Lange hat sie die Verteidigungsallianz und die Besatzung der Interceptor an der Nase herumgeführt. Zivilisationen hat sie ausgelöscht, wertvolle Artefakte gestohlen, die Sache ihrer unerbittlichen Herren verfolgt und verteidigt. Doch zuletzt waren die Hondh mit ihren Diensten unzufrieden, und so senden sie Nata, die Agentin, auf eine Bewährungsmission. Auf einer sehr seltsamen Experimentalwelt der Mechanischen Hoheit soll sie herausfinden, ob die neueste Waffe der Invasoren funktioniert – selbst, wenn es ihr Leben kosten würde. Als die Crew der Interceptor eintrifft, wird sie daher nicht nur mit einer Agentin außer Kontrolle konfrontiert, sondern auch noch mit Verschwörungen, die keiner so richtig zu durchschauen scheint. Das Ergebnis aber ist vorhersehbar: es ist der Tod einer Agentin.
(20) Tod einer Agentin
€8,99
Dirk van den Boom – Tod einer Agentin
Ebook, 244 Seiten, Format Epub
Kategorie: D9E - Die neunte Expansion
Schlagwörter: D9E, Dirk van den Boom, Science Fiction, Space Opera, Weltraumabenteuer
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Nata fühlte sich eingeschüchtert. Das nagte an ihrem Selbstbewusstsein, dem Wichtigsten, was sie in ihrem Leben besaß. Es war das, was sie aufrecht hielt in schweren Zeiten, und davon hatte sie so einige in ihrem ereignisreichen Werdegang erlebt. Meistens kam sie ganz gut zurecht, aber es gab Momente wie diesen, die für sie ... schwierig waren.
Es hatte vielleicht mit Ungewissheit zu tun. Als sei ein Fundament brüchig geworden. Ja, das erklärte es ganz gut.
Der Hondh, den sie nicht sah, aber deutlich hörte, hatte sie auf seine Weise auseinandergenommen. Nata wusste nicht, ob ihre Herren sich um Fragen angemessener xenopsychologischer Gesprächsführung allzu viele Gedanken machten. Sie vermutete eher nicht. Aber sie regierten ein gigantisches Imperium und hatten acht galaktische Kriege auf dem Buckel, es musste einiges an Erfahrung hängengeblieben sein. Hondh wurden nicht laut. Sie wurden nicht ätzend. Sie beleidigten nicht, zumindest nicht absichtlich. Sie drohten nicht einmal, jedenfalls nicht im eigentlichen Sinne des Wortes. Manchmal kündigten sie Dinge an, die man als Drohung verstehen konnte. Aber Nata glaubte nicht, dass sie bewusst und als Taktik einschüchtern wollten, dass sie überhaupt großen Wert darauf legten, emotionale Reaktionen bei ihren Gesprächspartnern hervorzurufen. Worauf sie aber achteten, war, dass jene, die für sie arbeiteten, gewisse Privilegien genossen und nach der großen Belohnung strebten, ihre Aufträge erledigten. Fehlertoleranzen gab es. Sie waren aber nicht allzu groß. Und Erfolge und Misserfolge mussten in einem gewissen Verhältnis zueinander stehen. Worauf genau die Gewichtung im Einzelnen beruhte, war nicht immer klar. Die Hondh waren eher selten transparent in ihren Beurteilungen.
Tatsache war: Nata hatte ihren Auftrag nicht erledigt. Zumindest nicht den zuletzt sehr wichtigen, auf den es ankam. Die ganze Aktion während des Gipfels war ein Fiasko gewesen. Die Allianz existierte noch, sie funktionierte, soweit man das so nennen konnte, und die Hondhisten sahen sich nunmehr gesteuerter und geplanter Verfolgung ausgesetzt, so dass viele Gruppen sich in den Untergrund begaben, was ihre Attraktivität für eher ängstliche Sympathisanten radikal reduzierte. Angelockt wurden nunmehr nur jene, die ohnehin ein Problem mit dem System hatten, und die die Hondhisten als Ausdrucksform ihrer Unzufriedenheit sahen. Das war völlig in Ordnung, die Hondh urteilten nicht über die Motivationen anderer Wesen, sie waren ihnen weitgehend egal. Niemand hatte Nata jemals gefragt, warum sie Agentin der Hondh werden wollte. Es war völlig unwichtig, so lange sie tat, was man von ihr erwartete. Aber das Instrument, das die Hondhisten in der Vergangenheit dargestellt hatten, war weniger schlagkräftig geworden als vorher. Und dann kam dazu, dass Nata ihre Sache verraten, Thrax dabei geholfen hatte, große Verwüstungen abzuwenden. Sie hatte versucht, das als strategische Finesse und Teil eines Langzeitplans zu verkaufen, mit wenig Enthusiasmus, denn sie glaubte selbst nicht daran.
Auch die Hondh schien das nicht zu beeindrucken.
In der letzten Zeit waren die Misserfolge zahlreicher gewesen als die Triumphe. Damit war sie nicht allein, aber die Hondh reagierten ungnädig auf Vergleiche, die der Rechtfertigung des eigenen Scheiterns dienten. Das Versagen wurde nicht dadurch ein geringeres, dass andere etwas auch nicht geschafft hatten. Die Hondh sahen das Individuum. Nein, sie musste sich korrigieren: Sie sahen das individuelle Werkzeug und dessen Wirksamkeit. Welche Person dahintersteckte, war irrelevant. Sie hatte von einem Hondh niemals ein persönliches Wort gehört, nicht eines. So waren sie nicht. Wie genau sie eigentlich waren, das hatte Nata nie herausgefunden. Sie hatte sich damit arrangiert, so lange sie gut funktionierte. Jetzt aber war sie hart kritisiert worden, und die Hondh waren gut darin, einem die eigenen Defizite vorzuhalten. Dies war umso wirksamer, da Nata selbst ihr eigenes Versagen umfassend analysiert hatte und daher in vielem, was ihre Herren ihr vorhielten, keine Übertreibung finden konnte.
Die Hondh neigten ohnehin nicht zu Übertreibungen. Sie hatten ein recht klares Konzept von Realität, und das machte die Kooperation mit ihnen eigentlich ganz angenehm. Es sei denn, diese Realität fiel für einen selbst gerade nicht so positiv aus.
Wie jetzt. Das war normalerweise eine beängstigende Situation.
Angst hatte Nata allerdings nicht. Eingeschüchtert, ja, aber das führte bei ihr nicht zu Furcht, eher zu Vorsicht und Misstrauen.
Sie hatte sehr selten Angst. Sie war dazu biochemisch nur in Grenzsituationen besonderer Schärfe in der Lage, eine Hormonstörung, die man früh bei ihr erkannt hatte und deren Behandlung sie sich dann konsequent verweigerte. Sie war oft nicht in der Lage, sich richtig zu fürchten, wusste nicht einmal genau, wie dieses Gefühl war. Ihre schauspielerischen Fähigkeiten erlaubten ihr, nach außen hin manchmal so zu tun als ob, aber sie war nie mit dem Herzen dabei. Sie konnte aufgeregt sein, sie hatte einen Selbsterhaltungstrieb, aber Angst blendete sie so gut wie nie. Sehr hilfreich. Auch ihr Vater war damals dieser Ansicht gewesen. Nach dem dritten Überfall war er erschossen worden, und sie knapp der Verhaftung entgangen. Das hatte sie Vorsicht gelehrt, die man haben musste, auch wenn man keine Angst empfand. Ihre Furchtlosigkeit hatte sie auch direkt in die Arme der Hondh getrieben. Wenn man sich vor der neunten Expansion nicht gruselte, vor dem, was sie bedeutete, dann konnte man auch leicht zu dem Schluss kommen, dass man aus ihr Kapital schlagen könne. So war Nata. So hatte sie sich entschieden.
Bis eben hatte sie diese Entscheidung nicht bereut. Wo sie keine Angst kannte, war ihr Reue nicht unbekannt. Es war aber interessant festzustellen, dass das nun einsetzende Gefühl nicht halb so schlimm war wie befürchtet. Reue war neu für sie, aber sie war sich sicher, damit umgehen zu können.
»Wir haben die Leistungen nunmehr abschließend einer Gesamtbetrachtung unterzogen«, sagte die Hondh-Stimme. Ein System am Rande der Sphäre, nur ihr kleines Schiff und der große Kreuzer, und nur die Stimme über Funk, keine persönliche Begegnung. Darauf legten die Herren keinen großen Wert, und wenn Nata ehrlich zu sich selbst war, sie eigentlich auch nicht.
»Ich höre.«
»Wir sind unzufrieden.«
Nata versuchte, Ruhe zu bewahren. Die Hondh belohnten, aber sie bestraften nicht. Sie hatte noch nie gehört, dass die Hondh einen Agenten – oder sonst jemanden – richtig bestraft hätten. Die Strategie war eine andere: Wer nicht funktionierte, wurde ignoriert. Und wer ignoriert wurde, konnte sich nicht mehr bewähren. Wer sich nicht bewähren konnte, verdiente die Unsterblichkeit nicht. Und wofür, wenn nicht dafür, tat sie das alles?
Aber sie erteilten manchmal Lektionen, die Andere als Strafen fehlinterpretieren konnten. Das wurde dann schnell unangenehm.
Die Unsterblichkeit war der Köder, dem sie alle hinterherliefen. Wenn der nicht mehr da war, ergab alles keinen Sinn. Nata war jemand, der eine Motivation brauchte, um Dinge zu tun, und sie suchte diese Motivation immer sowohl in sich wie auch von außen her. Es würde für sie sehr schwer sein, einen neuen Sinn im Leben zu finden, wenn die Hondh ihr die Liebe entzogen, so absurd dieser Gedanke auch sein mochte. Die Liebe, die sich letztlich in ewigem Leben ausdrückte.
Schwer. Sie schloss die Augen. Aber auch unmöglich?
Sie hatte einen Fehler gemacht, und das am Ende ganz bewusst. Etwas war geschehen. Sie verstand es selbst noch nicht so genau. Und interessanterweise bereute sie exakt das nicht.
Es war aber in jedem Falle problematisch, dass die Hondh unzufrieden waren. Nata wollte nicht ignoriert werden. Tatsächlich war dies schon immer das Schlimmste gewesen, das man ihr hätte antun können, schon vor der Expansion. Sie nicht wahrnehmen. Sie übergehen. Sie nicht ernst nehmen. Sie übersehen, als würde sie gar nicht existieren, selbst, wenn sie alles tat, um auf sich aufmerksam zu machen. Es gab für sie nichts Verletzenderes. Auf einer rationalen Ebene wusste sie, dass Eitelkeit und Narzissmus zwei starke Emotionen waren, die ihr manchmal im Weg standen, und die ihr Schmerz durch Zurücksetzung und fehlende Anerkennung bereitet hatten. Das war die nüchterne Betrachtungsweise, zu der sie aufgrund ihrer Intelligenz in der Lage war.
Aber was half das schon, wenn man solche Empfindungen hatte und diese sie ihr Leben lang begleiteten, so lange sie zurückdenken konnte? Sie konnte und wollte nicht auf sie verzichten, denn sie waren Teil ihrer Persönlichkeit, mit der sie eigentlich gar keine Probleme hatte. Nata liebte sich, sehr innig, und das war Teil des Problems, vor allem, wenn andere ihr diese Zuneigung entzogen.
Die Hondh jedenfalls schienen dazu bereit zu sein. Sie waren unzufrieden. Insgesamt.
Das war für Nata sehr verletzend. Und es machte sie interessanterweise auch ein klein wenig zornig.
»Es tut mir leid.«
Es war albern, dass sie das sagte. Es interessierte ihre Herren absolut nicht. Mit Reue oder Entschuldigungen kam man bei ihnen nicht weit. Nata glaubte, dass die Hondh dafür gar kein Konzept hatten. Oder wenn, dann erachteten sie es nicht als relevant.
»In der Gesamtbetrachtung überwiegen die positiven Bewertungen, wenngleich die Anzahl von Fehlschlägen in der Zeitlinie nach hinten hin zunimmt. Es handelt sich entweder um das Scheitern an immer schwierigeren Aufgaben, die die Fähigkeiten der Agentin zu übersteigen beginnen, oder eine Verringerung der Leistungsfähigkeit. Welche Einschätzung trifft zu?«
»Beide«, dachte Nata grimmig, sagte es aber nicht. Die Hondh hatten keinen Sinn für Sarkasmus und nahmen vieles für bare Münze, was man ihnen sagte. Auch hatten sie wenig Geduld für Erklärungen. Sie hatten eine sehr definitive Sicht auf die Welt. Das war einfach. Manchmal erschwerte es aber die Kommunikation, und in diesem Moment konnte es sich als fatal erweisen.
»Ich musste Anpassungen vornehmen, und dies gelang nicht immer schnell genug. Außerdem war ich zur Kooperation mit Individuen gezwungen, die sich als wenig effektiv erwiesen. Ich weise darauf hin, dass Kooperation zu unkalkulierbaren Risiken führen kann, wenn die Elemente sich als nicht ausreichend kompatibel zueinander erweisen.«
Dass die Hondhisten nicht ganz so verlässliche und funktionsfähige Bundesgenossen waren, wie die Hondh es gerne hätten, sollten auch diese verstanden haben. Sie betrachteten alles und jeden allein von der Wirkung her.
»Kooperation ist unerlässlich. Komplexität bedingt Zusammenarbeit. Agenten müssen in der Lage sein, Unwägbarkeiten einzukalkulieren, Komplementarität herzustellen und Synergien zu nutzen. Ihre Performanz war unterdurchschnittlich, ihre Entscheidungen schwer nachvollziehbar. Das Ergebnis war nicht wie erwartet. Die Nachricht verbreitet sich. Konsequenzen sind unausweichlich.«
Nata hatte so etwas befürchtet. Jetzt kam die Lektion. Die Hondh waren langsam, von nahezu sprichwörtlicher Engelsgeduld. Aber wenn sie mal in Fahrt kamen, hielt sie niemand auf oder von etwas ab. Sie fühlte sich, als würde eine Lawine auf sie zurollen, und obgleich sie immer noch keine Angst empfand, so doch eine gewisse Bedrückung.
Und immer noch den Zorn. Wo kam der jetzt her?
»Wir haben beschlossen, Sie ein letztes Mal mit einer Aufgabe von Bedeutung zu betrauen. In Kooperation mit zwei weiteren Agenten. Kooperation ist notwendig.«
Nata unterdrückte das in ihr aufsteigende Bedürfnis, sich zu beschweren. Es hätte nichts gebracht und das Wort »letztes« hatte die Alarmglocken ausgelöst. Wenn sie erneut versagte, würde man endgültig anfangen, sie zu vergessen. Dann war alles umsonst gewesen, jedes Opfer. Soweit durfte sie es nicht kommen lassen. Kooperation war notwendig, das galt für sie jetzt ganz besonders.
»Ich verstehe«, sagte sie leise. Was blieb ihr auch anderes übrig?
»Kommen Sie an Bord unseres Schiffes.«
Nata erstarrte. Sie blickte verständnislos auf den toten Bildschirm, aus dessen Lautsprechern bisher nur die leise, monoton wirkende Stimme des Hondh gedrungen war. Sie sollte das Schiff ihrer Herren betreten? Das war höchst ungewöhnlich, und es konnte eigentlich nur mit ihrer neuen Aufgabe zusammenhängen. Sie war dankbar für ihre Unfähigkeit, Angst zu empfinden. Jetzt wäre ansonsten der Zeitpunkt gekommen, sich ganz ernsthafte Sorgen zu machen.
»Sie werden ein Gerät übernehmen. Wir müssen in die Erprobungsphase eintreten.«
Der Bildschirm erwachte zum Leben. Sie musste keine langen Fragen stellen, sie musste nur gut aufpassen. Technische Daten wurden ihr präsentiert, und Nata begriff sofort, worum es sich handelte und wer das Ziel ihres Auftrages sein würde. Es erfasste sie, fast gegen ihren Willen, die typische Vorfreude, die sie vor jeder Mission ergriff. Das sah vielversprechend aus – eine Chance, sich zu beweisen und die Gunst der Hondh zu bewahren! Wenn diese Mission von Erfolg gekrönt wurde, war sie vollständig rehabilitiert, daran konnte kein Zweifel bestehen – und die neunte Expansion würde ihrem erfolgreichen Abschluss einen großen Schritt entgegengekommen sein.
Aber das Gerät konnte auch so in ihr Schiff transportiert werden. Es war relativ klein, soweit sie das erkennen konnte. Es würde in eine simple Umhängetasche passen.
Wozu war ihre persönliche Anwesenheit erforderlich?
Sie fragte nicht. Die Hondh hatten ihr eine Anweisung erteilt und würden ihr sagen, was sie wissen musste. Sie durfte jetzt nicht rumzicken, dafür war ihr Kredit bei ihren Herren nicht mehr belastbar genug.
Kein Zögern mehr. Tun, was ihr gesagt wurde.
Mit sehr gemischten Gefühlen setzte Nata also auf das große, plötzlich irgendwie bedrohliche wirkende Schiff ihrer Meister über, eine kurze Reise, in der nicht viel Zeit für Grübelei blieb. Als sie aus dem Beiboot kletterte, das sie in einem Hangar abgeliefert hatte, spürte sie die Kälte, die in dem Raumschiff herrschte. Sie war nicht unvorbereitet und trug geeignete Kleidung, denn es war ja nicht ihr erster Besuch dieser Art. Im Inneren der Hondh-Schiffe, die sie bisher betreten hatte, überfiel sie immer ein Gefühl der Beklemmung, und die eher niedrige Temperatur leistete dazu gewiss ihren Beitrag. Sie wusste nicht, welcher Ästhetik ihre Herren folgten, was sie als schön empfanden, als elegant oder kunstvoll. Natürlich waren Kriegsschiffe im Regelfall allein nach Gründen der Zweckmäßigkeit gebaut, das galt für fast alle der Agentin bekannten Zivilisationen. Doch die Hondh-Schiffe waren trotzdem anders. Allein schon aufgrund der Kälte an Bord hatten sie etwas Abweisendes, wie ein Grab, in dem jemand lag, über dessen Ableben sich die Ärzte noch nicht ganz einig waren. Tatsächlich hatte sie schon mit anderen Agenten geredet, die ganz unterschiedliche Eindrücke schilderten. Es war, als würden die Hondh bei jedem einen anderen Effekt hervorrufen wollen, alles Teil eines manipulativen Manövers. Vielleicht drückten sie so ihre Emotionen aus, falls sie welche hatten. Nata würde es möglicherweise nie richtig verstehen, aber sie hatte große Einsicht in ihre eigenen Gefühle, und sehr wohl fühlte sie sich in diesem Moment nicht.
Es gab für sie keine Möglichkeit, sich zu verirren. Ein Gang führte sie in exakt einen einzigen zugänglichen Raum. Sie vermutete, dass die Hondh in der Lage waren, das Innere ihres Schiffes relativ beliebig zu rekonfigurieren, und sie fragte sich bei solchen Gelegenheiten immer, wie viele Hondh wohl vor Bildschirmen sitzen und sie bei jeder Bewegung intensiv beobachten würden. Eine Vorstellung, die einen paranoid machen konnte, aber es gelang ihr nicht, sie abzuschütteln.
Niemand musste sie auffordern, den Raum zu betreten. Es war klar, was von ihr erwartet wurde.
Der Raum war leer, bis auf eine Art Liegesitz. Eine weitere, ganz offensichtliche Einladung, die sie mit plötzlichem Misstrauen erfüllte. Sie blieb davor stehen und bewegte sich nicht. Sie sah sich um. Stille, nicht einmal das Rauschen einer Luftversorgung.
»Was soll das?«
»Setzen Sie sich.« Die Stimme kam von überall her.
Nata zögerte. Ein plötzlicher Widerstand, den sie empfand. Heute war irgendwas mit ihr nicht in Ordnung.
»Setzen Sie sich.« Nicht drängend, nicht wütend, einfach nur eine monotone Wiederholung. Nata folgte der Aufforderung schließlich. Was blieb ihr auch anderes übrig? Die Plastikpolsterung unter ihr quietschte, als sie sich darauf niederließ.
»Was soll das?«, fragte sie erneut. Ihre Stimme zitterte. Das war nicht gut.
»Wir bereiten Sie vor.«
Nata wollte eine Hand heben, doch sie lag mit einem Male wie festgeklebt auf der Lehne des Liegesitzes. Schweiß brach ihr aus, als sie an ihrem Arm zerrte und zog, doch er bewegte sich keinen Millimeter – obgleich keinerlei Fessel zu erkennen war. Auch ihre Beine waren plötzlich wie eingegossen und der Selbsterhaltungstrieb setzte ein, ein Fluchtreflex, dessen Aufflammen in sich sie distanziert betrachtete, wie ein Besucher ein Tier in einem Zoo. Keine Angst. Sie hatte Sorge, aber keine Angst. Für einen Moment wünschte sie, sie hätte welche, damit sich das alles hier echt anfühlte.
Ihre unsichtbaren Fesseln waren echt genug.
»Was ... macht ...«, presste sie hervor. Es war, als hätte sich ein Riese auf ihren Brustkorb gesetzt und sie kämpfte mit plötzlicher Atemnot. Nata erkannte schnell, dass diese unberechtigt war, sie konnte ganz normal Luft holen, es war eher eine für sie neue körperliche Reaktion, eine Antwort auf die Fesseln, für sie eine völlig ungewohnte und sehr beunruhigende Situation. Sie atmete bewusst tief ein und das Gefühl verschwand. Sie fragte erneut, laut, fordernd, verlangte nach einer Erklärung.
Sie erhielt keine Antwort.
Zumindest nicht in Form von Worten.
In der Decke öffnete sich ein Spalt und ein langer, flexibler Metallarm glitt herunter. An seiner Spitze war eine Kugel, aus der diverse Instrumente ragten, alle dünn, spitz und blitzend. Das gerade niedergekämpfte Gefühl der Bedrückung kroch wieder in ihr hoch, als sie diese betrachtete, denn am Sinn und Zweck konnte es keinen Zweifel geben. Ein weiteres Mal kämpfte sie gegen die unsichtbaren Fesseln an, bis sie keuchend aufgab und ihr nichts blieb, als auf die Kugel zu starren, die sich behutsam in Position brachte.
Jetzt. Da war es. Das war Angst. Sie kam, überbrückte alle Schranken, sprang sie an wie ein Tier. Was für ein entsetzliches, lähmendes Gefühl. Sie hatte es nicht vermisst, sie lehnte es ab, doch die Büchse der Pandora stand weit offen.
»Sie werden vorbereitet«, sagte die Stimme erneut, als sei damit alles erklärt.
»Wozu? Warum tun Sie mir das an?« Nata sagte es keuchend. Atmen, gemahnte sie sich. Atmen ist wirklich nützlich!
»Wir motivieren Sie!«
»Sie quälen mich.«
»Leid motiviert. Wir motivieren Sie. Beginnen mit Motivation.«
»Nein!«, rief Nata, doch natürlich hörte niemand auf sie.
Sie fühlte eine unerwartete Taubheit, die sich über ihren Körper ausbreitete, und erwartete, dass sie bewusstlos werden würde. Aber es war offenbar Teil ihrer »Motivierung«, dass sie alles sehr aufmerksam verfolgen sollte. Die Hondh wollten sie nicht körperlich quälen. Aber sie verstanden das Prinzip der Qual durchaus, und ihre unterschiedlichen Ausdrucksformen.
Damit waren sie bei Nata an der falschen Adresse. Wenn sie zur Angst unfähig war, blieb ihre Fähigkeit, Zorn zu empfinden, davon völlig unberührt. Und jetzt kam beides zusammen, wie nur selten in ihrem Leben. Eine Mischung, die ihr für den Moment unbändige Kraft verlieh.
Die Kugel mit den scharfen Instrumenten senkte sich über ihren Unterleib hinab, dann schnellte eines der Messer hervor und schnitt gekonnt die Kleidung auf, die sie trug.
Empfindliche Kälte drang an ihre vormals warme Haut, als die Stoffe mit methodischen und exakten Bewegungen geöffnet und beiseitegelegt wurden. Eine Kälte, die sofort von der sich ausbreitenden Taubheit verschluckt wurde.
»Nein«, flüsterte Nata. Ihr Körper war ihr Tempel. Ein schöner Tempel, den sie liebevoll pflegte. Tatsächlich einer der schärfsten Tempel der bekannten Galaxis, und er hatte überall treue Anhänger, die nichts lieber wollten, als ihn zu betreten.
Und jetzt wurde er entweiht, und das konnte sie nicht dulden oder akzeptieren, von niemandem.
Zorn. Angst. Noch mehr Zorn. Sie umarmte ihre Wut, hieß sie willkommen.
Erneut zuckte das Messer vor, glitt durch ihre Haut wie durch den Stoff. Rote Linien entstanden, und ein sanft schlürfendes Geräusch erklang, als das austretende Blut abgesaugt wurde. Mit der gleichen Exaktheit wurde ein quadratischer Hautlappen aus ihrem Leib geschnitten, tief durch die Epidermis. Nata fühlte erneut große Beklemmung und wachsenden Zorn und wollte nicht mehr hinsehen, doch ihre Halsmuskeln verweigerten ihr den Dienst, als sie den Kopf abwenden wollte, und ihre Augen schlossen sich nur für Sekunden, ehe ein urtümliches Gefühl in ihr sie zwang, sie wieder zu öffnen und zu beobachten, was mit ihr geschah.
Obgleich sich alles in ihr danach sehnte, so schnell wie möglich das Bewusstsein zu verlieren, wollte ihr Kreislauf nicht mitspielen. Ebenso wie den Stoff ihrer Kleidung hob die Kugel den Hautlappen hoch und legte ihn beiseite. Darunter erkannte Nata ihre Innereien, die rot glänzten, während das austretende Blut weiterhin abgesaugt wurde.
Weitere Arme ragten aus der Decke. Einer hielt einen kleinen, flachen Gegenstand, der aussah wie eine schwarz glänzende, dicke Matte, deren Oberfläche eine Wabenstruktur aufwies. Das war das Gerät, das sie hier in Empfang nehmen sollte, und die erschreckende Erkenntnis drängte sich ihr auf, dass die Übergabe in diesem Moment und auf eine höchst unerquickliche Weise vollzogen wurde.
Nata beobachtete, wie diese Matte in ihren geöffneten Bauch gelegt wurde, wie sich das Ding den Konturen anpasste, flacher zu werden schien, und dann ruhig in der Öffnung lag, und den Blick auf ihre darunterliegenden Organe verbarg. Nata war beinahe dankbar dafür.
»Was ...«, brachte sie hervor, nicht mehr als ein Stammeln, immer noch gepackt von der nun wild brennenden Wut über das, was man hier mit ihr anstellte.
»Motivation!«, sagte die Stimme.
Sarkasmus. Die Hondh waren zu Sarkasmus fähig. Es war kaum zu glauben! Gott, wie sie Sarkasmus bei anderen hasste, vor allem, wenn er auf ihre Kosten ging.
Die Kugel hantierte. Mit absoluter Präzision wurde der Hautlappen auf die Wundöffnung platziert, dann ein anderes Instrument eingesetzt. Der Schnitt wurde geschlossen, wahrscheinlich mit einer Art Biokleber, der sich farblos über die Risse legte, die Haut miteinander verband, ohne auch nur die geringste Spur zu hinterlassen. Augenblicke später war die Operation beendet. Nata starrte auf ihren nackten Unterleib, der absolut makellos war, nur mit dem Unterschied, dass sie plötzlich über etwas mehr Babyspeck verfügte als vorher, eine leichte Wölbung, beinahe wie eine sanft beginnende Schwangerschaft. Sie spürte nichts von dem Ding, das in ihr abgelegt worden war, doch es konnte nichts Gutes bedeuten. All das hier bedeutete nichts Gutes. Es hatte etwas Endgültiges, auf eine fatale Weise, und vor allem erschütterte es das Grundvertrauen, das sie bisher in ihre Herren gehabt hatte. So etwas würden die Hondh nicht tun, niemals so übergriffig ihren eigenen Gefolgsleuten gegenüber werden.
Und doch war exakt das gerade geschehen und sie hatten sie gezwungen, dabei zuzusehen.
Keine Angst mehr. Aber der Zorn war geblieben.
Die Kugel wirbelte über ihrem immer noch gelähmten Leib. Mit der gleichen Zuverlässigkeit, mit der sie die Haut repariert hatte, wurde nun ihre Kleidung wiederhergestellt. Als sie damit fertig war, verschwand sie wieder in der Decke, und Taubheit und Lähmung ließen unvermittelt nach. Nata wollte sich erst gar nicht bewegen, fürchtete Pein und Unbehagen, aber als sie sich schließlich doch nach vorne beugte, empfand sie nichts von den Folgen des Eingriffs. Sie tastete über die Stelle, die Haut war weich, reagierte normal auf die Berührung, es entstand kein Schmerz, es gab nicht einmal eine Rötung oder das Gefühl einer Reizung. Nichts. Die perfekte Operation.
Sie holte tief Luft. Ihre Stimme zitterte vor Wut und Enttäuschung, und sie verbarg beides nicht. Selten in ihrem Leben hatte sie sich so aufgewühlt gefühlt. Tränen standen in ihren Augen. Sie wischte sie nicht einmal fort, starrte wild an die Wand.
»Was habt ihr mit mir gemacht?«
»Motivation.«
»Das reicht mir nicht als Antwort. Was ist das für ein Ding?«
»Das ist der Neue Konziliator, exakt so, wie er in den Spezifikationen beschrieben wurde.«
Nata schwieg. Natürlich, das war er. Und sie war die Paketbotin. Gedemütigte Dienerin der Hondh. Niemand demütigte Nata. Das geschah einfach nicht. Sie rang um Fassung, ließ eine große Entschlossenheit in sich aufsteigen, in einem bewussten Kraftakt psychischer Selbstkontrolle. Sie musste etwas mit der Wut anfangen.
»Wir haben ihn verbessert.«
»Ihr habt ihn verkleinert.«
»Das war Teil der Verbesserung. Bringen Sie ihn zur Hoheit. Setzen Sie ihn ein. Unterwerfen Sie die Roboter unserem Willen.«
Agentin. Paketbotin. Werkzeug. Nata fühlte sich beschmutzt. Ja, das war das richtige Wort. Niemals zuvor hatte sie so etwas empfunden. Sie mochte es ganz und gar nicht. Es löste unvermittelt Hass aus, ein vertrautes Gefühl in unvertrauter Umgebung. Sie empfing ihn wie einen alten Freund.
»Und wenn die Hoheit entdeckt, was ich in mir trage?«
»Scans zeigen das Gerät nicht. Passen Sie auf sich auf.«
Motivation, erinnerte sich Nata.
»Was passiert, wenn ich versage?«
»Nichts. Der Neue Konziliator löst sich in seine Bestandteile auf. Eine leichte Vergiftung. Ihre andauernde Unfruchtbarkeit. Aber sonst nichts.«
»Unfruchtbarkeit«, echote Nata. Sie wollte ohnehin keine Kinder. Sie wäre keine gute Mutter, so viel Realitätssinn besaß sie auf jeden Fall.
»Was soll dann die Motivation sein?«
»Sie werden aus unseren Diensten entlassen. Das Versprechen wird zurückgezogen.«
Das Versprechen auf Unsterblichkeit. Eine letzte Chance, eine Warnung, und dann ... dann lag es an ihr.
Motivation, dachte sie. So konnte man es auch nennen. Und so überwand man das Misstrauen, das die Hondh ihr gegenüber möglicherweise entwickelt hatten. So stellte man sicher, dass sie funktionierte. So erzeugte man Loyalität. Das glaubten ihre Herren zumindest. Sie kannten sie nicht ganz so gut, wie sie glaubten.
»Gehen Sie. Der Eingriff ist beendet. Weitere Instruktionen warten. Sie werden nicht alleine gehen.«
Und damit war alles gesagt. Sie konnte gehorchen oder nicht, den Hondh war es letztlich gleich. Nata fühlte sich immer noch benutzt, als sie sich auf den Rückweg machte. Sie ging vorsichtig, erwartete immer noch Schmerz, der ausblieb. Sie war verletzt worden, nicht nur körperlich, sondern in der Essenz ihrer Persönlichkeit.
Sie war nicht mehr sie selbst, das war ganz deutlich zu spüren.
Vielleicht, dachte sie, als sie ihr Beiboot betrat, war das gar nicht so schlecht.
Doch was genau bedeutete es?
Es hatte vielleicht mit Ungewissheit zu tun. Als sei ein Fundament brüchig geworden. Ja, das erklärte es ganz gut.
Der Hondh, den sie nicht sah, aber deutlich hörte, hatte sie auf seine Weise auseinandergenommen. Nata wusste nicht, ob ihre Herren sich um Fragen angemessener xenopsychologischer Gesprächsführung allzu viele Gedanken machten. Sie vermutete eher nicht. Aber sie regierten ein gigantisches Imperium und hatten acht galaktische Kriege auf dem Buckel, es musste einiges an Erfahrung hängengeblieben sein. Hondh wurden nicht laut. Sie wurden nicht ätzend. Sie beleidigten nicht, zumindest nicht absichtlich. Sie drohten nicht einmal, jedenfalls nicht im eigentlichen Sinne des Wortes. Manchmal kündigten sie Dinge an, die man als Drohung verstehen konnte. Aber Nata glaubte nicht, dass sie bewusst und als Taktik einschüchtern wollten, dass sie überhaupt großen Wert darauf legten, emotionale Reaktionen bei ihren Gesprächspartnern hervorzurufen. Worauf sie aber achteten, war, dass jene, die für sie arbeiteten, gewisse Privilegien genossen und nach der großen Belohnung strebten, ihre Aufträge erledigten. Fehlertoleranzen gab es. Sie waren aber nicht allzu groß. Und Erfolge und Misserfolge mussten in einem gewissen Verhältnis zueinander stehen. Worauf genau die Gewichtung im Einzelnen beruhte, war nicht immer klar. Die Hondh waren eher selten transparent in ihren Beurteilungen.
Tatsache war: Nata hatte ihren Auftrag nicht erledigt. Zumindest nicht den zuletzt sehr wichtigen, auf den es ankam. Die ganze Aktion während des Gipfels war ein Fiasko gewesen. Die Allianz existierte noch, sie funktionierte, soweit man das so nennen konnte, und die Hondhisten sahen sich nunmehr gesteuerter und geplanter Verfolgung ausgesetzt, so dass viele Gruppen sich in den Untergrund begaben, was ihre Attraktivität für eher ängstliche Sympathisanten radikal reduzierte. Angelockt wurden nunmehr nur jene, die ohnehin ein Problem mit dem System hatten, und die die Hondhisten als Ausdrucksform ihrer Unzufriedenheit sahen. Das war völlig in Ordnung, die Hondh urteilten nicht über die Motivationen anderer Wesen, sie waren ihnen weitgehend egal. Niemand hatte Nata jemals gefragt, warum sie Agentin der Hondh werden wollte. Es war völlig unwichtig, so lange sie tat, was man von ihr erwartete. Aber das Instrument, das die Hondhisten in der Vergangenheit dargestellt hatten, war weniger schlagkräftig geworden als vorher. Und dann kam dazu, dass Nata ihre Sache verraten, Thrax dabei geholfen hatte, große Verwüstungen abzuwenden. Sie hatte versucht, das als strategische Finesse und Teil eines Langzeitplans zu verkaufen, mit wenig Enthusiasmus, denn sie glaubte selbst nicht daran.
Auch die Hondh schien das nicht zu beeindrucken.
In der letzten Zeit waren die Misserfolge zahlreicher gewesen als die Triumphe. Damit war sie nicht allein, aber die Hondh reagierten ungnädig auf Vergleiche, die der Rechtfertigung des eigenen Scheiterns dienten. Das Versagen wurde nicht dadurch ein geringeres, dass andere etwas auch nicht geschafft hatten. Die Hondh sahen das Individuum. Nein, sie musste sich korrigieren: Sie sahen das individuelle Werkzeug und dessen Wirksamkeit. Welche Person dahintersteckte, war irrelevant. Sie hatte von einem Hondh niemals ein persönliches Wort gehört, nicht eines. So waren sie nicht. Wie genau sie eigentlich waren, das hatte Nata nie herausgefunden. Sie hatte sich damit arrangiert, so lange sie gut funktionierte. Jetzt aber war sie hart kritisiert worden, und die Hondh waren gut darin, einem die eigenen Defizite vorzuhalten. Dies war umso wirksamer, da Nata selbst ihr eigenes Versagen umfassend analysiert hatte und daher in vielem, was ihre Herren ihr vorhielten, keine Übertreibung finden konnte.
Die Hondh neigten ohnehin nicht zu Übertreibungen. Sie hatten ein recht klares Konzept von Realität, und das machte die Kooperation mit ihnen eigentlich ganz angenehm. Es sei denn, diese Realität fiel für einen selbst gerade nicht so positiv aus.
Wie jetzt. Das war normalerweise eine beängstigende Situation.
Angst hatte Nata allerdings nicht. Eingeschüchtert, ja, aber das führte bei ihr nicht zu Furcht, eher zu Vorsicht und Misstrauen.
Sie hatte sehr selten Angst. Sie war dazu biochemisch nur in Grenzsituationen besonderer Schärfe in der Lage, eine Hormonstörung, die man früh bei ihr erkannt hatte und deren Behandlung sie sich dann konsequent verweigerte. Sie war oft nicht in der Lage, sich richtig zu fürchten, wusste nicht einmal genau, wie dieses Gefühl war. Ihre schauspielerischen Fähigkeiten erlaubten ihr, nach außen hin manchmal so zu tun als ob, aber sie war nie mit dem Herzen dabei. Sie konnte aufgeregt sein, sie hatte einen Selbsterhaltungstrieb, aber Angst blendete sie so gut wie nie. Sehr hilfreich. Auch ihr Vater war damals dieser Ansicht gewesen. Nach dem dritten Überfall war er erschossen worden, und sie knapp der Verhaftung entgangen. Das hatte sie Vorsicht gelehrt, die man haben musste, auch wenn man keine Angst empfand. Ihre Furchtlosigkeit hatte sie auch direkt in die Arme der Hondh getrieben. Wenn man sich vor der neunten Expansion nicht gruselte, vor dem, was sie bedeutete, dann konnte man auch leicht zu dem Schluss kommen, dass man aus ihr Kapital schlagen könne. So war Nata. So hatte sie sich entschieden.
Bis eben hatte sie diese Entscheidung nicht bereut. Wo sie keine Angst kannte, war ihr Reue nicht unbekannt. Es war aber interessant festzustellen, dass das nun einsetzende Gefühl nicht halb so schlimm war wie befürchtet. Reue war neu für sie, aber sie war sich sicher, damit umgehen zu können.
»Wir haben die Leistungen nunmehr abschließend einer Gesamtbetrachtung unterzogen«, sagte die Hondh-Stimme. Ein System am Rande der Sphäre, nur ihr kleines Schiff und der große Kreuzer, und nur die Stimme über Funk, keine persönliche Begegnung. Darauf legten die Herren keinen großen Wert, und wenn Nata ehrlich zu sich selbst war, sie eigentlich auch nicht.
»Ich höre.«
»Wir sind unzufrieden.«
Nata versuchte, Ruhe zu bewahren. Die Hondh belohnten, aber sie bestraften nicht. Sie hatte noch nie gehört, dass die Hondh einen Agenten – oder sonst jemanden – richtig bestraft hätten. Die Strategie war eine andere: Wer nicht funktionierte, wurde ignoriert. Und wer ignoriert wurde, konnte sich nicht mehr bewähren. Wer sich nicht bewähren konnte, verdiente die Unsterblichkeit nicht. Und wofür, wenn nicht dafür, tat sie das alles?
Aber sie erteilten manchmal Lektionen, die Andere als Strafen fehlinterpretieren konnten. Das wurde dann schnell unangenehm.
Die Unsterblichkeit war der Köder, dem sie alle hinterherliefen. Wenn der nicht mehr da war, ergab alles keinen Sinn. Nata war jemand, der eine Motivation brauchte, um Dinge zu tun, und sie suchte diese Motivation immer sowohl in sich wie auch von außen her. Es würde für sie sehr schwer sein, einen neuen Sinn im Leben zu finden, wenn die Hondh ihr die Liebe entzogen, so absurd dieser Gedanke auch sein mochte. Die Liebe, die sich letztlich in ewigem Leben ausdrückte.
Schwer. Sie schloss die Augen. Aber auch unmöglich?
Sie hatte einen Fehler gemacht, und das am Ende ganz bewusst. Etwas war geschehen. Sie verstand es selbst noch nicht so genau. Und interessanterweise bereute sie exakt das nicht.
Es war aber in jedem Falle problematisch, dass die Hondh unzufrieden waren. Nata wollte nicht ignoriert werden. Tatsächlich war dies schon immer das Schlimmste gewesen, das man ihr hätte antun können, schon vor der Expansion. Sie nicht wahrnehmen. Sie übergehen. Sie nicht ernst nehmen. Sie übersehen, als würde sie gar nicht existieren, selbst, wenn sie alles tat, um auf sich aufmerksam zu machen. Es gab für sie nichts Verletzenderes. Auf einer rationalen Ebene wusste sie, dass Eitelkeit und Narzissmus zwei starke Emotionen waren, die ihr manchmal im Weg standen, und die ihr Schmerz durch Zurücksetzung und fehlende Anerkennung bereitet hatten. Das war die nüchterne Betrachtungsweise, zu der sie aufgrund ihrer Intelligenz in der Lage war.
Aber was half das schon, wenn man solche Empfindungen hatte und diese sie ihr Leben lang begleiteten, so lange sie zurückdenken konnte? Sie konnte und wollte nicht auf sie verzichten, denn sie waren Teil ihrer Persönlichkeit, mit der sie eigentlich gar keine Probleme hatte. Nata liebte sich, sehr innig, und das war Teil des Problems, vor allem, wenn andere ihr diese Zuneigung entzogen.
Die Hondh jedenfalls schienen dazu bereit zu sein. Sie waren unzufrieden. Insgesamt.
Das war für Nata sehr verletzend. Und es machte sie interessanterweise auch ein klein wenig zornig.
»Es tut mir leid.«
Es war albern, dass sie das sagte. Es interessierte ihre Herren absolut nicht. Mit Reue oder Entschuldigungen kam man bei ihnen nicht weit. Nata glaubte, dass die Hondh dafür gar kein Konzept hatten. Oder wenn, dann erachteten sie es nicht als relevant.
»In der Gesamtbetrachtung überwiegen die positiven Bewertungen, wenngleich die Anzahl von Fehlschlägen in der Zeitlinie nach hinten hin zunimmt. Es handelt sich entweder um das Scheitern an immer schwierigeren Aufgaben, die die Fähigkeiten der Agentin zu übersteigen beginnen, oder eine Verringerung der Leistungsfähigkeit. Welche Einschätzung trifft zu?«
»Beide«, dachte Nata grimmig, sagte es aber nicht. Die Hondh hatten keinen Sinn für Sarkasmus und nahmen vieles für bare Münze, was man ihnen sagte. Auch hatten sie wenig Geduld für Erklärungen. Sie hatten eine sehr definitive Sicht auf die Welt. Das war einfach. Manchmal erschwerte es aber die Kommunikation, und in diesem Moment konnte es sich als fatal erweisen.
»Ich musste Anpassungen vornehmen, und dies gelang nicht immer schnell genug. Außerdem war ich zur Kooperation mit Individuen gezwungen, die sich als wenig effektiv erwiesen. Ich weise darauf hin, dass Kooperation zu unkalkulierbaren Risiken führen kann, wenn die Elemente sich als nicht ausreichend kompatibel zueinander erweisen.«
Dass die Hondhisten nicht ganz so verlässliche und funktionsfähige Bundesgenossen waren, wie die Hondh es gerne hätten, sollten auch diese verstanden haben. Sie betrachteten alles und jeden allein von der Wirkung her.
»Kooperation ist unerlässlich. Komplexität bedingt Zusammenarbeit. Agenten müssen in der Lage sein, Unwägbarkeiten einzukalkulieren, Komplementarität herzustellen und Synergien zu nutzen. Ihre Performanz war unterdurchschnittlich, ihre Entscheidungen schwer nachvollziehbar. Das Ergebnis war nicht wie erwartet. Die Nachricht verbreitet sich. Konsequenzen sind unausweichlich.«
Nata hatte so etwas befürchtet. Jetzt kam die Lektion. Die Hondh waren langsam, von nahezu sprichwörtlicher Engelsgeduld. Aber wenn sie mal in Fahrt kamen, hielt sie niemand auf oder von etwas ab. Sie fühlte sich, als würde eine Lawine auf sie zurollen, und obgleich sie immer noch keine Angst empfand, so doch eine gewisse Bedrückung.
Und immer noch den Zorn. Wo kam der jetzt her?
»Wir haben beschlossen, Sie ein letztes Mal mit einer Aufgabe von Bedeutung zu betrauen. In Kooperation mit zwei weiteren Agenten. Kooperation ist notwendig.«
Nata unterdrückte das in ihr aufsteigende Bedürfnis, sich zu beschweren. Es hätte nichts gebracht und das Wort »letztes« hatte die Alarmglocken ausgelöst. Wenn sie erneut versagte, würde man endgültig anfangen, sie zu vergessen. Dann war alles umsonst gewesen, jedes Opfer. Soweit durfte sie es nicht kommen lassen. Kooperation war notwendig, das galt für sie jetzt ganz besonders.
»Ich verstehe«, sagte sie leise. Was blieb ihr auch anderes übrig?
»Kommen Sie an Bord unseres Schiffes.«
Nata erstarrte. Sie blickte verständnislos auf den toten Bildschirm, aus dessen Lautsprechern bisher nur die leise, monoton wirkende Stimme des Hondh gedrungen war. Sie sollte das Schiff ihrer Herren betreten? Das war höchst ungewöhnlich, und es konnte eigentlich nur mit ihrer neuen Aufgabe zusammenhängen. Sie war dankbar für ihre Unfähigkeit, Angst zu empfinden. Jetzt wäre ansonsten der Zeitpunkt gekommen, sich ganz ernsthafte Sorgen zu machen.
»Sie werden ein Gerät übernehmen. Wir müssen in die Erprobungsphase eintreten.«
Der Bildschirm erwachte zum Leben. Sie musste keine langen Fragen stellen, sie musste nur gut aufpassen. Technische Daten wurden ihr präsentiert, und Nata begriff sofort, worum es sich handelte und wer das Ziel ihres Auftrages sein würde. Es erfasste sie, fast gegen ihren Willen, die typische Vorfreude, die sie vor jeder Mission ergriff. Das sah vielversprechend aus – eine Chance, sich zu beweisen und die Gunst der Hondh zu bewahren! Wenn diese Mission von Erfolg gekrönt wurde, war sie vollständig rehabilitiert, daran konnte kein Zweifel bestehen – und die neunte Expansion würde ihrem erfolgreichen Abschluss einen großen Schritt entgegengekommen sein.
Aber das Gerät konnte auch so in ihr Schiff transportiert werden. Es war relativ klein, soweit sie das erkennen konnte. Es würde in eine simple Umhängetasche passen.
Wozu war ihre persönliche Anwesenheit erforderlich?
Sie fragte nicht. Die Hondh hatten ihr eine Anweisung erteilt und würden ihr sagen, was sie wissen musste. Sie durfte jetzt nicht rumzicken, dafür war ihr Kredit bei ihren Herren nicht mehr belastbar genug.
Kein Zögern mehr. Tun, was ihr gesagt wurde.
Mit sehr gemischten Gefühlen setzte Nata also auf das große, plötzlich irgendwie bedrohliche wirkende Schiff ihrer Meister über, eine kurze Reise, in der nicht viel Zeit für Grübelei blieb. Als sie aus dem Beiboot kletterte, das sie in einem Hangar abgeliefert hatte, spürte sie die Kälte, die in dem Raumschiff herrschte. Sie war nicht unvorbereitet und trug geeignete Kleidung, denn es war ja nicht ihr erster Besuch dieser Art. Im Inneren der Hondh-Schiffe, die sie bisher betreten hatte, überfiel sie immer ein Gefühl der Beklemmung, und die eher niedrige Temperatur leistete dazu gewiss ihren Beitrag. Sie wusste nicht, welcher Ästhetik ihre Herren folgten, was sie als schön empfanden, als elegant oder kunstvoll. Natürlich waren Kriegsschiffe im Regelfall allein nach Gründen der Zweckmäßigkeit gebaut, das galt für fast alle der Agentin bekannten Zivilisationen. Doch die Hondh-Schiffe waren trotzdem anders. Allein schon aufgrund der Kälte an Bord hatten sie etwas Abweisendes, wie ein Grab, in dem jemand lag, über dessen Ableben sich die Ärzte noch nicht ganz einig waren. Tatsächlich hatte sie schon mit anderen Agenten geredet, die ganz unterschiedliche Eindrücke schilderten. Es war, als würden die Hondh bei jedem einen anderen Effekt hervorrufen wollen, alles Teil eines manipulativen Manövers. Vielleicht drückten sie so ihre Emotionen aus, falls sie welche hatten. Nata würde es möglicherweise nie richtig verstehen, aber sie hatte große Einsicht in ihre eigenen Gefühle, und sehr wohl fühlte sie sich in diesem Moment nicht.
Es gab für sie keine Möglichkeit, sich zu verirren. Ein Gang führte sie in exakt einen einzigen zugänglichen Raum. Sie vermutete, dass die Hondh in der Lage waren, das Innere ihres Schiffes relativ beliebig zu rekonfigurieren, und sie fragte sich bei solchen Gelegenheiten immer, wie viele Hondh wohl vor Bildschirmen sitzen und sie bei jeder Bewegung intensiv beobachten würden. Eine Vorstellung, die einen paranoid machen konnte, aber es gelang ihr nicht, sie abzuschütteln.
Niemand musste sie auffordern, den Raum zu betreten. Es war klar, was von ihr erwartet wurde.
Der Raum war leer, bis auf eine Art Liegesitz. Eine weitere, ganz offensichtliche Einladung, die sie mit plötzlichem Misstrauen erfüllte. Sie blieb davor stehen und bewegte sich nicht. Sie sah sich um. Stille, nicht einmal das Rauschen einer Luftversorgung.
»Was soll das?«
»Setzen Sie sich.« Die Stimme kam von überall her.
Nata zögerte. Ein plötzlicher Widerstand, den sie empfand. Heute war irgendwas mit ihr nicht in Ordnung.
»Setzen Sie sich.« Nicht drängend, nicht wütend, einfach nur eine monotone Wiederholung. Nata folgte der Aufforderung schließlich. Was blieb ihr auch anderes übrig? Die Plastikpolsterung unter ihr quietschte, als sie sich darauf niederließ.
»Was soll das?«, fragte sie erneut. Ihre Stimme zitterte. Das war nicht gut.
»Wir bereiten Sie vor.«
Nata wollte eine Hand heben, doch sie lag mit einem Male wie festgeklebt auf der Lehne des Liegesitzes. Schweiß brach ihr aus, als sie an ihrem Arm zerrte und zog, doch er bewegte sich keinen Millimeter – obgleich keinerlei Fessel zu erkennen war. Auch ihre Beine waren plötzlich wie eingegossen und der Selbsterhaltungstrieb setzte ein, ein Fluchtreflex, dessen Aufflammen in sich sie distanziert betrachtete, wie ein Besucher ein Tier in einem Zoo. Keine Angst. Sie hatte Sorge, aber keine Angst. Für einen Moment wünschte sie, sie hätte welche, damit sich das alles hier echt anfühlte.
Ihre unsichtbaren Fesseln waren echt genug.
»Was ... macht ...«, presste sie hervor. Es war, als hätte sich ein Riese auf ihren Brustkorb gesetzt und sie kämpfte mit plötzlicher Atemnot. Nata erkannte schnell, dass diese unberechtigt war, sie konnte ganz normal Luft holen, es war eher eine für sie neue körperliche Reaktion, eine Antwort auf die Fesseln, für sie eine völlig ungewohnte und sehr beunruhigende Situation. Sie atmete bewusst tief ein und das Gefühl verschwand. Sie fragte erneut, laut, fordernd, verlangte nach einer Erklärung.
Sie erhielt keine Antwort.
Zumindest nicht in Form von Worten.
In der Decke öffnete sich ein Spalt und ein langer, flexibler Metallarm glitt herunter. An seiner Spitze war eine Kugel, aus der diverse Instrumente ragten, alle dünn, spitz und blitzend. Das gerade niedergekämpfte Gefühl der Bedrückung kroch wieder in ihr hoch, als sie diese betrachtete, denn am Sinn und Zweck konnte es keinen Zweifel geben. Ein weiteres Mal kämpfte sie gegen die unsichtbaren Fesseln an, bis sie keuchend aufgab und ihr nichts blieb, als auf die Kugel zu starren, die sich behutsam in Position brachte.
Jetzt. Da war es. Das war Angst. Sie kam, überbrückte alle Schranken, sprang sie an wie ein Tier. Was für ein entsetzliches, lähmendes Gefühl. Sie hatte es nicht vermisst, sie lehnte es ab, doch die Büchse der Pandora stand weit offen.
»Sie werden vorbereitet«, sagte die Stimme erneut, als sei damit alles erklärt.
»Wozu? Warum tun Sie mir das an?« Nata sagte es keuchend. Atmen, gemahnte sie sich. Atmen ist wirklich nützlich!
»Wir motivieren Sie!«
»Sie quälen mich.«
»Leid motiviert. Wir motivieren Sie. Beginnen mit Motivation.«
»Nein!«, rief Nata, doch natürlich hörte niemand auf sie.
Sie fühlte eine unerwartete Taubheit, die sich über ihren Körper ausbreitete, und erwartete, dass sie bewusstlos werden würde. Aber es war offenbar Teil ihrer »Motivierung«, dass sie alles sehr aufmerksam verfolgen sollte. Die Hondh wollten sie nicht körperlich quälen. Aber sie verstanden das Prinzip der Qual durchaus, und ihre unterschiedlichen Ausdrucksformen.
Damit waren sie bei Nata an der falschen Adresse. Wenn sie zur Angst unfähig war, blieb ihre Fähigkeit, Zorn zu empfinden, davon völlig unberührt. Und jetzt kam beides zusammen, wie nur selten in ihrem Leben. Eine Mischung, die ihr für den Moment unbändige Kraft verlieh.
Die Kugel mit den scharfen Instrumenten senkte sich über ihren Unterleib hinab, dann schnellte eines der Messer hervor und schnitt gekonnt die Kleidung auf, die sie trug.
Empfindliche Kälte drang an ihre vormals warme Haut, als die Stoffe mit methodischen und exakten Bewegungen geöffnet und beiseitegelegt wurden. Eine Kälte, die sofort von der sich ausbreitenden Taubheit verschluckt wurde.
»Nein«, flüsterte Nata. Ihr Körper war ihr Tempel. Ein schöner Tempel, den sie liebevoll pflegte. Tatsächlich einer der schärfsten Tempel der bekannten Galaxis, und er hatte überall treue Anhänger, die nichts lieber wollten, als ihn zu betreten.
Und jetzt wurde er entweiht, und das konnte sie nicht dulden oder akzeptieren, von niemandem.
Zorn. Angst. Noch mehr Zorn. Sie umarmte ihre Wut, hieß sie willkommen.
Erneut zuckte das Messer vor, glitt durch ihre Haut wie durch den Stoff. Rote Linien entstanden, und ein sanft schlürfendes Geräusch erklang, als das austretende Blut abgesaugt wurde. Mit der gleichen Exaktheit wurde ein quadratischer Hautlappen aus ihrem Leib geschnitten, tief durch die Epidermis. Nata fühlte erneut große Beklemmung und wachsenden Zorn und wollte nicht mehr hinsehen, doch ihre Halsmuskeln verweigerten ihr den Dienst, als sie den Kopf abwenden wollte, und ihre Augen schlossen sich nur für Sekunden, ehe ein urtümliches Gefühl in ihr sie zwang, sie wieder zu öffnen und zu beobachten, was mit ihr geschah.
Obgleich sich alles in ihr danach sehnte, so schnell wie möglich das Bewusstsein zu verlieren, wollte ihr Kreislauf nicht mitspielen. Ebenso wie den Stoff ihrer Kleidung hob die Kugel den Hautlappen hoch und legte ihn beiseite. Darunter erkannte Nata ihre Innereien, die rot glänzten, während das austretende Blut weiterhin abgesaugt wurde.
Weitere Arme ragten aus der Decke. Einer hielt einen kleinen, flachen Gegenstand, der aussah wie eine schwarz glänzende, dicke Matte, deren Oberfläche eine Wabenstruktur aufwies. Das war das Gerät, das sie hier in Empfang nehmen sollte, und die erschreckende Erkenntnis drängte sich ihr auf, dass die Übergabe in diesem Moment und auf eine höchst unerquickliche Weise vollzogen wurde.
Nata beobachtete, wie diese Matte in ihren geöffneten Bauch gelegt wurde, wie sich das Ding den Konturen anpasste, flacher zu werden schien, und dann ruhig in der Öffnung lag, und den Blick auf ihre darunterliegenden Organe verbarg. Nata war beinahe dankbar dafür.
»Was ...«, brachte sie hervor, nicht mehr als ein Stammeln, immer noch gepackt von der nun wild brennenden Wut über das, was man hier mit ihr anstellte.
»Motivation!«, sagte die Stimme.
Sarkasmus. Die Hondh waren zu Sarkasmus fähig. Es war kaum zu glauben! Gott, wie sie Sarkasmus bei anderen hasste, vor allem, wenn er auf ihre Kosten ging.
Die Kugel hantierte. Mit absoluter Präzision wurde der Hautlappen auf die Wundöffnung platziert, dann ein anderes Instrument eingesetzt. Der Schnitt wurde geschlossen, wahrscheinlich mit einer Art Biokleber, der sich farblos über die Risse legte, die Haut miteinander verband, ohne auch nur die geringste Spur zu hinterlassen. Augenblicke später war die Operation beendet. Nata starrte auf ihren nackten Unterleib, der absolut makellos war, nur mit dem Unterschied, dass sie plötzlich über etwas mehr Babyspeck verfügte als vorher, eine leichte Wölbung, beinahe wie eine sanft beginnende Schwangerschaft. Sie spürte nichts von dem Ding, das in ihr abgelegt worden war, doch es konnte nichts Gutes bedeuten. All das hier bedeutete nichts Gutes. Es hatte etwas Endgültiges, auf eine fatale Weise, und vor allem erschütterte es das Grundvertrauen, das sie bisher in ihre Herren gehabt hatte. So etwas würden die Hondh nicht tun, niemals so übergriffig ihren eigenen Gefolgsleuten gegenüber werden.
Und doch war exakt das gerade geschehen und sie hatten sie gezwungen, dabei zuzusehen.
Keine Angst mehr. Aber der Zorn war geblieben.
Die Kugel wirbelte über ihrem immer noch gelähmten Leib. Mit der gleichen Zuverlässigkeit, mit der sie die Haut repariert hatte, wurde nun ihre Kleidung wiederhergestellt. Als sie damit fertig war, verschwand sie wieder in der Decke, und Taubheit und Lähmung ließen unvermittelt nach. Nata wollte sich erst gar nicht bewegen, fürchtete Pein und Unbehagen, aber als sie sich schließlich doch nach vorne beugte, empfand sie nichts von den Folgen des Eingriffs. Sie tastete über die Stelle, die Haut war weich, reagierte normal auf die Berührung, es entstand kein Schmerz, es gab nicht einmal eine Rötung oder das Gefühl einer Reizung. Nichts. Die perfekte Operation.
Sie holte tief Luft. Ihre Stimme zitterte vor Wut und Enttäuschung, und sie verbarg beides nicht. Selten in ihrem Leben hatte sie sich so aufgewühlt gefühlt. Tränen standen in ihren Augen. Sie wischte sie nicht einmal fort, starrte wild an die Wand.
»Was habt ihr mit mir gemacht?«
»Motivation.«
»Das reicht mir nicht als Antwort. Was ist das für ein Ding?«
»Das ist der Neue Konziliator, exakt so, wie er in den Spezifikationen beschrieben wurde.«
Nata schwieg. Natürlich, das war er. Und sie war die Paketbotin. Gedemütigte Dienerin der Hondh. Niemand demütigte Nata. Das geschah einfach nicht. Sie rang um Fassung, ließ eine große Entschlossenheit in sich aufsteigen, in einem bewussten Kraftakt psychischer Selbstkontrolle. Sie musste etwas mit der Wut anfangen.
»Wir haben ihn verbessert.«
»Ihr habt ihn verkleinert.«
»Das war Teil der Verbesserung. Bringen Sie ihn zur Hoheit. Setzen Sie ihn ein. Unterwerfen Sie die Roboter unserem Willen.«
Agentin. Paketbotin. Werkzeug. Nata fühlte sich beschmutzt. Ja, das war das richtige Wort. Niemals zuvor hatte sie so etwas empfunden. Sie mochte es ganz und gar nicht. Es löste unvermittelt Hass aus, ein vertrautes Gefühl in unvertrauter Umgebung. Sie empfing ihn wie einen alten Freund.
»Und wenn die Hoheit entdeckt, was ich in mir trage?«
»Scans zeigen das Gerät nicht. Passen Sie auf sich auf.«
Motivation, erinnerte sich Nata.
»Was passiert, wenn ich versage?«
»Nichts. Der Neue Konziliator löst sich in seine Bestandteile auf. Eine leichte Vergiftung. Ihre andauernde Unfruchtbarkeit. Aber sonst nichts.«
»Unfruchtbarkeit«, echote Nata. Sie wollte ohnehin keine Kinder. Sie wäre keine gute Mutter, so viel Realitätssinn besaß sie auf jeden Fall.
»Was soll dann die Motivation sein?«
»Sie werden aus unseren Diensten entlassen. Das Versprechen wird zurückgezogen.«
Das Versprechen auf Unsterblichkeit. Eine letzte Chance, eine Warnung, und dann ... dann lag es an ihr.
Motivation, dachte sie. So konnte man es auch nennen. Und so überwand man das Misstrauen, das die Hondh ihr gegenüber möglicherweise entwickelt hatten. So stellte man sicher, dass sie funktionierte. So erzeugte man Loyalität. Das glaubten ihre Herren zumindest. Sie kannten sie nicht ganz so gut, wie sie glaubten.
»Gehen Sie. Der Eingriff ist beendet. Weitere Instruktionen warten. Sie werden nicht alleine gehen.«
Und damit war alles gesagt. Sie konnte gehorchen oder nicht, den Hondh war es letztlich gleich. Nata fühlte sich immer noch benutzt, als sie sich auf den Rückweg machte. Sie ging vorsichtig, erwartete immer noch Schmerz, der ausblieb. Sie war verletzt worden, nicht nur körperlich, sondern in der Essenz ihrer Persönlichkeit.
Sie war nicht mehr sie selbst, das war ganz deutlich zu spüren.
Vielleicht, dachte sie, als sie ihr Beiboot betrat, war das gar nicht so schlecht.
Doch was genau bedeutete es?
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