Nach zahlreichen Unfällen auf den interplanetaren Raumrouten haben sich die EAAU und die VOR darauf geeinigt, eine Organisation ins Leben zu rufen, die gestrandeten Raumfahrern zu Hilfe kommen soll: die UGzRR.
Doch eine neue Gefahr lauert unvermittelt zwischen den Planeten: Piraten überfallen die unbewaffneten Handelsschiffe. Sogar die Rettungsflieger werden von den heimtückischen Angriffen nicht verschont.
Die Florence Nightingale unter Leitung von Captain Grischa Romen wird Opfer eines solchen Überfalls, und er und seine Besatzung geraten in Gefangenschaft.
Nur mit einem gewagten Trick kann Romen sich und seine Crew retten.
(21) Blindflug zur Schlange
€6,99
Mark Brandis, Band 21
Ebook, 168 Seiten, Format Epub
Kategorie: Mark Brandis
Schlagwörter: Mark Brandis, Michalewski, Weltraumabenteuer
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Kapitel 01
Mark Brandis, Chef Raumnotrettungsflotte UGzRR, Eingabe ins elektronische Bordbuch
Der erste Weihnachtstag des Jahres 2083 war drei Stunden und siebenundvierzig Minuten Bordzeit alt, als in meiner Kammer an Bord des Raumnotkreuzers Henri Dunant das Visiofon anschlug. Vor einer knappen Stunde noch hatte ich mit Ruth O‘Hara, meiner Frau, im fernen Metropolis gesprochen, und vor meinen Augen hatte die Erde dagelegen wie ein wunderschöner blauer Diamant auf goldgesprenkeltem, feierlich schwarzem Samttuch. Ruth hatte mir und dem Schiff Fröhliche Weihnachten gewünscht und sich nicht anmerken lassen, wie sehr sie mich vermißte. Durch das nachlässig zugezogene Bullauge fiel das fahle Licht eines lunaren Tages. Vor dem staubigen Beton der ehemaligen Versorgerrampe von Las Lunas, über der nun kraft eines auf dreißig Jahre geschlossenen Pachtvertrages die weiße Flagge mit dem roten Johanniterkreuz im gelben Sonnenball wehte und die Anwesenheit der erst wenige Monate alten Unabhängigen Gesellschaft zur Rettung Raumschiffbrüchiger (UGzRR) bezeugte, konnte ich die geschmacklosen Türme des neuzeitlichen Babylons sehen, sowie fern am Horizont, als schmuddeliges Gelb vor schwarzem Nichts, die scharfgratigen Steilwände der Montes Cordillera. Auch die Einsicht, daß der den Las Lunianern abgerungene Vertrag nicht einmal mit Gold aufzuwiegen war, vermochte nicht darüber hinwegzutäuschen, daß die Aussicht von niederschmetternder Trostlosigkeit war. Die im alten Versorger-Tower untergebrachte Raumnotwache war am Apparat. Hua McKim – halb Schotte, halb Koreaner –, Mike Bergers rechte Hand, zeigte mir auf dem Monitor sein übernächtigtes Gesicht über dem schief zugeknöpften Hemdkragen.
»Tut mir leid, Commander. Da liegt wieder mal so ein VN vor.«
Ich machte mich ans Ankleiden. Ein VN war ein Vielleicht-Notruf. »Schießen Sie los, McKim!«
McKim wiegte den Kopf. »Ich nehme an, Sie kennen die Delfin ...«
»Der verrottete Gammelkasten?«
»Eben der. Also, der will da was aufgefischt haben, ein verstümmeltes SOS. Ist ja alles möglich. Was mir dabei nicht gefällt: Als ich mit dem Funker sprach, war an Bord, den Hintergrundsgeräuschen nach zu urteilen, gerade das Christkind am Jodeln. Sie verstehen, was ich meine, Commander. Die ganze Delfin-Crew war sternhagelvoll. Und in diesem Zustand will sie ein VN aufgefischt und sogar eine Peilung vorgenommen haben.«
Mich wunderte es nicht, daß McKim die Sache mißfiel. Sie gefiel mir auch nicht. Andererseits konnte man sie nicht einfach übergehen.
»Augenblick. Ich schalte zu.«
McKim schüttete sich Kaffee in einen Becher, während ich in meiner Kammer die Memorial-Taste drückte. Fortan hörte der Flight-Computer, Sequenz Navigation, mit und speicherte alle Informationen und Daten.
»Also, die Peilung!«
McKim warf einen Blick auf seinen Zettel. »Delta Echo Bravo Zwo Zero Neun – eine miserable Einstrich-Peilung.« McKim hob die Hand. »Ich persönlich nehme an, daß man sich auf der Delfin hat täuschen lassen durch das Fragment eines gewöhnlichen Lichtspruchreflexes. Sie wissen ja, was das für Fuhrleute sind – gerade daß sie ihren Namen schreiben können.«
Die Delfin, ein Frachter, der für ein in Las Lunas ansässiges Syndikat flog und wahrscheinlich auch dann und wann mal illegale Fracht transportierte, war eine fragwürdige Angelegenheit. Vor ein paar Wochen hatte sie schon einmal die ganze Welt verrückt gemacht mit der Behauptung, Ahmed Khans Stimme im Äther gehört zu haben. Mit seiner Vermutung, daß wir es mit einem blinden Alarm zu tun hatten, war McKim auf einer guten Spur.
Ich seufzte. »Bleiben sie dran. McKim!«
Bis zum Kartenhaus – amtlich Navigation Center und kurz NC – waren es nur ein paar Schritte. Ich zwängte mich auf den Hocker hinter dem summenden Speicher und rief die Positionen der anderen Schiffe ab. Der Speicher war ein unbezahlbares Stück. Bevor wir ihn bekamen, hatte es zur Feststellung der einzelnen Positionen erst eines umständlichen und zeitraubenden Hinundhers im Äther bedurft. Im Speicher, über den die Henri Dunant verfügte, waren die Flight-Sequenzen von insgesamt sechs Bordcomputern gekoppelt.
McKim war am Gähnen, als ich zum Visiofon zurückkehrte.
»Ich schlage vor, die Albert Schweitzer geht der Sache nach. Sie könnte in rund achtzehn Stunden vor Ort sein.«
McKims schräge Augen blickten betrübt. »Richtig, die Albert Schweitzer! Mike Berger trug mir auf, die Meldung bis morgen früh zurückzuhalten. Captain Harding hat da wieder mal Trabbel mit den Stabilisatoren, und jetzt nimmt er praktisch das halbe Schiff auseinander. Bloß auf keine Werft gehen, sagt er.«
Captain Harding wußte, wovon er sprach. Die UGzRR-Flotte wurde auf den Werften der EAUU und der VOR keinesfalls mit Vorrang behandelt, und selbst auf den Reparaturrampen von VEGA-Metropolis waren Wartezeiten in der Regel nicht zu vermeiden. Captain Harding, ein alter Hase unter den Sternen, hatte mithin das Risiko auf sich genommen, die Überholung des internen Schwerefeldes mit Bordmitteln an Ort und Stelle vorzunehmen. Ich überlegte. Ein anderes Schiff, das sich in Marsch setzen ließ, war die Florence Nightingale unter Captain Romen. Sie stand auf DTM 831. Sie dort, wo sie gewissermaßen den Finger am Puls des Erde-Venus-und Venus-Mars-Transits hatte, wegen eines VNs für mehr als achtundvierzig Stunden abzuziehen, mißfiel mir. Auf dem gravitatorischen Knotenpunkt, den sie besetzt hielt, stellte sie für den gesamten Verkehr auf den EVE- und VMV-Routen ein Stück Sicherheit dar.
Die Elsa Brandstroem stand nach einer Karambolage mit einem havarierten Versorger seit drei Wochen in New York zur Reparatur, und mit den beiden VOR-Kreuzern, der Mahatma Gandhi und der Rabindranath Tagore, war für den Job gleichfalls nicht zu rechnen; sie standen viel zu weit entfernt.
McKims Stimme brach in meine Überlegungen. »Ich habe für die Henri Dunant ein Computerprogramm erstellt, Commander. Sie könnten in achtunddreißig Stunden hin- und zurücksein.«
Ich hatte die Strecke bisher lediglich im Kopf überschlagen. Dabei war ich auf einundvierzig Stunden gekommen. McKims Rechnung war zweifellos zuverlässiger. Ich zögerte. Die Entscheidung lag bei mir. Achtunddreißig Stunden, um ein fragwürdiges VN zu überprüfen: darin steckte das Risiko, nicht greifbar zu sein, falls man anderswo wirklich benötigt wurde. Andererseits hatte auch am Anfang des Castor-Jobs – 18 Gerettete – ein VN gestanden. Die Erinnerung an die Castor gab den Ausschlag.
»In Ordnung, McKim. Ich übernehme das.«
Im FK der Raumnotwache lehnte sich Hua McKim erleichtert in seinem Sessel zurück. »Tut mir aufrichtig leid, Commander.« Er meinte, was er sagte. Dieser schlitzäugige Sohn eines schottischen Vaters, der als Diplomat in Korea nahezu ein Menschenleben zugebracht und dort auch geheiratet hatte, gefiel mir von Mal zu Mal besser. Für unsere Zusammenarbeit mit den VORs war er geradezu unentbehrlich. Mike Berger hatte mit ihm einen glücklichen Griff getan.
»Ein Problem, McKim.«
»Ich höre, Commander.«
»Ich stehe ohne Piloten da. Captain Smith liegt seit gestern Nachmittag mit Raumfieber im Krankenhaus. Wen können Sie mir anbieten?«
Über Las Lunas lief die gesamte Ablösung der Flotte. Meist gab es im Quartier drei oder vier UGzRR-Leute, die auf eine Reisegelegenheit zur Erde warteten oder darauf, von ihrem Kreuzer abgeholt zu werden.
McKim runzelte die Stirn. »Die Auswahl ist diesmal nicht eben groß, Commander. Ich könnte ihnen allenfalls Captess Kato geben.«
Yodogimi Kato stammte aus Hiroshima – jener unglücklichen Stadt, mit deren Untergang im Jahre 1945 das atomare Zeitalter begann – und galt in VOR-Kreisen, wie ich wußte, als verdienstvolle Pilotin. Mit ihren schrägstehenden Mandelaugen sah sie aus wie eine japanische Porzellanpuppe. Doch das Geisha-Gesicht täuschte. Unter dem Porzellan bestand es aus hartem Stoff.
»In Ordnung, McKim«, erwiderte ich. »Schick sie zu mir.«
Ich löste den Alarm aus, und während ich mich auf die Brücke begab, erwachte die Henri Dunant zum Leben. Die Crew beeilte sich, die Stationen zu besetzen. Drei der Männer – Lieutenant Stroganow als Navigator, Lieutenant Levy als FK und der schwarzhäutige Lieutenant Xuma – waren unter mir auch früher schon geflogen. Was sie bewogen hatte, mir zur UGzRR zu folgen, obwohl sich damit ein Abstrich ihrer Dienstbezüge verband, war von Lieutenant Stroganow, dem grauhaarigen Sibiriaken, auf die knappe Formel gebracht worden: »Geld ist nicht alles.«
Lieutenant Tom O‘Brien, ein rothaariger, sommersprossiger Ire, der Radar-Controller, war das einzige neue Gesicht. Ich drückte Alle Stationen, gab den Grund des Alarms bekannt, und machte mich ans Warten.
Die Klarschiffmeldungen gingen gerade ein, als Captess Kato, auf japanische Art grüßend, das Cockpit betrat.
»Guten Morgen, Sir.«
»Guten Morgen, Captess. Tut mir leid, daß wir Sie um den Schlaf bringen müssen.«
Sie strahlte mich an. »Oh, keine Ursache, Sir. Wie sagt man bei Ihnen? Früher Tag hat ein sehr teures Gebiß.«
Ich mußte ein verblüfftes Gesicht gemacht haben. Über den Lautsprecher lieferte Lieutenant Stroganow die Übersetzung: »Das bedeutete, Sir: Morgenstund hat Gold im Mund.«
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