchte seine Zeit. Iwan Stroganow, der grauhaarige, erfahrene Navigator, rechnete mit mindestens vierzig Tagen: »... über den Daumen gepeilt, Sir. Ein genaues Besteck läßt sich vorerst nicht nehmen.« Sinnlos, darüber nachzudenken, welche wilden Gerüchte über den Verbleib des wohl teuersten Schiffes, das je die Erde verlassen hatte, in den wohlklimatisierten Räumen von VEGA-Metropolis umgehen mochten.
»Gönnen Sie sich ein paar Tage Ruhe, Lieutenant, vorerst bleiben Sie vom Dienst suspendiert.«
»Ave, aye, Sir.«
Gerade als Lieutenant Levy sich anschickte, das Hospital zu verlassen, wurde der Lautsprecher über der Tür lebendig.
»RC an Commander ... Sir, wir haben einen Kontakt.«
Für die Dauer eines Herzschlages war ich überrascht. Die Kronos befand sich in entlegensten Himmelsräumen. Mit einer Begegnung war in keiner Weise zu rechnen gewesen.
Ich sah, daß Lieutenant Levy unter der Tür stehenblieb, dann drückte ich die Sprechtaste.
»Roger, RC, Frage: Ist der Kontakt schon identifiziert?«
»Nein, Sir«, erwiderte die kühle, geschäftsmäßige Stimme von Lieutenant Simopulos. »Es scheint sich jedoch um ein größeres Objekt auf der Sonnenumlaufbahn zu handeln, aber allem Anschein nach ist es kein Q.R.O.«
Meine Verwirrung wuchs. Mit einem Q.R.O. – einem quick running object, mithin mit einem Asteroiden oder Kleinstplanetoiden – hätte dieser Kontakt eine natürliche Erklärung gefunden. Von diesen Objekten schwirrten mehr im Raum umher, als es der Wissenschaft bekannt war. Und zumal hier, auf der erdabgewandten Sonnenseite, konnten sie für immer und ewig ihre Bahn ziehen, ohne daß sie von einem Radioteleskop entdeckt wurden.
»Und Ihre Vermutung, Lieutenant?«
»Ich bin mir nicht sicher, Sir. Aber ich schließe nicht aus, daß wir es mit einem Schiff zu tun haben. Allerdings ...«
»Ja?«
»... allerdings spricht dagegen die außergewöhnliche Größe des Objektes, Sir.«
»Roger, RC. Ich komme auf die Brücke und seh mir den Spaß an.«
»Danke, Sir. Genau darum wollte ich Sie bitten.«
Der Grieche Konstantin Simopoulos mit den schwermütigen Augen und den schlanken, wohlgeformten Händen war ein Meister seines Fachs. Wo andere, mich eingeschlossen, nichts anderes als einen simplen Lichtpunkt sahen, der auf einem der Monitore glomm, wußte er im allgemeinen bereits den Schiffstyp und oft genug sogar den Schiffsnamen zu bestimmen. Zum ersten Mal erlebte ich, daß er ratlos war.
Ich warf Lieutenant Levy, der noch immer zwischen Tür und Angel stand, einen raschen Blick zu. »Sieht so aus, als würde ich Sie dennoch brauchen.«
Lieutenant Levy setzte sich eine dunkle Brille auf. »Ist mir klar, Sir.«
Ich verließ das Hospital und eilte auf die Brücke.
In den Räumen der Kronos war nur das Summen der Aggregate zu hören. Niemand sprach. Der Anblick, der sich unseren schmerzenden, tränenden, vom Licht gepeinigten Augen bot, war ebenso unwirklich wie überwältigend.
Mitten in der vollkommenen Wüste war die Kronos auf eine Oase gestoßen – auf einen Himmelskörper mit spiegelnden, sanften Gewässern, mit grünenden Wäldern und lieblichen Wiesen. Ein Planet von der funkelnden Farbigkeit und der Schönheit der Erde schien unter uns seine Bahn zu ziehen, ein blauer Diamant auf dem schwarzen Samt der Unendlichkeit. Ungewöhnlich war allenfalls seine torpedoähnliche Form.
Nie zuvor hatte ich ähnliches gesehen. Ich versuchte die einander widerstrebenden Eindrücke zu einem sinnvollen Bild zusammenzusetzen.
Ich sah – auf einer Umlaufbahn um die Sonne – eine erdähnliche, ja nahezu erdgleiche Formation, und das bedeutete, daß ich es mit einem unbekannten lebenden Planeten kleineren Ausmaßes zu tun hatte. Und dieser Planet war besiedelt. Die Teleskope, die ihn von vorn bis hinten und von hinten bis vorn abtasteten, rückten die Einzelheiten in fast greifbare Nähe. Ich erkannte Häuser, Siedlungen, ganze Städte, dazwischen Fabriken und technische Anlagen. Und hier und da glaubte ich sogar eine Bewegung wahrzunehmen – wenngleich ich mich auf meine Augen noch immer nicht völlig verlassen konnte, so daß ich fürchten mußte, daß sie mir im Zustande der Überanstrengung einen Streich spielten.
Andererseits handelte es sich bei diesem Objekt eindeutig um ein künstliches Gebilde, um eine höchst sinnfällige technische Konstruktion, in der Erfindergeist und handwerkliches Können zusammenflossen. Der Leib war walzenförmig; die Landschaften und Siedlungen, aus denen er sich zusammensetzte, waren durch lichtdurchlässige Wände gegen die schädlichen direkten Strahlen der Sonne hermetisch abgeschirmt. Das Objekt verfügte über einen massiven Kopf – offenbar einen Kommandostand – und ein damit durch Streben verbundenes trichterförmiges Triebwerk. All das stempelte es zu einem Schiff.
Ich warf einen Blick auf das braunhäutige Zigeunergesicht meines Piloten.
»Was halten Sie davon, Captain?«
Captain Romen wiegte den Kopf. »Schwer zu sagen, Sir.«
»Aber Sie würden mir zustimmen, wenn ich behaupte: Das Ding ist ein Schiff ...?«
»Ja, Sir. Und es sieht verdammt so aus, als sei es von Menschen gebaut.«
Ich drückte die Sprechtaste.
»Brücke an Kartenhaus ... Als was würden Sie das Ding bezeichnen, Lieutenant?«
Iwan Stroganow, der alte Sibiriak mit der unverwüstlichen Gesundheit, war ein Veteran der Raumfahrt. Als einziger von uns allen hatte er noch die monatelangen Reisen der legendären Windjammer-Zeit bewußt erlebt: Aufbrüche in das Ungewisse, die nur zu vergleichen sind mit der Tat eines Kolumbus. Stroganow war ein wandelndes Lexikon der Astronautik.
Durch den Lautsprecher konnte ich hören, wie mein Navigator, bevor er antwortete, tief durchatmete.
»Sir, ich glaube, es gibt nur eine einzige Erklärung.«
»Und die wäre?«
»Sir, die ist einfach zu phantastisch.«
»Immer raus mit der Sprache, Lieutenant!«
»Nun, Sir ... auf die Gefahr hin, fortan hier an Bord als Spinner zu gelten ... ich möchte sagen, wir sind auf die PILGRIM 2000 gestoßen. Sie erinnern sich vielleicht? Dieses seltsame Raumschiff, das vor fast hundert Jahren ...«
Lieutenant Stroganow brach ab. Aber seine Andeutung hatte bereits genügt. Ich erinnerte mich tatsächlich an all die Spekulationen, die sich in den Kreisen der Astronauten um dieses verschollene Schiff rankten.
Wer würde uns jemals eine solche Begegnung glauben?
Und was konnten wir aus diesem unerhörten Zufall machen?
Der Augenblick für eine solche Begegnung war denkbar ungünstig. Die Kronos befand sich weitab von ihrem vorgeschriebenen Kurs, und ich hatte genug damit zu tun, sie, während an Bord die Vorräte schmolzen, in die Zivilisation zurückzuführen, heimkehrend aus fernsten, unerforschten Räumen, in denen Gefahren lauerten, von denen kein Mensch etwas ahnte.
Lieutenant Stroganow hatte, indem er aussprach, was mir nicht über die Lippen wollte, den Bann gebrochen. Seine Überzeugung, daß die Kronos unversehens auf die legendäre PILGRIM 2000 gestoßen war, deckte sich mit meiner Vermutung. Knapp eine Raummeile unter uns zog eine verschollene menschliche Zivilisation dahin.
Eine Sekunde lang wog ich zwei mögliche Entscheidungen gegeneinander ab.
Die eine Entscheidung war in der besonderen Situation begründet, in der sich die Kronos an diesem Tag, dem 5. April 2080, befand. Wir waren infolge einer kosmischen Katastrophe vom Kurs abgekommen und hatten rund zwei Monate verloren. Als gewissenhafter Commander hatte ich dafür zu sorgen, daß Schiff und Besatzung auf dem schnellsten Wege aus dieser mißlichen Lage herausgeführt wurden.
Die andere Entscheidung gründete sich auf dem Umstand, daß man es mit einer wahrscheinlich einmaligen, nicht wiederholbaren Begegnung zu tun hatte. Keinem anderen Zeitgenossen würde es vergönnt sein, Kontakt aufzunehmen zu dieser im Jahre 1991 von der Erde abgespaltenen menschlichen Gesellschaft.
Durfte ich da einfach weiterfliegen?
Ich drückte die Sprechtaste. »Brücke an FK!«
Lieutenant Levys Stimme meldete sich – ruhig und ohne eine Spur von Erregung:
»FK hört, Sir.«
Während ich sprach, wendete ich den schmerzenden Blick nicht von dieser trostvollen Oase. Ich kühlte die brennenden Augen mit dem sanften Blau der Gewässer, mit dem schattigen Grün der Wiesen und Wälder. Und ich versuchte mir vorzustellen, welche Wirkung unsere unvermutete Ankunft bei den dort lebenden Menschen auslösen würde. Ein knappes Jahrhundert trennte mich samt meinen Männern von ihnen – ein knappes Jahrhundert, in dem das Bild der Erde sich völlig gewandelt hatte. Aus der schier unübersehbaren Vielzahl von Nationen, die in den III. Weltkrieg gezogen war, hatten sich schließlich, als die furchtbaren Wunden zu verheilen begannen, jene beiden großen Machtblöcke herausgeschält, die heute miteinander rivalisierten: die EAAU und die VOR, der Zusammenschluß der drei Kontinente Europa, Amerika und Afrika und die Vereinigten Orientalischen Republiken. Tiefreichende kulturelle Veränderungen waren gefolgt. Die alten Sprachen – um nur ein Beispiel anzuführen – hatten, indem sie der Kunstsprache Metro weichen mußten, nur noch die Bedeutung allmählich schwindender Dialekte. Und mit der neuen Sprache war auch ein neuer Typus des Menschen herangewachsen: der selbstverständliche Herr der Maschine ...
Was jedoch erwartete uns auf der PILGRIM 2000? War es ihren Bewohnern gelungen, jenes Paradies, von dem sie beim Verlassen der Erde träumten, zu verwirklichen? Und zu welchem zivilisatorischen Gipfel mochten sie sich, die Friedfertigen, unbeeinflußt durch die Entwicklungen auf der Erde, in ihrer Abgeschiedenheit fortgepflanzt haben?
»FK, ich möchte, daß Sie Verbindung aufnehmen zur PILGRIM 2000. Nennen Sie unsere Herkunft, unsere Nationalität und unsere Erkennungsnummer.«
»Ave, aye, Sir.«
»Noch eins, Lieutenant Levy. Ich möchte nicht, daß man auf der PILGRIM 2000 in Panik gerät infolge unserer Ankunft. Betonen Sie daher, daß wir uns in friedlicher Absicht nähern und in aller gebührenden Form um Landeerlaubnis nachsuchen.«
»Aye, aye, Sir.«
»Und fügen Sie hinzu, daß sowohl die Kronos als auch deren Besatzung unbewaffnet sind.«
»Aye, aye, Sir.«
»Das ist alles, Lieutenant.«
Danach konzentrierte ich meine Aufmerksamkeit erneut auf dieses erdgleiche Gebilde in der dunkelnden Unendlichkeit des Raumes. Langsam und beharrlich, als wäre es die Erde selbst, rotierte es um seine Achse. Neue, üppige Landschaften schoben sich über den Horizont. Hochaufragende Paläste warfen schwarze Schatten. Eine Galerie von Pfeilern, die zu einer Kabinenbahn gehören mochten, überspannte in der Längsrichtung die grünende Flur.
Es mochte sein, daß es dort, auf diesem absonderlichen Raumschiff, die besseren Antennen gab. Es mochte sein, daß man dort, auch ohne sich zu melden – ein Umstand, für den es vielerlei Erklärungen geben konnte: Vorsicht ebenso wie Hochmut –, über die Vorgänge auf der Erde genauestens im Bilde war, vielleicht sogar über den Testflug der Kronos.
Ein Anflug von Unbehagen machte mich frösteln. Die Kronos war tatsächlich ein besonderes Schiff. Man sah es von außen nicht: sie war auf dieser Reise ein durch und durch ziviles Schiff, an Bord dessen man vergebens auch nur nach einer Pistole suchen würde.
Ungeduld überkam mich.
Erneut drückte ich die Taste. »Brücke an FK ... Frage: Haben Sie schon Verbindung?«
Im Lautsprecher schepperte Lieutenant Levys Stimme: »Noch nicht, Sir. Die PILGRIM 2000 reagiert nicht. Es wird wohl eine Weile dauern, bis ich die richtige Frequenz gefunden habe.«
Neben mir räusperte sich Captain Romen. Er wartete auf Befehle. Ich nickte ihm zu.
»Wir warten.«
Meine Gedanken wanderten zurück.
Der Testflug der Kronos führte von der Erde zunächst zur Venus und von dort zum Uranus. Einige unbedeutende Mängel konnten ermittelt werden, aber im wesentlichen stellte ich fest, daß ich es mit einem hervorragenden neuen Schiffstyp zu tun hatte – mit machtvollem Schub und ungewöhnlich guten Manövriereigenschaften –, der das beantragte Serienprädikat voll und ganz verdiente.
Drei Tage, nachdem die Kronos den Uranus wieder verlassen hatte, um nach Metropolis zurückzukehren, geschah das Ungewöhnliche.
Das Bordradar ortete ein riesiges Objekt auf Kollisionskurs, das nie richtig und eindeutig identifiziert werden konnte. Der äußeren Struktur nach war es wohl eine relativ stark verdichtete gasförmige Masse mit einem Durchmesser, der etwa dem des Mondes entsprechen mochte.
Ich zweifelte nicht daran, daß unsere Wissenschaftler, wenn man ihnen den Vorfall schilderte, dafür eine plausible Erklärung finden würden, doch vorerst hatte ich es mit einem mir völlig unbekannten Himmelsphänomen zu tun. Dementsprechend verhielt ich mich. Nachdem ich mich über Bahn und Geschwindigkeit der gigantischen Blase unterrichtet hatte, legte ich die Kronos auf veränderten Kurs, um sie aus der Gefahrenzone zu ziehen. Meine Vorsicht bewahrte uns vor dem Schlimmsten. Wenige Minuten, nachdem ich die Kronos auf neuen Kurs gelegt hatte, schien das All einzustürzen.
Ich verspürte einen wahnwitzigen Schmerz in den Augen und verlor das Bewußtsein.
Was wirklich geschah, läßt sich lediglich vermuten. Offenbar war es im Zentrum der gasförmigen Masse zur Explosion gekommen. Das Licht war so gleißend, daß für den Bruchteil einer Sekunde selbst die massiven Schiffswände transparent wurden. Es dauerte Tage, bis sich meine Sehfähigkeit erneuerte. Zusammen mit Lieutenant Stroganow, der sich gleich mir als einer der ersten vom Zustand völliger Blindheit erholte, nahm ich eine Standortbestimmung vor. Die Koordinaten, die wir dabei errechneten, waren so unglaubwürdig, daß wir tags darauf, um sicher zu gehen, ein neues Besteck nahmen. Danach konnte es keinen Zweifel mehr geben, daß die ungeheure Explosion die Kronos in eine Umlaufbahn um die Sonne geschleudert hatte – und zwar im erdabgewandten Bereich. Die Funkverbindung war abgebrochen.
Wir waren in eine kosmische Katastrophe hineingeraten und, da das Schiff standgehalten hatte, im wahrsten Sinn des Wortes mit einem blauen Auge davongekommen.
Nachdem ich mich davon vergewissert hatte, daß die Kronos betriebsklar war, begann ich sie mit allerlei List und Tricks aus der bedrohlichen Sonnennähe herauszumanövrieren, um sie schließlich auf Heimatkurs zu legen. All das ist leichter geschildert, als es in Wirklichkeit war, denn immerhin hatten uns die kosmischen Kräfte so weit von unserem ursprünglichen Kurs verschlagen, daß sich die Reise um nahezu zwei Monate verlängerte.
Einzig und allein diesem Zwischenfall ist es zuzuschreiben, daß fern im Raum, unter fremden Sternen, die von mir geführte Kronos auf die PILGRIM 2000 stieß.
Im Bordlautsprecher knackte es. Lieutenant Levy meldete sich:
»FK an Brücke ... Sir, ich habe jetzt alle Frequenzen durch. Die PILGRIM 2000 gibt keine Antwort.«
»Danke, FK.«
Mit tränenden Augen starrte ich auf die einladende Oase im Raum, die sich in so beharrliches Schweigen hüllte.
Was ging darauf vor?
War die Station nicht besetzt – oder hatte das knappe Jahrhundert, das ihre Zivilisation von der meinen trennte, die Technik so weit auseinandergeführt, daß es keine Verständigung mehr geben konnte?
Es war höchste Zeit, zu einem Entschluß zu kommen. Noch konnte ich abdrehen – und alles, was von dieser Begegnung bleiben würde, bestünde dann aus einer Eintragung im Bordbuch: die Erinnerung an eine verpaßte Gelegenheit.
Ich atmete einmal tief durch, gab meiner Stimme den gewohnt kühlen Klang – mit dem Ergebnis, daß man später behaupten sollte, ich hätte keinen Augenblick lang auch nur einen Hauch von Erregung gezeigt – und nickte meinem Piloten zu.
»Captain, mir scheint, in der Mitte dieses Vogels gibt es so etwas wie ein markiertes Landedeck. Setzen Sie auf! Mit etwas Glück werden wir von diesen Raumpilgern zu einem kühlen Schluck eingeladen.«
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